Schon wieder ein Buch über Karl Lagerfeld, dachte ich, als die Einladung zur Vorstellung des Anfang März erschienenen Buches „Paradise Now. The Extraordinary Life of Karl Lagerfeld“ ins Haus flatterte. Nach dem Tod des Jahrhundertgenies im Februar 2019 kamen plötzlich diverse Biografien auf den Markt, denn zu Lebzeiten hatte sich Lagerfeld stets allen Autoren verweigert, die über ihn schreiben wollten. Zwar war er immer an Geschichten interessiert, aber nicht an seiner eigenen: So viel Retrospektive sah er als böses Omen, dass sein Leben bald zu Ende ginge.
Was ihn wirklich interessierte, war ohnehin immer nur die Zukunft. Schon in einem frühen Interview, das er 1975 dem Bayerischen Rundfunk gab, hatte er das betont. Und genau das ist der Ansatz, den der amerikanische Autor William Middleton jetzt hat.
Eine Biografie? Zu Lagerfelds Lebzeiten war die Frage tabu
Ein neuer Blickwinkel war auch nötig, denn zur Historie von Lagerfelds Designerleben – über 25 Jahre bei Chloé, 53 Jahre bei Fendi und die Zeit ab 1983 als Chanel-Chefdesigner (neben der Arbeit an hunderten freien Kollektionsprojekten und seinem Namenslabel) – gibt es bereits zwei Bücher, beide erschienen im Herbst 2020: Alfons Kaisers „Karl Lagerfeld: Ein Deutscher in Paris“ und „Karl“ von Marie Ottavi. Der deutsche FAZ-Journalist wie die französische Libération-Fachjournalistin haben Werke vorgelegt, die selbst für Lagerfeld-Experten ein Hochgenuss sind. Beide hatten eine enge Verbindung zu dem Modestar und oft mit ihm zu tun, sie waren genau informiert über das „System Lagerfeld“.

Warum jetzt also noch ein Buch? Die Vorstellung fand Ende Februar an einem Ort statt, der die Ernsthaftigkeit des Projekts unterstrich: der Buchladen 7L in der Pariser Rue de Lille, der von Karl Lagerfeld selbst begründet wurde und heute zu Chanel gehört. Autor Middleton – geboren in Kansas und von sympathischer Freundlichkeit – bekennt einleitend, dass er eher zufällig in der Mode gelandet ist. Seit jeher hätte er von Paris geträumt und sei mit 28 „völlig ahnungslos“ aus New York hier angekommen. Mitte der 1990er wurde er Büroleiter bei Fairchilds WWD (Women’s Wear Daily), damals eine täglich erscheinende Textilfachzeitung ähnlich der deutschen Textilwirtschaft. Die WWD hatte damals Weltgeltung für die Mode, und die Hochglanzversion W stand auf einer Stufe mit Vogue oder Harper’s Bazaar. Damals hatte Middelton mehrfach professionell mit Lagerfeld zu tun. Er betont aber sofort, sein Buch sei nicht nach dem Schema „Karl und ich“ verfasst.
Karl Lagerfeld war ein Universalgenie
Und tatsächlich, schon wenige Leseproben machen klar, was das grundlegend Neue und Lesenswerte an „Paradise Now“ ist. Middleton erfasst beeindruckend nicht nur die Biografie, sondern das, was Karl Lagerfeld eigentlich ausmachte: Dass er auf schier jedem kulturellen Gebiet, auch jenen abseits der Mode, zu Hause war und übergreifend alles erfasste und verknüpfte. Seine Neugierde war unglaublich und er war ein überragender Zuhörer, der aus der Synthese das schuf, was er am meisten liebte, nämlich die mediale Zukunft – nicht nur in der Mode. Das Buch ist so spannend, weil es einem das Gefühl gibt, mit Lagerfeld in einem Raum zu sein. Middletons Zeitzeugen sind so brillant wie glaubwürdig, weil sie wie Virginie Viard (die heutige Chanel-Designerin) oder Bruno Pavlovsky jahrzehntelang eng mit Lagerfeld gearbeitet haben.
Nach der Präsentation fragte ich den Autor, was ihn während der zweijährigen Arbeit an dem Buch am meisten an der Person Karl Lagerfeld fasziniert hat. „Er war ein überraschend herzlicher, an anderen Menschen interessierter, interessanter Mensch“, antwortete Middleton. „Mich hat beeindruckt, wie viele Menschen in den Interviews zu Tränen gerührt waren. Ich würde sagen, dass wahrscheinlich ein Dutzend Leute irgendwann im Interview geweint haben. Karl wurde von so vielen absolut unterschiedlichen Menschen wirklich geliebt. Von jemandem wie Anna Wintour oder Paloma Picasso, aber auch von seinem Butler, der jahrzehntelang mit ihm und für ihn gearbeitet hat.“
Und weiter erzählt Middleton: „Eines Tages ging ich zu Chanel, und da war unten dieser Wachmann. Ich erklärte ihm, dass ich an einem Buch über Karl arbeite, und der Mann sagte: ‚Ich habe ihn einfach geliebt. Er war so ein toller Mensch.‘ Das ist jemand, der dort nur an der Tür arbeitet. Was er sagte, war wirklich glaubwürdig. “
Das Buch „Paradise Now“ ist also deswegen so empfehlenswert, weil es den Kreis um die Person Karl Lagerfeld schließt: Als Versuch, das Universale dieses unersetzlichen Genies zu erfassen.





