Berlin/Paris-Wenn Louisa Pillet alias Louisahhh aus Paris ein DJ-Set in Berlin spielt, dann weiß der erfahrene Clubgänger, dass er jetzt entweder tanzen oder gehen muss. Techno ist eben Musik, die keine Kompromisse macht. Es sei denn – man holt Techno aus dem Club, um ihn in den Ohren der Gäste eines feinen Dinners des französischen Modehauses Givenchy zu platzieren. So geschehen vor ein paar Wochen auf der Pariser Fashion Week, als Louisahhh einen brutalistischen Mix zum Besten gab, während die Geladenen an der Tafel saßen und speisten.
Der Grund für dieses Ereignis war sicher die Freundschaft, die Louisahhh mit Matthew Williams, dem Kreativdirektor von Givenchy, verbindet. Aber auch ihr Status als gefeierte Musikerin, die einst aus den USA nach Europa zog, weil sie dem Publikum ihrer Heimat nicht kommerziell genug war. Eine gute Entscheidung, die Louisahhhs Karriere maximal ins Rollen brachte und sie zu einem der gefragtesten weiblichen DJs machte. Erst kürzlich wurden die Tracks ihres diesjährigen Debütalbums „The Practice of Freedom“ von Berghain-Stars wie Imogen oder der französischen Elektronik-Legende Vitalic geremixt, und eines ihrer Sets wird aktuell auf Arte.tv gestreamt, die kulturelle Adelung schlechthin! Außerdem moderiert sie ihren eigenen Podcast „Sober Sex“, in dem es um Identität und Weiblichkeit geht – denn das sind Themen, die sie neben ihrer musikalischen Botschaft vermitteln will. Dass Mode dabei eine große Rolle spielt, liegt auf der Hand.
1. Wie oft ziehen Sie sich am Tag um?
Ich bin der Albtraum jeder Waschmaschine! Erst ziehe ich meine Schlafsachen aus und dann meine Sportsachen an, um vor dem Morgengrauen zu trainieren. Danach ziehe ich meine Reitkleidung an, fahre mit dem Fahrrad zu den Pferden und reite eine Runde. Wenn ich wieder zu Hause bin, dusche ich und ziehe mich für „draußen“ an. Wenn ich jemanden treffe, ist das normalerweise eine Stüssy-Hose, ein Tank-Top, Sweatshirt oder Longsleeve. Wenn mich niemand sieht und ich allein kreativ vor mich hin arbeite, dann ziehe ich mich für „drinnen“ an: Leggings oder Jogginghose und ein bissiges Sweatshirt aus meiner Sammlung. Wenn ich am Abend einen Auftritt habe, bediene ich mich aus meinem zusätzlichen Set an Kleidung für diesen Zweck.
2. Welches ist Ihr liebstes Kleidungsstück momentan?
Ich habe gerade einen maßgefertigten Blazer von Florian Mathé aus Berlin aus schwarz bis transparent changierendem Latex bekommen, mit einer passenden Halterung für meine In-Ear-Kopfhörer! Der Blazer ist für Live-Auftritte gedacht und er war eine ziemliche Investition. Aber ich freue mich so sehr, darin aufzutreten. Ich liebe das Ritual, mich für eine Show oder ein DJ-Set anzuziehen – und dieses Teil gibt mir das Gefühl, sexy und kraftvoll zu sein. Und bereit zu brüllen.
3. Vor kurzem haben Sie ein T-Shirt in Zusammenarbeit mit Alyx, der Marke des Givenchy-Kreativdirektors Matthew Williams, herausgebracht. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin seit vielen Jahren ein großer Fan der Arbeit von Alyx und Matthew und hatte das Glück, in dieser Saison auf einigen Events für Givenchy aufzutreten. Ich habe auch auf der ersten Party von Alyx auf der Pariser Fashion Week 2017 gespielt, seitdem bin ich in die Marke verliebt. Ich bin dankbar, dass ich Matt einen guten Freund nennen darf. Die erste Single aus meinem Debütalbum hat den Refrain ‚Instrument of/ Chaos, Love‘ und die Frühjahrskollektion 2017 von Alyx hieß ‚Love/Chaos‘. Das war eine coole Gelegenheit für eine Kollaboration. Also haben wir das T-Shirt aus der Kollektion neu aufgelegt und spenden damit gleichzeitig an eine Wohltätigkeitsorganisation namens The Okra Project. Ich freue mich sehr, dass Matt einverstanden war und wir das Projekt verwirklichen konnten. Ich schätze das ästhetische Universum von Givenchy und die Geschichte der Marke sehr. Ich lieben den Charakter dieser Kleidung, der sich einerseits herausfordernd und hart anfühlt, aber dabei super raffiniert und anspruchsvoll ist.
4. Sie wurden kürzlich auf der Pariser Modewoche für einige Givenchy-Dinner gebucht, das sind ja in erster Linie keine typischen Techno-Veranstaltungen. Welche Überlegungen haben Sie im Vorfeld bezüglich der Musikauswahl angestellt?
Ehrlich gesagt ist es für einen DJ eine interessante Herausforderung, bei einem Abendessen aufzulegen. Die Fähigkeiten, die man braucht, um Leute in einem Club zum Tanzen zu bringen, sind in diesem Umfeld völlig unbrauchbar. Für diese Dinner-Events habe ich den Fokus darauf gelegt, eine bestimmte Energie oder ein Ambiente zu schaffen, das dem Charakter des Hauses und Matthews persönlichem musikalischem Universum entspricht. Ich weiß, dass diese Aspekte beim Erschaffen einer Kollektion ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind. Auch wollte ich die Zielgruppe ansprechen, die von der Marke bedient wird. Außerdem war es natürlich wichtig, im Raum eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Leute essen und sich ungestört unterhalten konnten. Für mich war das eine Übung in subtilen Entscheidungen und unterschwelliger Kontrolle! Es hat Spaß gemacht, weil ich diese Herangehensweise nicht gewohnt bin. Normalerweise bringe ich ja die Gesichter der Leute mit Lärm zum Schmelzen.
5. In der Mode erleben wir gerade einen starken 90er-Jahre-Trend. Das bringt auch den Techno zurück. Würden Sie dem zustimmen?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe das Gefühl, dass wir seit einigen Jahren ein kommerzielleres Wiederaufleben von Techno erleben. Und wir haben starke weibliche Protagonisten wie Nina Kraviz, Amelie Lens und Charlotte DeWitte als Headliner auf den großen Bühnen der Welt. In einem vielleicht eher modischen, „subkulturellen“ Kontext hört man einen härteren Sound, Rave, Trance, schnelle und melodische Musik. Das hören die cool kids und das erinnert sowohl klanglich als auch ästhetisch sehr stark an die 90er-Jahre.
6. Arbeiten Sie abgesehen von Ihrer besonderen Verbindung zu Givenchy auch mit anderen Modemarken zusammen?
Ich hatte auch die Gelegenheit, mit Marken wie Balenciaga, Louboutin, Paco Rabanne, Sonia Rykiel, MSBHV, Chanel und Nike zu arbeiten. Es ist immer cool, wenn sich die Welten der Mode und der Musik kreuzen, und ich bin froh, dass ich gelegentlich an dieser Kreuzung abhängen kann. Ich habe auch mit Virgil Abloh gearbeitet, dem ich einen Großteil meiner Präsenz in der Modebranche zu verdanken habe, seit wir uns 2013 trafen und Freunde wurden. Er war der Erste, der mich auf solche Partys brachte, seine Unterstützung bedeutete mir sehr viel. Er war so inspirierend, neugierig, enthusiastisch, großzügig und fröhlich. Sein Tod hat den vielen Menschen, die ihn geliebt haben, das Herz gebrochen, mich eingeschlossen. Es fühlt sich so an, als wäre die Welt ohne sein Strahlen eine dunklere. Ich hoffe nur, dass wir sein Strahlen weitertragen können und sein Vermächtnis im Sinne des Miteinanders, der Disruption und Hoffnung lebendig halten. In diesem Sinne war er einzigartig, und es ist sehr, sehr traurig, dass er von uns gegangen ist.
7. Wenn Sie Berlin und Paris bezüglich des Modestils vergleichen, was fällt Ihnen zuerst ein?
Paris kommt mir in Sachen Mode ziemlich konservativ vor, sehr luxusorientiert, eine Mentalität, die sich auf hochwertige Grundnahrungsmittel für den Kleiderschrank stützt. In Berlin ist der Stil viel mehr auf Clubwear ausgerichtet, mehr fetisch-inspiriert, weniger High Fashion. Beides ist sehr cool. Als New Yorkerin, die in Paris lebt, habe ich das Gefühl, irgendwo zwischen diesen beiden Polen zu oszillieren.
8. Sie ändern Ihre Frisur sehr oft, im Moment tragen Sie einen Vokuhila. Ändert jede neue Frisur auch die Art, wie Sie sich kleiden?
Ach ja, mein gesegneter Vokuhila. Manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Haarschnitte eine Ausrede sind, verschiedene Seiten von mir auszuleben und mich als diese Charaktere in mir zu verkleiden, aber das geschieht eher unbewusst. Meine Garderobe wurde sehr rude boy, als ich einen Chelsea hatte (die Frisur der Renees, Anm. d. Red.), und ich trug mehr Make-up, weil ich ja kaum Haare hatte. Mit der vollkommen irren Vokuhila-Dauerwelle kleidete ich mich wie ein Kind, das zu einem Nascar-Rennen geht (Radlerhosen, riesige T-Shirts, verspiegelte Fahrradsonnenbrillen). Im Moment arbeite ich mit einem kleinen punkigen Entenschwanz, der ziemlich vielseitig ist. Wir werden sehen, wie es weitergeht.
9. Welchen Trend mögen Sie gar nicht im Moment?
Die Rückkehr der Looks der frühen 2000er-Jahre, wie die tief sitzenden Bootcut-Jeans und die schmalen Augenbrauen. Das bringt traumatische Erinnerungen an meine Zeit als unbeholfener Teenager zurück. Starke Abneigung!
10. Was ist Ihre preisliche Schmerzgrenze bei einem Kleidungsstück?
Ich habe eine niedrige Schmerzgrenze, wenn es darum geht, Geld für Kleidung auszugeben. Ich ziehe es vor, Dinge von meinen Lieblingsmarken als Gegenleistung für meine Arbeit zu bekommen – und ich mache sehr gute Arbeit!



