Stilkritik

Herbst in Berlin: Diese Klamotten bleiben bitte im Schrank

Merkwürdige Jacken-Zwischenlösungen und viel zu klobige Schuhe: Diese Teile gehören endgültig aus der Herbstgarderobe verbannt. Eine Stilkritik.

So nervig wie das Wetter: Diese Kleidungsstücke haben diesen Herbst endgültig ausgedient.
So nervig wie das Wetter: Diese Kleidungsstücke haben diesen Herbst endgültig ausgedient.Bernd März/IMAGO

Die Frage, ob man sich in der warmen oder in der kalten Jahreszeit besser anziehen kann, spaltet die Geister der Modeinteressierten. Die einen lieben Layering, Mäntel und gedeckte Farben, die anderen sehnen sich nach Leinen und offenen Schuhen. Fest steht aber: Uns kann man es ohnehin nicht recht machen – irgendetwas gibt es immer auszusetzen.

Von spießigen Übergangsjacken über zu gewollt aussehendes Kunstleder bis hin zu merkwürdig gewickelten Schals: Unsere Stilkritik richtet sich an all die Herbstmoden, die besser heute als morgen von den Straßen Berlins verschwinden sollten.

Völlig losgelöst: Setzt eure Mützen bitte richtig auf!

Eigentlich ist es doch gar nicht sooo kompliziert: Man nehme eine Mütze, platziere sie mittig auf dem Kopf und ziehe sie bis über die Ohren. Das Ergebnis: ein warmes Haupt und unter Umständen sogar ein stilvoller Auftritt, der einem Komplimente einbringt. Doch offenbar ist diese simple Funktionsweise noch nicht überall angekommen – vor allem nicht bei den besonders hippen Herren aus Mitte und Prenzlauer Berg.

Dort scheint die Mütze weniger wärmendes Accessoire als modisches Statement zu sein. Ganz gleich, ob grob gestrickt oder fein gewoben, mit auffälligem Bommel oder ohne, in Signalorange oder einem gedeckten Grau – sie sitzt grundsätzlich auf halb acht. Und das häufig an Orten, wo der Flat White besonders gut ist und Kinderwägen Stoßstange an Stoßstange stehen. Leider sieht das nicht lässig aus, sondern einfach nur ziemlich albern. Enno Kramer

Wie trägt man eine Mütze? Bayern-Legende Thomas Müller macht vor, wie es definitiv nicht geht.
Wie trägt man eine Mütze? Bayern-Legende Thomas Müller macht vor, wie es definitiv nicht geht.Heike Feiner/Imago

Möchtegernedgy: Der Lederblazer

Der Blazer hat sich etabliert – er hängt in fast jedem Kleiderschrank und wird quer durch die Generationen getragen. Besonders beliebt: die lässige Kombination mit Jeans, perfekt für den Alltag. So weit, so stilsicher. Doch dann kam der Lederblazer – eine Variante, auf die man gut hätte verzichten können. Lederjacken, ja, die passen zum Herbst, aber der Blazer darf bitte klassisch bleiben. Zumal die meisten Modelle aus steifem Kunstleder bestehen und ihren Träger eher gewollt cool als elegant wirken lassen. Schlimmer sind dann eigentlich nur noch die langen Mantelversionen davon. Maxima Tribull

Hailey Bieber ist maßgeblich mitverantwortlich für den Blazer-Trend: Die Lederversion darf aber gerne zu Hause bleiben.
Hailey Bieber ist maßgeblich mitverantwortlich für den Blazer-Trend: Die Lederversion darf aber gerne zu Hause bleiben.imago

Warm um nichts

Dass XXL-Wollschals einfach nicht gut aussehen, ist bekannt. Bislang konnte man sie jedoch rechtfertigen: Sie halten warm. Bei den derzeitigen Temperaturen und dem Nieselregen fällt jedoch besonders in Mitte eine neue „Styling-Technik“ auf, die wortwörtlich ins Auge sticht: Schals, die nicht um den Hals, sondern um die Kapuze gewickelt werden. Das Ergebnis? Ein nasses, fusseliges Stoffteil, das an einen ausgewaschenen Waschlappen erinnert. Damit geht selbst der letzte positive Aspekt verloren.

Wer nicht auf einen wärmespendenden Schal verzichten – und stilvoll bleiben – möchte, kann sich lieber an einem Trend orientieren, der tatsächlich etwas hermacht: Schalkragenjacken. Besonders hübsch sind sie als kurz geschnittene Mäntel mit leicht ausgestelltem Schnitt, aber auch in längeren Varianten. In gedeckten Tönen wie Schwarz, Marine oder Kastanienbraun wirkt die Jacke mit integriertem Schal besonders elegant. Inaara Cigdem

Die vermeintlich schnittige Weste

Er läuft im Stechschritt, das Handy am Ohr, die Aktentasche unterm Arm: der 08/15-Bürotyp. Sein Stil? Anzughose, Hemd, in den Nuancen Weiß, Schwarz und Hellblau – einige Mutige wagen sich auch an ein zartes Rosa. Doch sobald die Temperaturen fallen, geschieht das Unvermeidliche: Die Weste kommt zum Einsatz. Es ist noch zu warm für den Mantel, zu kalt, um ohne zu gehen – also greift man zur ärmellosen Zwischenlösung, die eine Brücke schlagen soll zwischen „casual officewear“ und sportlichem Chic. Tut sie aber nicht: Statt Dynamik verleiht sie dem ohnehin uninspirierten Look den letzten Schliff Spießigkeit. Maxima Tribull

Hunter Boots: Wir sind hier nicht im Actionfilm

Angelina Jolie trug sie im Actionfilm „Mr. & Mrs. Smith“ – knallrot zum weißen Schlafhemd, während hinter ihr alles in Flammen stand. Kate Moss kombinierte sie mit zerzausten Haaren und kurzem Kleid im Matsch eines Musikfestivals. Und genau dort gehören sie auch hin: die Hunter Boots. Aufs Land, in den Regen – vielleicht noch über eine schmal geschnittene Jeans gezogen. In der Stadt hingegen, wo man eher selten über Ackerboden stapft, wirken die Gummistiefel über einer weit geschnittenen, sich in Falten legenden Boyfriend Jeans weniger „effortless chic“. Ein Versuch, cool zu wirken, der zum Scheitern verurteilt ist. Es sei denn, man ist tatsächlich auf dem Weg, Pilze im Wald zu suchen. Inaara Cigdem

@hollyrosieee trying to make jeans tucked in rain boots work!! something is missing and i cant put my finger on it #ootd #outfit #seattlefashion #helpmeplease #fyp ♬ Decoy - Fievel Is Glauque

Zu dick aufgetragen

Jede kalte Jahreszeit bringt dasselbe Dilemma mit sich: Man möchte sich gut kleiden und trotzdem nicht frieren. Der Zwiebellook bewährt sich immer. Doch der wahre „Lifesaver“ liegt oft im Material der Kleidungsstücke selbst. Naturfasern wie Merinowolle, Kaschmir oder Daunen isolieren wunderbar und regulieren gleichzeitig Feuchtigkeit. Natürlich hat etwa feiner Kaschmir seinen Preis, doch ein hochwertiger Pullover erfüllt nicht nur seinen Zweck, sondern ist eine langfristige Investition – und trägt niemals zu dick auf.

Ganz anders verhält es sich mit jenen Stoffen, die im Herbst und zur festlichen Jahreszeit plötzlich wieder aus den Kleiderschränken kriechen: Samt und Cord. Beide wirken, vor allem in Kombination mit dicken Jacken, selten schmeichelhaft. Samt mag luxuriös klingen, ist aber äußerst empfindlich und beim kleinsten Tropfen Flüssigkeit ein Fall für die Reinigung. In Tannengrün oder Burgund erinnert er dann weniger an „Glam“ als an einen alten Wohnzimmersessel. Und Cord? Hat trotz aller Versuche immer etwas Altbackenes – und trägt schnell auf, wo man es am wenigsten möchte. Inaara Cigdem

Das Warmduscher-Mäntelchen

Es ist das weicheihafte Mäntelchen für das verfrorene Großstadt-Schnatterinchen: Der Überzieher mit der eingenähten Funktionsjacke, deren unschöner Reißverschluss unter der Knopfleiste hervorlugt und signalisiert: Achtung, mittlere Entscheiderebene der Kreissparkasse auf dem Weg zur U-Bahn, also meist so rund 350 Meter durch den eisigen Herbstwind (12 Grad).

Das Problem an dem Mantel mit der sogenannten Inlay-Jacke ist der Umstand, dass sie das eigentlich schöne Ritual des Aussuchens der Garderobe und des Ankleidens auf etwas Multifunktionales, Abwaschbares und Uncharmantes herunterbricht und alle ihre Träger in dieselbe langweilige Uniform presst. Aber das mögen deutsche Männer ja besonders, bloß nicht auffallen und aussehen wie alle anderen. Wer dem entgehen möchte, der macht es wie die Italiener: Hemd, darüber ein dünner Merino-Pullover und darüber dann Jackett und Mantel. Das hat Stil und reicht bei unseren Temperaturen auch völlig aus, denn kälter als 12 Grad wird es im Winter ja ohnehin nicht mehr. Marcus Weingärtner