Berlin-Mitten im Rave-Revival startete das Berliner Pärchen Victoria Vassiliki Daldas und Theo Zeitner vor zwei Jahren sein Musikprojekt Brutalismus 3000. Seitdem haben die beiden eine Clubkarriere hingelegt, die man gut und gerne als steil bezeichnen kann. Mit ihren brachialen Gabber- und Hardcore-Performances treffen sie weltweit auf eine ausgehungerte Club-Community, die nach der Pandemie endlich wieder feiern will und für die kein Sound unbarmherzig genug sein kann. Brutalismus 3000 liefern dazu den Look der Stunde, der sie bei der Generation Balenciaga zu Style-Ikonen macht. In unserer Interview-Reihe beantworten Victoria und Theo zehn Fragen über Mode.
1. Welche Lieblingskleidungsstücke haben Sie momentan?
VICTORIA: Meine hellgraue Delta-Bomberjacke, meine Vintage Strass-Sonnenbrille von Miu Miu und dazu die 1DR-Diesel-Handtasche aus der neuen Kollektion. Generell trage ich lieber weite Sachen und finde, dass mit oversized Jacke und Sonnenbrille jedes Outfit gut aussieht. Natürlich ist so ein Look nach einem langen Wochenende mit vielen Shows kein Nachteil. Die Sonnenbrille verdeckt das halbe Gesicht, die Bomberjacke und das baggy Outfit verdecken den Rest.
THEO: Ich habe eigentlich nur ein paar Kleidungsstücke – die ich bis zum Erbrechen trage, bis ich dann zu etwas Neuem wechsle. Gerade ist das ein oversized Jil-Sander-Shirt, eine baggy Fubu-Vintagejeans und die „Symbole“-Sonnenbrille von Prada. All-Time-Classic ist wie bei Victoria eine Bomberjacke. Ich glaube, ich habe seit etwa zehn Jahren keine andere Jacke mehr getragen.
2. Ihre Musik scheint stark inspiriert von der Techno-Bewegung der 90er-Jahre, genauso wie Ihr Look. Das ist gerade super angesagt. Was interessiert Sie besonders an dieser Subkultur?
THEO: Stark inspiriert würde ich eigentlich nicht sagen. Natürlich ist unser Sound irgendwo in der Techno-Bewegung verwurzelt, unsere uns bewussten Inspirationsquellen liegen aber größtenteils woanders. Freischwebend irgendwo zwischen DAF und Blümchen, mit starkem Einfluss aus der Gabber- und Hardstyle-Szene. Generell sind wir ja beide auch sehr von Punk angetan und wir versuchen etwas davon in die leicht festgefahrene Techno-Welt zu bringen. Das wird nochmal stärker bei unserer neuen EP „Eros Massacre“ zu hören sein. Unser Look hat so viele verschiedene Quellen, dass ich das nicht nur einer einzigen Bewegung zuordnen kann, eigentlich wie unsere Musik.
VICTORIA: Natürlich waren wir super viel feiern in Berlin und waren von der Musik inspiriert, aber gleichzeitig auch etwas gelangweilt. Wir wollten dann etwas eigenes, Punkigeres mit slawischen Vocals kreieren. Insgesamt haben wir eine gewisse „Edginess“ in dem, was wir in den Clubs zu hören bekommen haben, vermisst. Wir haben unser Projekt anfangs ziemlich spontan gestartet, im Schlafzimmer mit Socke über dem Mikrofon. Gleich beim ersten Track war klar, dass es sich irgendwie anders anhört. Tatsächlich hatten wir bereits unser „Brutalismus 3000“-Partner-Tattoo, noch bevor wir überhaupt den ersten Track released haben. Wir waren uns wohl schon von Anfang an sicher, dass dieses Projekt etwas Besonderes ist und dass es uns länger beschäftigen wird.
3. Mittelscheitel, Arschgeweih, Bauchnabelpiercing … was sind Ihre Lieblingstrends von damals?
VICTORIA: Die meisten Trends finde ich eigentlich mittlerweile ziemlich overused, weil sie schon lange im Mainstream angekommen sind. Mini-Handtaschen, Y2K-oversized Sonnenbrillen und klobige, weite Skaterschuhe oder Plateauschuhe aus den Neunzigern werde ich wahrscheinlich trotzdem immer tragen und dazu Pitbull hören. Zu Myspace werde ich aber wohl nicht mehr zurückkehren.
THEO: Ich weiß mittlerweile eigentlich gar nicht mehr, was von damals kommt und was neu ist. Eigentlich will ich das auch gar nicht wissen. Über solche Sachen mache ich mir keine Gedanken.

4. In den 90er-Jahren und den beginnenden 2000ern spielte Ironie eine große Rolle – in der Mode, der Musik, generell in der Kultur. Welche Rolle spielt Ironie in Ihrem Werk?
THEO: Ich bin zwar Mitte der 90er-Jahre geboren, sehe mich aber als 2000er Kind. Die erste CD, die ich besessen habe, war „Crazy Frog“ von Axel F, dementsprechend spielt Ironie und Trash eine große Rolle in meiner musikalischen Bildung. Wie zum Beispiel in unserem Track „Die Umwelt macht Bum“. Obwohl wir unsere Tracks eigentlich ziemlich ernst nehmen, kann man mit Ironie auch sehr wichtige Themen ansprechen. Wie bei „Good Girl“ zum Beispiel. Der Text sollte offensichtlich alles andere als wörtlich verstanden werden. In meiner Kleidung spielt Ironie hingegen kaum eine Rolle. Sachen, die ich früher ironisch getragen hätte, trage ich jetzt total überzeugt. Leute, die behaupten, sie tragen etwas ironisch, wollen sich nicht eingestehen, dass es ihnen ernsthaft gefällt – was ja überhaupt kein Problem ist.
VICTORIA: In unserem neuen Track „Bitchboss“ kommt das genauso zur Sprache: „I am so ironic - superfuckingsonic“.
5. Sie haben eine eigenen Merchandise-Kollektion, inwieweit sind Sie in die Entwicklung involviert?
VICTORIA: Unsere erste Merch-Kollektion haben wir im Dezember 2021 herausgebracht. Das Frontlogo wurde von Studiotoussaint, einer guter Freundin und unglaublich talentierten Grafikdesignerin entworfen. Der Brutalismus-3000-Schriftzug wurde von ihr ursprünglich für unsere „Liebe in Zeiten der Kola“-EP designed, der zweiten EP unserer „Liebe Trilogie“. Ein Frontdesign der Kollektion ist eine Weltkugel mit „gabber-tanzenden“, cartoonartigen Charakteren, den Rücken ziert der Schriftzug: „Gabber Punks Unite. Letzter wurden von zwei weiteren, sehr guten Freunden entworfen, den in Berlin lebenden Tattoo Artists Goldlint und 6kerker9.
Das T-Shirt besteht aus 100 Prozent organischer Baumwolle, wurde aus nachhaltigen Gründen in Berlin bedruckt und hat natürlich einen Oversized Cut, wie alles bei uns. Auch beim finalen Fotoshoot waren wir und weitere Freunde zu 100 Prozent involviert, da wir solche kreativen Prozesse nie aus der Hand geben würden. Die T-Shirts waren sofort ausverkauft. Wir arbeiten momentan an eigenen Schnitten, da dies beim letzten Drop noch nicht möglich war. Ende des Jahres kommen zwei neue Design-Stücke als limitierter Drop heraus, die man dann wieder in unserem Online-Shop kaufen kann. Wann genau, werden wir auf Social Media bekannt geben. Da wir uns momentan noch im kreativen Prozess befinden, stehen die Prints und Stitchings noch nicht ganz fest. Generell steht auch die Idee im Raum, eine eigene Modelinie unter B3000 herauszubringen. Und alles, was wir herausbringen, würden wir natürlich auch selbst tragen!

6. Mit welchen Modelabels oder Designern würden Sie gern mal zusammenarbeiten?
VICTORIA: Mit Demna, dem Creative Director von Balenciaga. Ich liebe die übertriebenen und visionären Silhouetten – oversized, gewagt und genderfluid. Außerdem war die Prêt-à-porter-Show für nächsten Herbst/Winter nicht nur Modenschau, sondern auch politische Kritik. Das hat mich auf vielen Ebenen inspiriert. Aber auch die aktuelle Diesel-Kollektion von Glenn Martens, die starke Einflüsse aus den Neunzigern und Nullerjahren zeigt, hat mich überrascht. Ich habe mir davon gleich zwei neue Pieces gekauft.
Es gibt viele aufregende Brands, Designer und Designerinnen momentan: Luis de Javier, Ninamounah, ABRA oder Haramwithsugar, die Berliner Designerin und Freundin von uns. Sie stellt Corsagen, Kleidungsstücke und andere Accessoires aus gebrauchten Sneakern her und dreht damit dem herkömmlichen Konsumverhalten den Rücken zu. Insgesamt können wir uns natürlich sehr gut vorstellen, mit DesignerInnen zu kollaborieren, die unsere Ästhetik, Ansichten und Werte teilen.
7. Wenn Sie eine dieser Marken in einen Track einbauen müssten, wie wäre der Text?
THEO: Wenn ich irgendwelche Marken in unsere Tracks einbauen müsste, würde ich wohl meinen Werdegang überdenken.
8. Welchen Modetrend mögen Sie gar nicht im Moment?
VICTORIA: Naja, es gibt viele Stücke, die mir nicht gefallen. Aber wenn mir Trends an mir selbst nicht gefallen, heißt das ja nicht, dass es an jemand anderem nicht gut aussieht. Meine Looks bestehen meistens aus Vintage-Stücken, kombiniert mit Designer-Accessoires. Cool kombiniert, könnte man wohl jeden Trend rocken. UGG-Boots mit Salzrand sollte wohl trotzdem jeder aus dem Kleiderschrank verbannen.
THEO: Für mich geht eigentlich nur dieser „Modern Hippie Style“ gar nicht. Obwohl ich relativ tolerant bin, respektiere ich einfach niemanden in Goa-Pumphosen! Das könnte aber auch an meiner generellen Aversion gegenüber Hippies liegen. Ich fand dieses „Love and Peace“ eigentlich schon immer ein bisschen zu pathetisch und im Weltgeschehen fehl am Platz. Aber durch die während der Pandemie aufkeimenden Querdenker-Hippie-Nazis hat sich das zu einer generellen Abneigung geformt.
9. Was ist Ihre preisliche Schmerzgrenze bei einem Kleidungsstück?
VICTORIA: Kein konkreter Kommentar hierzu. Aber ich muss wirklich sagen, dass ich sehr viele Vintage-Stücke besitze, die ich für sehr kleines Geld auf Kleinanzeigen, Vinted oder Depop gekauft habe. Generell gebe ich sehr selten Geld für Fast Fashion aus, Gründe sind unter anderem fehlende Nachhaltigkeit, schlechte Arbeitsbedingungen und Qualität. Für ein Designer- oder Designer-Archive-Piece würde ich auch mal mehr ausgeben. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man auch mit sehr kleinem Budget einen einzigartigen, kreativen Look zusammenstellen kann.
THEO: Das kommt stark drauf an. Ich habe mir bis vor kurzem eigentlich nie teure Klamotten gekauft. Wenn ich ganz ehrlich bin, wird sich meine Einstellung dazu wohl parallel zu unserem Einkommen entwickeln.
10. Wie unterscheidet sich Ihr Tages-Outfit von dem bei Ihren Auftritten im Club?
VICTORIA: Wenig, um ehrlich zu sein. Deswegen schämen sich meine Eltern auch meistens, wenn ich an Weihnachten nach Hause komme und mit Ihnen durch die Kleinstadt spaziere.
THEO: So gut wie gar nicht. Wir sind on- und off-stage eigentlich die gleichen Menschen. Auch bei unseren Shoots tragen wir immer unsere eigenen Klamotten. Da unsere Musik ein Ausdruck unserer Persönlichkeit ist, wollen wir auch gar keine Differenz zwischen Bühne und Every Day Look.


