Techno, Tanzen, T-Shirts

Ist die Clubszene tot? Dieser Frage widmet sich eine neue Modekollektion

Mit seinem Label MISBHV stellt Thomas Wirski eine Kapselkollektion in Berlin vor. Sie soll die Club-Community feiern – und Geflüchteten aus der Ukraine helfen.

Aus dem Schatten getreten: Dass Techno jetzt auch Thema des Mainstreams ist, findet der DJ gut.
Aus dem Schatten getreten: Dass Techno jetzt auch Thema des Mainstreams ist, findet der DJ gut.Matthias Oertel

Berlin-„Hier geht es nicht bloß um eine Message“, sagt Thomas Wirski – „hier geht’s um Aktivismus.“ Die kleine Capsule Collection, die der Gründer des polnischen Modelabels MISBHV zusammen mit der internationalen Musikplattform Telekom Electronic Beats am heutigen 12. Mai herausgebracht hat, sei eben nicht nur ein Statement – ein Statement für mehr Zusammenhalt in zutiefst irritierenden Zeiten. „100 Prozent der Einnahmen gehen außerdem an die polnische Sektion von Unicef“, werden geflüchteten Kindern zugutekommen, die nicht selten ohne ihre Eltern aus der Ukraine oder aber von den Philippinen nach Polen gekommen sind.

Und trotzdem: Hinter der Kapselkollektion bestehend aus einem Hoodie, einem T-Shirt und einer Basecap steckt auch ein symbolischer Charakter. Das zeigt ja schon das Gedicht der Autorin Irina Baconsky, das auf die Kollektionsteile gedruckt ist: Es handelt vom Loslassen genauso wie vom Umarmen, ist eine Einladung, die eigene Community zu entdecken, in Solidarität und Selbstbewusstsein aufzugehen. „Das Gedicht handelt vom eskapistischen Moment, verweist aber zugleich auf die Realitäten unserer Welt“, so Thomas Wirski. „Insofern reflektiert es vor allem auch die Clubkultur, die vom Eskapismus geprägt und gleichzeitig eine Geburtsstätte einer diversen, progressiveren Gesellschaft ist.“

Das T-Shirt mit dem aufgedruckten Gedicht kostet 99 Euro.
Das T-Shirt mit dem aufgedruckten Gedicht kostet 99 Euro.MISBHV

Thomas Wirski muss es wissen. Nicht nur gehören die sportiv geprägten Teile seines Modelabels MISBHV, das er 2014 zusammen mit seiner Partnerin Natalia Maczek in Polen gegründet hat, sozusagen zur Uniform eines internationalen Techno-Publikums. Als DJ steht Wirski auch selbst oft hinter den Turntables – und somit mittendrin in einer Subkultur, die unlängst ihre eigene Fragilität erkennen musste. Nach zwei Jahren der Schließungen und Lockdowns durch die Corona-Pandemie sei es nun an der Zeit, wieder kollektive Erfahrungen zu sammeln, „die Community zu feiern“, wie Thomas Wirski sagt.

Die Grenzen zwischen Mainstream und Subkultur verschwimmen

Dass die Capsule Collection am 12. Mai ausgerechnet im Concept Store Superconcious auf der Torstraße vorgestellt wurde, ist natürlich kein Zufall. „Berlin ist noch immer die Techno-Hauptstadt und viele unserer Freunde aus der Szene leben und arbeiten hier, zum Beispiel Keinemusik, FJAAK oder Dixon“, so Wirski. Die aktuell populäre Annahme, dass die goldene Zeit der Berliner Feierszene – überhaupt das Clubbing  vorüber sei, will er dementsprechend nicht gelten lassen. „Was vorbei sein mag, ist die strenge Unterscheidung zwischen Mainstream und Subkultur“, sagt er, das technogetränkte Nachtleben habe sich entwickelt hin zu einer ernstzunehmenden Kulturströmung, die sich nicht mehr über Exklusivität, sondern über seine Offenheit definiert.

Peace: Das Make-Up auf den Modefotos stammt von Visagistin Janina Zais.
Peace: Das Make-Up auf den Modefotos stammt von Visagistin Janina Zais.Matthias Oertel

In der Mode ist das tatsächlich schon länger abzulesen: Längst haben Trends und Codes, die vorher hinter den dicken Clubtüren im Nebelnichts verschwunden sind, auch die Massen erreicht. Gabber-Hosen, Spandex-Shirts und Tech-Sneaker sind selbst für Vogue und Harper’s Bazaar ein Thema. Genau wie das technoide, digitale Modebild, dessen sich auch MISBHV und Electronic Beats für ihre Kollaboration bedienen: Die Modeteile, die von 65 Euro für die Cap über 99 Euro für das Shirt bis zu 225 Euro für den Hoodie kosten, werden eben nicht nur an Models aus Fleisch und Blut präsentiert.

Realität und Digitalität gehen nonchalant ineinander über

Zwar gibt es auch klassischere Lookbook-Bilder des Fotografen Matthias Oertel. Darüberhinaus haben das Modelabel und die Musikplattform für Visualisierungen auch mit Trashymuse kollaboriert – einer multidisziplinären Agentur aus Berlin, die zum einen digitale Modebilder der Kollektion erstellt hat, auf denen ein Model aus Pixeln die Entwürfe der Kollektion trägt. Darüber hinaus haben die Macherinnen und Macher von Trashymuse auch rein digitale Modeteile entwickelt, mit denen sich theoretisch Avatare einkleiden ließen. Tatsächlich ist die Digital Fashion derzeit auf dem Vormarsch – große Marken wie Moschino oder Versace bieten Designs für Videospielfiguren an, Digitalagenturen entwickeln virtuelle Kleidungsstücke, die sich kaufen und zum Beispiel auf Fotos der Kundinnen und Kunden übertragen lassen.

Die Basecap der Capsule Collection ist für 65 Euro zu haben.
Die Basecap der Capsule Collection ist für 65 Euro zu haben.MISBHV

Dass die Pixel-Mode echten Kleider bald den Rang ablaufen könnte – eine Prognose, die manche Trend-Analysten und Modeexpertinnen aktuell tatsächlich treffen – befürchtet Labelgründer Thomas Wirski indes nicht. „Das Digitale löst nicht die Realität ab, beides gehört untrennbar zusammen“, sagt er. „Auch die digitale Ebene ist doch ein echter Teil der Welt, beides überschneidet sich überall, in vielen Produkten, in der Lebensrealität der Menschen, den Dingen, die sie umgeben.“ Dementsprechend sei die Idee, neben Kollektionen aus Stoff und Garn auch ein digitales Modeangebot zu schaffen, für sein Label MISBHV derzeit durchaus ein Thema.

Aber ist es in schwierigen Zeiten wie diesen, geprägt von Krieg und Krise, Krankheit und Verwerfung überhaupt noch angebracht, sich intensiver mit der Mode auseinanderzusetzen? Und wenn ja – geht das dann nur mit einem sozialen Anspruch, wie ihn ja die Kollaboration von MISBHV und Electronic Beats nun formuliert? Man mag die Mode gerade jetzt als frivole Dekadenz missverstehen, „aber ich glaube fest an die Relevanz von Kunst und Poesie, gerade in ermüdenden Zeiten“, sagt Thomas Wirski und bemüht Bertolt Brecht als einen Beleg: „In den finsteren Zeiten, wird da auch gesungen werden?“, zitiert der DJ den Dramatiker. „Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.“

Die limitierte Kollektion von MISBHV und Telekom Electronic Beats ist ab dem 12. Mai im Superconscious Store auf der Torstraße 72. Zum Launch gibt es an diesem Tag ein offenes Event mit DJ-Sets von Tomek Wirski und Raven - und mit Drinks natürlich.