Kultur und Mode

Reference Studios: Berlins Style-Lobby

Die Agentur Reference Studios steht für ein Berlin, in dem die Gucci-Tasche zur Vintage-Jeans getragen wird und ein Tillmans über der Spüle hängt. Ein Porträt.

Mumi Haiati, Gründer und CEO von Reference Studios, schafft internationale Aufmerksamkeit für Berlin. Und das jenseits der eingetretenen „Arm, aber sexy“-Pfade.
Mumi Haiati, Gründer und CEO von Reference Studios, schafft internationale Aufmerksamkeit für Berlin. Und das jenseits der eingetretenen „Arm, aber sexy“-Pfade.Timothy Schaumburg

Berlin-Zwei riesige Panorama-Fenster in einer Fassade aus polierten Steinplatten, daneben eine schmale Tür – in diesem großzügigen Ladenlokal in der Potsdamer Straße residierte einst Behrendt Werbetechnik, ein Geschäft für Schilder und Leuchtreklamen. Die waren damals auch variantenreich in Schaufenstern zu sehen. Heute fällt der Blick auf ein mutmaßliches Überbleibsel aus dieser Zeit: ein schmales LED-Display in Späti-Ästhetik, auf dem Markennamen und die Webadresse des jetzigen Mieters www.referencestudios.com zu lesen sind. Hinter dem Display schiebt sich ein Paravent aus Metallgittern im Zickzack vor die Augen der Passanten. Es muss ja nicht jeder die Besuche prominenter Persönlichkeiten wie Lana Del Rey, Dua Lipa oder Ufo361 mitbekommen. Reference Studios ist eine Kommunikationsagentur, die mit großen internationalen Luxusmarken zusammenarbeitet. Dazu gehört auch, Prominente einzukleiden und Testimonials auszustatten. Und die sind dann eben auch oft zu Gast hier. Genauso wie Stylisten, Modejournalisten, Manager, Kuratoren und andere Menschen aus der Fashion-, Musik- und Kunstwelt, die zum Netzwerk gehören.

Im ehemaligen Ladenlokal stehen jetzt Kleiderstangen mit Mänteln, Jacken und T-Shirts herum, alles neue Kollektionsteile von Gucci, Ralph Lauren, Adidas oder Carhartt. Auch die Mitarbeiter repräsentieren Style-Kompetenz, sie tragen chunky Boots und oversized geschnittene, schwarze Kleidung. Hier ist wirklich alles auf den Punkt. Und man spürt den Geist des Gründers Mumi Haiati, eines ewig Reisenden. Nichts ist hier überflüssig, man kann im Grunde jederzeit die Zelte abbrechen. Dennoch verraten ein paar Details, das dieses Setting wohlüberlegt ist. Eine Säule in der Mitte des Raumes ist mit Latex in kräftigem Rosa verkleidet, umschlungen von einer kleinen Sitzbank in der gleichen Farbe. Auf der Bank Colorblocking mit orange blühenden Blumen. Vor einem Raumtrenner aus schwarzem Silikon steht ein Tresen aus gebürstetem Metall. Der Rest des Raumes ist weiß gestrichen.

Style als interdisziplinärer Raum

Eine Agentur, die mit Marken und Institutionen zusammenarbeitet, muss heute mehr als klassische PR leisten. Das heißt, nicht nur die konventionelle Presse wie Magazine und Zeitungen über neue Kollektionen oder Aktivitäten der Labels informieren. In einer Welt, in der kulturelle Genres verschmelzen und in der sich Hoch- und Popkultur vermischen, ist alles ein wenig komplizierter. Der Mainstream-Influencer mit Millionen Followern verliert in Ermangelung an Mega-Trends an Bedeutung, und der Fokus verlagert sich auf kleine, spitze Zielgruppen, schwer auffindbar in den Bubbles der sozialen Medien.

Im Reference-Showroom in der Potsdamer Straße verkehrt oft hochrangiger Besuch.
Im Reference-Showroom in der Potsdamer Straße verkehrt oft hochrangiger Besuch.Timothy Schaumburg

Ein interdisziplinärer Ansatz ist damit heute unumgänglich im Agenturgeschäft. „Wir sind zwar eine ultramoderne Kommunikationsagentur, aber genauso Think Tank, Forschungs- und Entwicklungsplattform“, erklärt Haiati. Seine Stimme klingt sanft, sein Look hingegen ist laut. Er trägt einen wadenlangen Tüll-Rock von Comme des Garçons, darüber ein weites Balenciaga-Hemd, ein Cap von Chrome Hearts und Schuhe von Rick Owens – alles in Schwarz, versteht sich. Für Berlin ist der Mann ein Segen, denn seine Kontakte sind Gold wert. Dennoch mangelt es oft an Unterstützung vom Senat, wenn es um Zuschüsse  geht. Haiati ist nicht nachtragend, im Gegenteil. Er weiß, dass es in Berlin immer schwierig war mit der Mode. Deswegen wollte er hier eigentlich auch nicht bleiben, doch dann reizte ihn diese Stadt ohne Style.

„Berlin war ein Unfall“, sagt er, „und erstmal als Station gedacht, nachdem ich zehn Jahre im Ausland gearbeitet habe.“ Haiati ist gebürtiger Düsseldorfer mit persischen Wurzeln. Er bezeichnet sich selbst als „persischen Rheinländer“. Doch das Rheinland versprach nicht die Aufregung, die er sich wünschte. „Gleich nach dem Abitur ging ich nach London und wollte erstmal Schauspieler werden. Das war Ende der 90er-, Anfang der 2000er-Jahre, in der Zeit des UK Underground und Garage. Ich bin dadurch in einer exzentrischen Fashioncrowd gelandet, in der ich mich selbst wiederfand und die zu mir passte, denn Mode war für mich immer ein Thema.“ Danach ging es weiter nach Barcelona zum Studieren, doch Haiati wollte mit dem Arbeiten nicht warten und zog nach Paris. In der Modestadt begann er seine Agenturlaufbahn und arbeitete für Designer wie Martin Margiela oder Raf Simons. Als er schließlich in New York landete, machte ihm dort die Finanzkrise einen Strich durch die Rechnung, und erst dann verschlug es ihn nach Berlin. Das Netzwerk, das sich Haiati in den Metropolen der Welt aufgebaut hatte, war nun die Grundlage für seine Agentur „Reference Studios“, die er vor knapp fünf Jahren in Berlin gründete.

Showroom-Detail: Schuh-Samples zur Ansicht auf der rosa Bank.
Showroom-Detail: Schuh-Samples zur Ansicht auf der rosa Bank.Timothy Schaumburg

Zunächst aber musste er improvisieren: „Ich habe damals als One-Man-Show aus meiner Neuköllner Wohnung heraus gearbeitet. Mein Wohnzimmer war der Showroom.“ Haiati wirkt auch jetzt noch wie ein Mensch auf der Durchreise, alles scheint spontan und fluide. Auch in seinem Büro in der Potsdamer Straße liegen keine Arbeitsmaterialien auf dem Tisch mit der großen dunklen Marmorplatte. Der Raum ist ein an das Ladenlokal angegliedertes, luxuriöses Hinterzimmer, das jederzeit in einem neuen, geheimnisvollen Zweck überführt werden könnte. Haiati sitzt am Tisch, die Hände vor sich gefaltet, während er erzählt, was ihn dazu bewegte, in Berlin zu bleiben: „Dass Berlin keine Modestadt ist, war mein Motor. Ich fragte mich: Wie kann ich eine Form von Relevanz schaffen, über den DACH-Markt hinaus? Wie kann ich es schaffen, aus Berlin heraus die Aufmerksamkeit der Top-Stylisten und wichtigen Modekritiker zu bekommen?“, so Haiati. „Ich hatte mein internationales Netzwerk, und ich habe auf eine instinktivere Art und Weise über Mode nachgedacht, über neue Kontexte und Verbindungen zur Jugendkultur.“

Der World Wide Underground, die Luxusindustrie und ein eigenes Festival

Es waren also einerseits die Kontakte zur Luxusindustrie, aber andererseits auch das tiefe Verständnis für Mode aus der Subkultur heraus. „Der World Wide Underground war die Schule meines Lebens. Ich habe viele Leute auf der Tanzfläche kennengelernt“, erzählt Haiati weiter. „Damals hatte ich nach den langen Nächten oft ein schlechtes Gewissen. Jetzt weiß ich, dass das alles richtig war. Das macht auch mein Verständnis für andere Genres aus.“ Haiati hatte wohl schon immer die Fähigkeit, sich in jeder gesellschaftlichen Schicht zu bewegen, und alle fühlen sich stets gleichermaßen angesprochen. Es sind am Ende immer die Personen, mit denen man zusammenarbeiten will.

Bei Reference sind derzeit mehr als dreißig international renommierte Kunden unter Vertrag, vor allem aus der Modebranche. Darunter befinden sich Marken, die zu Kering und LVMH gehören wie Gucci oder Tiffany & Co., aber auch junge Berliner Aufsteigerlabels wie die 44 Label Group oder Kunden aus der Kultur wie der Schinkel Pavillon. An den Projekten arbeiten 25 Angestellte in Berlin und in Mailand, wo Haiati kürzlich eine Dependance eröffnet hat. Weitere Städte könnten folgen.

Das international zusammengewürfelte Reference-Team: So unterschiedlich die Lebensläufe auch sein mögen, auf Schwarz können sich (fast) alle einigen.
Das international zusammengewürfelte Reference-Team: So unterschiedlich die Lebensläufe auch sein mögen, auf Schwarz können sich (fast) alle einigen.Timothy Schaumburg

„Da wir eine Haltung vertreten und eine Form von Repräsentanz darstellen, werden wir inzwischen sogar selbst als Marke wahrgenommen. Das ehrt mich einerseits, zum anderen aber hat das auch mit unserer Identität zu tun, und damit ist das etwas ganz Natürliches für mich.“ Die Akzeptanz war jedoch nicht immer so groß, sagt der Agenturinhaber. „Ich war immer ein Außenseiter, man darf den subtilen Rassismus nicht unterschätzen, auf dem gehobenen Geschäftslevel ist der noch sehr ausgeprägt. Die Türen waren nicht alle von Anfang an für mich offen, deswegen habe ich auch meinen Namen Mohammad abgelegt und mich Mumi genannt.“

Dieser Mumi war es auch, der mit seiner Marke das „Reference Festival“ ins Leben rief; doch das interessierte die Stadt Berlin nicht, sodass er die erste Ausgabe des Festivals 2019 zunächst ganz alleine finanzieren musste. Austragungsort war damals ein Neuköllner Parkhaus, in dem 24 Stunden lang Installationen gezeigt wurden sowie Panels und Partys stattfanden. Die Liste der Teilnehmer aus der Mode- und Kunstwelt enthielt glamouröse Namen, zum Beispiel Wolfgang Tillmans, Matt Lambert, Commes des Garçons oder 032c. Haiati erinnert sich: „Leute wie Adrian Joffe, dem Commes des Garçons und Dover Street Market gehören, oder der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist waren unsere Unterstützer. Aber den Berliner Senat konnten die Namen nicht locken. Sie waren für sie nicht greifbar. Für so ein junges Unternehmen und mich persönlich war das Festival dadurch eine sehr große Herausforderung auf so vielen Ebenen.“ Die internationale Presse wie Monocle, Vogue, Dazed oder i-D war indes voll des Lobes und sah in der Veranstaltung ein Zukunftsmodell für die Präsentation von Mode generell und im Besonderen perfekt auf Berlin zugeschnitten.

Inzwischen hat auch die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe ein Einsehen und unterstützt das Festival regelmäßig, das sich im Rahmen der Berlin Fashion Week fest etabliert hat. Die Veranstaltung bringt bis heute Fashionshows, Performances, Panels und Partys zusammen – und die Teilnehmer wiederum vereint eine Relevanz, die durch das Reference-Siegel gesichert ist. „Es gab kein Format für mich, in dem ich all das, was ich mache, bündeln konnte. Das Festival ist damit etwas, was nach außen geht. Viel mehr als die Arbeit in der Agentur, die ist von außen gar nicht so greifbar“, kommentiert Haiati. „Im Juni gehen wir mit dem Festival nach London und bringen es in Form eines Takeovers zu Selfridges, dem wohl wichtigsten Luxus-Departmentstore weltweit. Wir werden das komplette Kaufhaus bespielen, darauf sind wir bereits sehr gespannt.“

Doch zunächst kann Berlin sich über eine neue Ausgabe des Festivals ausnahmsweise zum Gallery Weekend freuen. Corona und der Ukraine-Krieg hatten das Stattfinden zur Fashion Week verhindert. Und wer weiß, ob das Publikum an diesem Wochenende nicht vielleicht sowieso das bessere ist als das zur Berliner Modewoche? Denn auf die Frage, ob Haiati in dieser leidigen Angelegenheit namens Berlin Fashion Week nicht ein sehr geeigneter Berater für den Senat wäre, antwortet er schmunzelnd: „Brauchen wir heute überhaupt noch Fashion Weeks in dieser Form?“