Berlin/Portugal-Richie Hawtin gehört zu den best bezahlten Techno-DJs der Welt. Er nennt mehrere Musiklabel sein Eigen, besitzt eine Ehrendoktorwürde an der University of Huddersfield in England, eine Sake-Bar in Kreuzberg – und mit seinem kompromisslosen Look ist er längst eine Stilikone. Der belgische Modedesigner Raf Simons ist einer seiner größten Fans, er höre „Hawtin wie andere Klassik“, sagt er. Für ihn sei Hawtins musikalischer Einfluss mit dem von Kraftwerk seinerzeit vergleichbar.
Als Simons vor etwa einem Jahr seine Tätigkeit als Co-Creative Director bei Prada antrat, dauerte es dann auch nicht lange, bis er Hawtin mit den Soundtracks für die Modeschauen der italienischen Luxusmarke beauftragte. Wegen der pandemischen Restriktionen mussten die Schauen als Videos produziert werden – und Hawtin wurde Teil einer kreativen Blase rund um Raf Simons, Miuccia Prada und den Architekten Rem Koolhaas, in die er perfekt passte. Im Interview spricht er über die Erarbeitung der Musik für Prada, seinen manchmal missverstandenen Haarschnitt und was er am liebsten trägt.
1. Wie oft ziehen Sie sich am Tag um?
Mein Standard-Outfit besteht aus einer gut sitzenden Jeans und einem T-Shirt, beides in Schwarz. Dieser Look ist vielseitig, da man ihn in fast jeder Situation tragen kann – selbst wenn es sich um einen etwas eleganteren Anlass handelt, da ich immer die „Künstlerkarte“ ziehen kann. Aus diesem Grund trage ich normalerweise von morgens bis abends die gleichen Sachen. Das ändert sich, wenn ich auf Tournee bin und viel reise. Dann trage ich eigentlich immer zwei Sets dieses schwarzen Looks, eins unterwegs und das andere auf der Bühne. Beide Outfits sind im Grunde genommen gleich, der Bühnen-Look sitzt aber etwas enger, um eine gute Silhouette vor den Scheinwerfern im Hintergrund zu haben.
2. Welches ist Ihr liebstes Kleidungsstück momentan?
Das ist einfach, denn ich trage eigentlich jeden Tag mindestens ein Teil der Marke Frenckenberger Cashmere. Fühlt sich toll an und sieht toll aus.
3. Sie komponieren mit Ihrem Projekt Plastikman seit einiger Zeit die Musik für die Modenschauen von Prada, wie geht das vonstatten?
Es fängt immer einige Wochen vor der Präsentation an. Dann führe ich mit Raf Simons lange, intensive Gespräche, in denen es um die Kollektion, die Details und das Konzept der Show geht. In diesen Konversationen entwickeln wir die Idee für die Musik. Oft dienen bestimmte Songs, Künstler oder Filme als Referenz für die Stimmung, die Miuccia und Raf in der Show transportieren wollen. Rem und ich sprechen nie direkt miteinander, aber seine frühen Entwürfe des Bühnenbildes sind Teil des kreativen Prozesses. Die Architektur der Räume ist ein wichtiger Faktor, der mir auch bei der Visualisierung von Klang- und Frequenzideen hilft. Danach beginne ich mit der Arbeit und fertige Klangskizzen von dem, was ich in den Gesprächen verstanden habe. Von diesem Zeitpunkt an tauschen Raf und ich uns täglich, manchmal stündlich darüber aus, wie wir die Ideen verfeinern und die Kollektion, die Architektur und die Musik in eine kohärente Form bringen können.
4. Prada hat vor kurzem Fotos von Ihnen auf Instagram gepostet, die bei einem Shoot für das italienische T-mag entstanden sind. In den Kommentaren haben sich viele Leute über Ihren Look aufgeregt und Sie mit Hitler in Verbindung gebracht. Wie sind Sie damit umgegangen?
Das Problem mit den sozialen Medien ist, dass sie Stimmen verstärken können, die nicht die Mehrheit repräsentieren. Die meisten von uns können über diese seltsamen Meinungen und Gedanken nur den Kopf schütteln. Ich würde sagen, diese Situation ist ein gutes Beispiel dafür, wie gefährlich dieses Medium für Menschen sein kann, die alles für wahrhaftig halten, was sie lesen.
5. Würden Sie sich jemals eine andere Frisur zulegen?
Als Künstler braucht man einen starken Look. In den 90er-Jahren hatte ich den Hawtin-Look mit Glatze und Brille, der für einige immer noch der Look von Hawtin ist. In den 2000er-Jahren kehrte ich dann zu meinem Alternative/Goth-Teenagerlook zurück, der inzwischen zu meinem Markenzeichen geworden ist. Würde ich ihn ändern? Ha, fragen Sie meine Frau. Ich mache sie schon ganz verrückt damit, weil ich immer wieder davon rede, meine Frisur zu ändern, und es dann doch nie tue. Ich schätze, ich werde den Schnitt so lange haben, wie die Haare noch wachsen. Und dann werde ich mich zurückentwickeln (oder weiter, wie mans nimmt), hin zu diesem ebenso starken 90er-Jahre-Look, und den Spieß wieder umdrehen. Für alle meine Fans! Man muss sich das mal vorstellen, in den 2000er-Jahren, als ich mir die Haare länger wachsen ließ, beschwerten sich die Fans bei den Clubbesitzern, dass der DJ am Pult nicht Richie Hawtin sei, und wollten ihr Geld zurück. Ich schätze, sie hätten erst mal meinem Set zuhören sollen, anstatt vorschnelle Schlüsse zu ziehen.

6. Hatten Sie zu Prada schon einen Bezug, bevor Sie anfingen, für die Marke zu arbeiten?
Natürlich!!! In den 90er-Jahren, in denen ich mich künstlerisch stark weiterentwickelte, wurde mir immer bewusster, wie wichtig Mode als ästhetischer Vermittler gegenüber meinen Fans sein konnte. Prada war eine der ersten Marken, die etwas in mir auslösten, weil das Design und die Silhouetten die perfekte visuelle Ergänzung der minimalistischen Musik waren, für die ich bekannt wurde. Deshalb habe ich auch keine Sekunde gezögert und sofort die Chance ergriffen, mit Prada zusammenzuarbeiten. Zudem war es Raf, der mich anrief. Mit ihm hatte ich schon zuvor zusammengearbeitet, und deshalb wusste ich, dass er meine Arbeit versteht und schätzt.
7. Welchen Trend mögen Sie gar nicht im Moment?
Übertriebenes Branding.
8. Wie oft sortieren Sie Ihren Kleiderschrank aus und wo landen die Sachen?
Jedes Mal, wenn wir umziehen, sortieren wir aus. Ich merke dabei immer wieder, wie viele meiner Kleidungsstücke mich an ganz bestimmte Momente in meinem Leben erinnern. Und meistens an die meiner DJ-Karriere. Bestimmte Partys, Tourneen und Erlebnisse scheinen in einige wie eingebrannt zu sein, sodass man sie eigentlich unmöglich wieder tragen, aber auch nicht wegwerfen kann. Wenn es Stücke gibt, an denen wir nicht mehr hängen, dann bieten wir sie zuerst Freunden an oder bringen sie in einen guten Secondhandladen. Der Gedanke, Kleidung einfach wegzuwerfen, fühlt sich unangenehm an.
9. Im Restaurant hat der Kellner aus Versehen Rotwein auf Ihr weißes Prada-T-Shirt geschüttet, was tun Sie?
Abwischen, Essen genießen und hoffen, die nächste Flasche Wein (oder das ganze Essen) geht aufs Haus. Ich will damit sagen: Unfälle passieren. Also entspannen Sie sich, genießen Sie das Leben, denn: Wir leben nur einmal!
10. Was ist Ihre preisliche Schmerzgrenze bei einem Kleidungsstück?
Schon als Teenager hatte ich eine Schwäche für krasse Jacken. Mein Portemonnaie hat das allerdings auch geschwächt. Ich erinnere mich daran, wie ich in den frühen Rave-Tagen der 90er-Jahre einen Haufen D-Mark verdiente und ein paar Tausender für eine Metallic-Jacke von Sabotage ausgab. In einer coolen neuen Jacke fühlt man sich einfach immer großartig.

Am 18./19. August 2021 im Blatt:
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