Louis Vuitton, das sind Logomuster, Glitzersteine, Patches und knallige Farben, Rap-Referenzen und gefälschte Taschen. Louis Vuitton, das ist modisches Pathos, die Metapher für Geld als Accessoire. In Deutschland wird die Luxusmarke von vielen Menschen skeptisch beäugt, denn die Zurschaustellung finanzieller Stärke ist in der breiten Masse verpönt; sie wird als aufdringlich empfunden, mit dubiosem Reichtum und halbseidenen Emporkömmlingen assoziiert.
Die Wurzeln dieses Denkens liegen in unserer Geschichte – im anti-französischen, anti-elitären Eifer des 19. Jahrhunderts, aber auch in nationalen Stilphilosophien jüngerer Provenienz. In Westdeutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem bauhäuslerische Bescheidenheit gepredigt, während man in der DDR die Mangelwirtschaft durch betont antikommerzielle Geisteshaltung kaschierte. Möglichst nicht auffallen, das galt zu beiden Seiten der Mauer. Und dabei ist es geblieben: Selbst im Berlin von heute, wo ja angeblich alles erlaubt ist, trägt die modische Speerspitze lieber Schwarz.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.
Gerade die Pariser Männerschauen von Louis Vuitton erscheinen uns, vom Alexanderplatz aus gesehen, wie poshe Karnevalsveranstaltungen, auf denen sich die Superreichen selbst feiern.
Neben dem extremen Overdressing fällt aber auch die große ethnische Diversität der Gäste auf. Hier erweist sich Louis Vuitton seit mehreren Jahren als Avantgarde: im Aufbrechen des Weißen Paradigmas in der Mode.

Die überbordende Ästhetik der Marke erfuhr damit eine kulturelle Rechtfertigung, die auch den aufgeklärten Berlinern gefallen dürfte. Denn als 2018 der in Ghana geborene Virgil Abloh die Nachfolge von Kim Jones als Kreativdirektor der Männerlinie antrat, verwandelte der intellektuelle Schwarze den weißen Rich-Kitsch in schwarzes Bling-Bling. Durch seinen frühen Tod im Alter von 41 Jahren arbeitete Abloh nur etwa drei Jahre für Louis Vuitton; doch er in dieser Zeit hat er viel verändert. Wie sich sein Nachfolger Pharrell Williams jetzt schlägt, durften wir im Juni in der französischen Hauptstadt erleben.
Besuch im Pariser Headquarter von Louis Vuitton
Auf der Dachterrasse der Louis-Vuitton-Headquarters in Paris windet es leicht. Ein neues Parfüm wird vorgestellt. Reine Routine bei einer Marke, in deren Produktportfolio wahrscheinlich nur noch Lebensmittel fehlen, könnte man meinen. Doch als Jacques Cavallier-Belletrud vor die geladenen Journalisten tritt, wird es sofort emotional: Seine Tochter hätte das Parfüm entwickelt, sagt der Meisterparfümeur aus Grasse, der vor einigen Jahren in die Maison berufen wurde, um die Louis-Vuitton-Duftlinie wiederauferstehen zu lassen. Der Mann und seine Nase haben die moderne Parfümhistorie mitgeprägt. Belletruds größter Hit bislang ist wohl L’Eau d’Issey, das er für Issey Miyake komponierte. Ab 1992 fand der Duft im puristischen Kegelflakon nicht nur Millionen von Käufer, sondern revolutionierte auch die damalige Duftszene.
Die 24-jährige Camille erhebt sich und stellt sich neben ihren Vater. Ein wenig schüchtern, aber mit fester Stimme erläutert sie die Hauptnoten der neuen Unisex-Komposition, die „LVERS“ heißt: Galbanharz, Zeder, Sandelholz, Ingwer. Die junge Parfümeurin wiegt sich beim Sprechen leicht hin und her, genau so, wie ihr Vater das tut. Manchmal schwingen die beiden synchron. Das hat etwas sehr Beruhigendes.

Nun erläutert der Vater, dass Pharrell sich das Parfüm gewünscht hätte. Der Musikproduzent und Sänger feierte mit einer gigantischen Modenschau auf der Pont Neuf vor einem Jahr seinen Einstand. Superstars wie Beyoncé und Jay-Z, die schwangere Rihanna und Asap Rocky waren gekommen. Das historische Pflaster der Brücke war mit dem Damier-Schachbrettmuster von Louis Vuitton beklebt worden, zum Sonnenuntergang erstrahlte alles in güldener Pracht. Jenes einzigartige Pariser Licht sei die Grundidee des Duftes gewesen, so Jacques Cavallier-Belletrud. Entsprechend würde es um positives Denken gehen – und um den Blick nach vorn.
Auch wenn es ein wenig abgedroschen klingt, so etwas zu hören tut gut. Denn: Optimismus muss nichts mit Ignoranz zu tun haben, das Streben nach Schönheit nichts mit Egoismus. Vielmehr geht es gerade jetzt doch darum, und zwar in Europa wie überall: Werte zu schaffen und sich die eigene Kultur nicht wegdiskutieren zu lassen. Das ist auch ein zentraler Teil der Botschaft von Pharrell - und er wird nicht müde, sie zu verbreiten.
Eine Rolex ist erst der Anfang
Erst kürzlich machte ein Video auf Instagram die Runde, in dem Pharrell gebetsmühlenartig auf einen jungen Schwarzen einredet; er solle sich bloß nicht von den Neidern aus der Ruhe bringen lassen. Zwischendurch lobt er unvermittelt die Rolex des Ratsuchenden. Die Rolex ist das Zeichen für seinen Anspruch an das Leben – und sie ist in den Kreisen, in denen sich Pharrell bewegt, erst der Anfang.
Eine teure Uhr oder ein kreischbuntes Louis-Vuitton-Outfit, das kann seit Virgil Ablohs Walten also immer auch als Befreiungsmetapher der Black Community gesehen werden. Denn Luxusmode ist der weithin sichtbare Beweis des monetären Aufstiegs in einer immer noch von Weißen dominierten Welt, der teure Look ein wichtiges kulturelles Signal der Gleichberechtigung.

Zugegeben, die millionenschweren Musiker, die als Markenbotschafter des Hauses fungieren, entsprechen kaum der Durchschnittsbevölkerung. Vor dem Haus des Berliner Verlags in Mitte wäre Pusha T in einem Allover-Look von Louis Vuitton in jedem Fall genauso exotisch wie irgendwo am Ufer der Seine. Doch dass Schwarze Testimonials in der Luxusmode inzwischen an der Tagesordnung sind, ist eine große Errungenschaft.
Das Louis-Vuitton-Logo als Zeichen der Völkerfreundschaft
Zu zeigen, dass man Louis Vuitton trägt, geht am einfachsten mit dem gut sichtbaren Logo. Das berühmte Monogramm-Muster hatte George Vuitton, der Sohn des Firmengründers, bereits im Jahr 1889 eingeführt, um das damals einsetzende Kopieren seines exklusiven Reisegepäcks zu verhindern. Distinktion war dem beschichteten Baumwoll-Canvas also von Anfang an eingeschrieben.
Bilderstrecke
Die gemusterten Truhen und Koffer benutzt Pharrell heute gerne als effektvolles Element auf seinen Modenschauen. Bei der kürzlich in Paris gezeigten Kollektion für den nächsten Sommer wurde das traditionsreiche Reisegepäck in unterschiedlichen Varianten von Models über den Runway geschoben. Dieser war übrigens am Hauptsitz der Unesco, einem imposanten Bau im Stil der klassischen Moderne, im 7. Arrondissement aufgebaut. Unter den wehenden Fahnen der Mitgliedsländer wurden Outfits präsentiert, die in Nuancen zwischen Tiefschwarz und Weiß changierten, genau wie die Hauttöne der Models.
Diese Internationalität findet in der Kollektion durch unterschiedlichste Reise-Referenzen ihren Widerhall: abgewandelte Pilotenjacken, an Diplomatenkleidung angelehnte Anzüge, komfortable Trainingsanzüge von Urlaubern. Da wir im Bereich der Luxusmode unterwegs sind, wo es immer auch um Savoir-faire geht, ist die Kleidung mit kostbaren Stickereien, Perlen, Knöpfen und Kristallen übersät. Alles wirkt erlesen und gleichzeitig verspielt. Pharrell hat den nischigen Sound von Abloh zu einem Welthit gemacht.
Und so setzt die laut den Erhebungen von Interbrand wertvollste Luxusmarke der Erde heute nicht nur starke stilistische Zeichen, sie appelliert und agitiert auch zunehmend im Sinne von Frieden und Völkerfreundschaft. Aber Moment mal. Wurde nicht genau dafür auch am Alexanderplatz viele Jahrzehnte lang demonstriert? So weit ist der Planet Louis Vuitton also gar nicht entfernt von uns.








