The Wizard of Vintage

Wer steckte hinter den Outfits von Tina Turner?

Die Hits der jüngst verstorbenen Tina Turner werden uns im Gedächtnis bleiben. Ihre Auftritte im knappen Fummel auch. Eine Würdigung an den Mann, der sie entwarf: Azzedine Alaïa.

Zwei große Künstler 1990 in Paris: Tina Turner und Azzedine Alaïa
Zwei große Künstler 1990 in Paris: Tina Turner und Azzedine AlaïaGuy Marineau/Imago

Der Tod des Rockstars Tina Turner löste einen regelrechten Bilderrausch in den sozialen Medien aus. Viele Erinnerungen an diese schon zu Lebzeiten zur Legende gewordene Sängerin sind verbunden mit ihren zu Kult-Pieces avancierten Bühnenkleidern. Der Mann, der viele von Turners Outfits erfand, hieß Azzedine Alaïa. Der tunesische Designer war eine Besonderheit in der Modewelt, denn er agierte vollkommen unabhängig vom Fashionsystem und dem Schauenkalender. Nach seinem Tod 2017 übernahm Pieter Mulier die Kreativdirektion der Marke Alaïa, die gerade mit der Modernisierung der Codes von Azzedine Alaïa ein grandioses Comeback feiert.

Wer pfiffig ist, vertrödelt jetzt keine Zeit und durchkämmt den Vintagemarkt nach Alaïas legendären hautengen Kleidern, Strickensembles und den atemberaubend perfekt sitzenden Jacken. So ein Piece könnte bald zum Statement unter Kennern werden. Das Verblüffende ist außerdem, dass sich Alaïa-Teile aus den 80er-Jahren wunderbar zu den neuen Modellen Pieter Muliers kombinieren lassen. Das mag an dem Stil des Modeschöpfers liegen, der genau genommen keine Mode kreierte, sondern einen eigenen Stil. Azzedine Alaïa war weltberühmt und dennoch zeitlebens ein Geheimtipp; ein Mirakel, das er bewusst aufbaute, weil er nie im Rampenlicht stehen wollte. Das mag auch der Grund dafür sein, dass er seine Entwürfe nicht auf Fashionweeks zeigte.

Alaïa konnte man auch keiner Gruppe zuordnen. Er passte weder zu den Japanern – obwohl seine Kreationen überwiegend schwarz waren – noch zu den üblichen Pariser Couturiers. Er machte eine Frühjahrs-, eine Winter- und eine Accessoires-Kollektion, und die stellte er vor, wenn sie fertig waren. Er bestimmte den Zeitpunkt, wenn sein Streben nach Perfektion ihm sagte: Jetzt ist es so weit. Er hatte kein weltumspannendes Netz von Boutiquen, sondern sein Atelier im Pariser Stadtteil Marais, das einem Fabrikgebäude ähnelte und zusätzlich zu den Ateliers eine Verkaufshalle und ein Hotel beheimatete. Weltweit arbeitete er mit Einzelhändlern zusammen, mit denen er lange treu verbunden war. Zwischendurch macht er sogar acht lange Jahre gar keine Kollektion, bis er 2009 wieder damit begann. Bereits zu seinen Lebzeiten gehörte seine Firma zwar irgendwann zur Richemont-Gruppe; aber selbst das konnte ihn nicht dazu bewegen, nach rein kommerziellen Vorgaben zu arbeiten.

Azzedine Alaïa war wie ein amüsanter Architekt, der in seinem selbstgebauten Haus wohnt und arbeitet. Bis in die 80er-Jahre hat er in ein und derselben Wohnung in der Rue de la Planche geschlafen, entworfen und genäht. Es war auch der Ort, an dem die Möbel zur Seite geschoben wurden, um den wenigen, extra außerhalb des Kalenders angereisten Journalisten die neuen Kleider vorzuführen – an seinen guten Freundinnen, die allesamt Supermodels waren.

Tina Turner in einem Alaïa-Entwurf, während eines Auftritts bei den Grammy Awards 1985
Tina Turner in einem Alaïa-Entwurf, während eines Auftritts bei den Grammy Awards 1985AP

Alaïas auf den Körper skulpturierte Kleider wurden medial entdeckt, als in den 80ern das große Körperbewusstsein begann. Trotz steigender Nachfrage tüftelte er lieber neue Materialkombinationen und Modelle aus, als sich selbst stets neu zu erfinden. Den immer direkt auf den Körper gestalteten Grundentwurf arbeitete er so teilweise über Jahre aus und entwickelte ihn immer weiter. Er sah den Körper der Frau eben mit den Augen eines Architekten.

Privat war der Couturier stets umgeben von mehreren Hunden, sogar von sehr großen. Obwohl er selbst ungewöhnlich klein; keine 1,60 Meter groß war. Mehr als vierzig Jahre lang lebte er mit dem aus Hamburg stammenden Künstler Christoph von Weyhe zusammen. Von Weyhe wählte auch den Nachfolger Mulier aus, der als langjähriger Assistent von Raf Simons gearbeitet hatte, sowohl zu dessen Diorzeiten als auch bei Calvin Klein. Mulier ist ein brillanter Techniker, der auf innovative Art das weiterführt, was Alaïa begründete.

Dessen alte und neue Kundschaft ist der Marke treu ergeben, fast wie einem kirchlichen Führer. Bei den Accessoires sind vor allem die engen Taillengürtel und seine Handtaschen Bluechips des Vintage-Marktes. Denn: Nicht jeder kann so einen Fummel wie Tina Turner tragen.