Mailand/Berlin-Max Kobosil wurde am 5. April 1991 im Berliner Stadtteil Neukölln geboren – gerade als der hedonistische Techno, die letzte große Jugendkultur, die wiedervereinte Mauermetropole zum Beben brachte. Doch während nachts die Grundlagen für den Ruf geschaffen wurden, den Berlin bis heute hat, kämpfte Kobosil an der erweiterten Hauptschule zunächst noch um seinen Schulabschluss. Auf ein T-Shirt seiner aktuellen Kollektion, die er gerade auf der Mailänder Modewoche präsentierte, hat er sein damaliges Schulzeugnis gedruckt. Die Noten: nicht so gut. Leider durchgefallen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt brauchte Kobosil niemanden mehr, der ihm ein Zertifikat ausstellte, ob er für irgendwas gut genug war. Auch wenn er den Abschluss später nachholte, war die Absolution der Obrigkeit nicht mehr wichtig. Er begann, seine Skills als Quereinsteiger zu perfektionieren. Dazu gehörte fleißig sein, Sympathiepunkte sammeln, Experten ins Boot holen.
Mit siebzehn verwirklichte er seinen Traum, DJ zu werden. Acht Jahre lang war er Resident im Berghain, bereiste die Kontinente, spielte seinen schnellen, harten Sound in den berühmtesten Clubs der Welt, wie dem Bassiani in Tiflis, dem Fabric in London oder dem Concrete in Paris. Parallel dazu begann Kobosil, sich mit Mode zu beschäftigten. Auch dieser Branche näherte er sich völlig angstfrei und gewann postwendend Claudio Antonioli als Unterstützer. Kobosils Merchandise-Kollektion und seine Neuköllner Geschichte beeindruckten den italienischen Mode-Mäzen, der schon Virgil Abloh für sein Label Off-White Starthilfe gab. So wurde mit Headquarter in Mailand vor knapp zwei Jahren die 44 Label Group gegründet, Creative Director: Max Kobosil.
Es ist bereits die zweite Kollektion der Modemarke, aber die erste, die in Mailand präsentiert wurde. Wenn auch nur im Video, das spontan in der gemieteten Location gedreht wurde. Wir trafen Kobosil kurz nach seiner Rückkehr aus Mailand und stellten ihm ein paar Fragen, während er sich am Arm ein neues Tattoo stechen ließ.
Herr Kobosil, Sie haben 2020 das Modelabel 44 Label Group gegründet. Knapp zwei Jahre später zeigen Sie eine Kollektion im offiziellen Kalender der Mailänder Modewoche neben Prada, Fendi und Dolce & Gabbana. Wie kam es dazu?
Ich mache ja schon seit 2018 meine eigenen Merchandise-Kollektionen. Durch die hohe Nachfrage bin ich dann aber an meine Grenzen gekommen, was Auflage, Vertrieb und all diese Dinge betrifft. Bei einem DJ-Auftritt hat mich ein Freund dann Claudio Antonioli vorgestellt. Der war auf Anhieb sehr beeindruckt von meiner Marke und dem Umfeld, aus dem ich komme. Auch das Grafische hat ihm gefallen, vor allem das Logo. Als ich ihm erklärt habe, dass die 44 die alte Postleitzahl von Neukölln ist, war er total angetan. Dieser Neukölln-Aspekt und die Geschichte hinter dem Label waren für ihn die entscheidenden authentischen Elemente. In der Mode gibt es ja zur Zeit unglaublich viele Club-Referenzen. Dass ich direkt aus diesem Umfeld komme und Musik mache, war das echt Authentische für Claudio, denke ich. Dazu kam, dass wir uns auf der menschlichen Ebene gleich sehr gut verstanden und ähnliche Interessen in Sachen Kunst und Musik haben. Irgendwann hat er mich gefragt, ob er mir nicht helfen kann, meine Vision von Mode zu verwirklichen.

Das Logo mit der 44 haben Sie selbst entworfen?
Ja, ich habe das Logo selbst entworfen. Alle Ideen für die Grafiken stammen von mir. Mein Designteam hilft mir aber dabei, sie technisch umzusetzen.
Wie kam es nun zu diesem Riesensprung auf den Mailänder Laufsteg und der Aufnahme in den Kalender der Camera Moda, wofür ja ein hohes qualitatives Niveau Voraussetzung ist?
Claudio hat viel Erfahrung in dem Bereich und er kennt die richtigen Leute. Er hat ja auch schon sehr erfolgreich andere Brands wie Off-White, Palm Angels oder Marcelo Burlon aufgebaut. So kam eins zum anderen. Die Anmeldung wurde vom Team in Mailand organisiert. Die kümmern sich auch um Distribution und Qualitätskontrolle. Das wäre für mich alleine gar nicht möglich gewesen. Ich habe die Sachen meiner Merchandise-Kollektion damals noch in der Türkei und in Portugal produziert. Jetzt produzieren wir im Raum Mailand, wo Claudio sämtliche Produktionsstätten kennt. Das ist ein ganz anderes Niveau.
Sie beziehen sich ja in der aktuellen Kollektion vor allem auf die Technobewegung. Welche Schlüsselelemente hat die Kleidung dieser Subkultur für Sie?
Vor ein paar Jahren wurde Techno-Clubwear vor allem noch mit düsteren Styles assoziiert. Aus meiner Sicht hat sich das geändert und es wird deutlich farbenfroher. Mich interessieren und inspirieren die farblichen Aspekte sehr. Ich liebe aber auch die Kontraste, weswegen wir neben einem komplett schwarzen Outfit auch diesen rosa Bubblegum-Look haben. Für den Club stehen aber vor allem die Grundelemente unserer Kollektion: Bomberjacke, Boots, Sneaker ...
Keine High Heels, weil man damit nicht so richtig tanzen kann ...
Keine High Heels!
Könnten Sie sich eine Frauenkollektion vorstellen?
Ja, absolut. Das würde mir sehr viel Spaß machen. Meine ältere Schwester wäre auf jeden Fall Feuer und Flamme. Und meine Mutter sowieso. Das ist auch für mich ein sehr inspirierendes Feld. In der Männermode finden sich ja zunehmend feminine Elemente. Es gibt diese Handtaschen, die unisex sind. Davon habe ich mir auch ein paar gekauft. Überhaupt das Thema Unisex. In unserer Kollektion haben wir auch so eine pinke, kurzgeschnittene Pufferjacke, die können Männer wie Frauen tragen. Wer nicht unisex denkt, der hat verpennt! Ein super spannendes Thema.
In der aktuellen Kollektion gibt es ein Wende-T-Shirt, was hat es damit auf sich?
Ich wollte ein Berlin-T-Shirt machen, das meine Jugend symbolisiert. Wir haben uns damals noch als West-Berliner gesehen, obwohl das schon lange nach der Wende war. Mit Ost-Berlin verbinde ich meine ersten Erfahrungen in Technoclubs, die mich sehr geprägt haben. Auf einer Seite ist „OSTBERLIN“ gedruckt, auf der anderen „WESTBERLIN“. Beide Teile der Stadt sind so vereint in einem T-Shirt, und man kann dann jeweils die Seite tragen, mit der man sich identifiziert. Ein Wende-T-Shirt im wahrsten Sinne ...

Stimmt. Ist das T-Shirt innen anders verarbeitet, damit man die Nähte nicht sieht, wenn man es umdreht?
Nein, das haben wir mit Absicht so gelassen. Es war sehr schwer für mich zu entscheiden, was außen und was innen ist. Eigentlich ist die Innenseite cooler, gerade weil man die Nähte sieht und das Label-Schild mit der 44 drauf.
Lassen Sie mich raten, die Innenseite ist der raue Osten.
Ja!
Welche Elemente von Schneiderei finden sich in der Kollektion, die ja auf den ersten Blick vor allem aus Streetwear-Basics besteht?
Die Arbeit an der Kollektion hat ja so angefangen, dass mich meine Designer in Mailand gefragt haben, wie man sich in Berlin Neukölln so kleidet. Sie sagten, bring doch mal mit! Dann habe ich persönliche Kleidungsstücke nach Mailand mitgenommen. Auch die absoluten Straßenklassiker, die man damals in den 2000ern so getragen hat. Typische Kleidungsstücke aus meiner Jugend. Daran haben wir uns dann orientiert, die Sachen mit neuen Elementen angereichert und auf ein neues Level gehoben.
Was sind denn die Neuköllner Straßenklassiker?
Zum Beispiel Cargohosen, Lederjacken, Bomberjacken und Karottenjeans. Das wurde damals in unserem Bezirk krass gehypt. Es gab damals diesen Laden in der Karl-Marx-Straße, der hieß Shooters. Das war die Anlaufstelle.
Kamen diese Straßenklassiker von bestimmten Marken?
Nicht unbedingt, man konnte sich das ja nicht immer leisten, wie diese Hose von Jet Lag. Das war eine klassische Cargohose mit Taschen an den Seiten, die gab es auch von anderen Marken. Die Jeans waren dann auch nicht von Diesel, sondern meistens von Picaldi, Daggio Romanzo oder Corbani. Die Lederjacken von Cordon Sport oder die klassischen Bomberjacken von Alpha Industries.

Viele beschweren sich ja über zugezogene Hipster und steigende Mieten in Neukölln. Wie nehmen Sie als gebürtiger Neuköllner, der immer noch hier lebt, die Veränderungen im Bezirk wahr?
Der Bezirk hat sich verändert und die steigenden Mieten sind generell ein großes Problem in Berlin, auch in Neukölln. Aber ich finde auch, dass die Leute, die jetzt hierherziehen, den Bezirk auflockern. Die Stimmung ist jetzt weniger angespannt als früher. Ich mag die Durchmischung, alles wird diverser. Es ist natürlich nicht mit dem Neukölln vor zehn oder fünfzehn Jahren vergleichbar. Aber ich denke, dass sowieso alle Leute friedlich koexistieren sollten und aufeinander achtgeben – junger Hipster oder alteingesessener Berliner mit Migrationshintergrund.
In Mailand hatten Sie eine Modenschau geplant. Kurz vor dem Termin fiel die Entscheidung, vor Ort ein Video zu drehen und es zu streamen. Warum?
Schlussendlich waren es eben die steigenden Corona-Zahlen. Deswegen haben wir uns entschieden, keine Live-Show zu machen. Viele Journalisten waren nicht bereit, nach Mailand zu reisen, auch andere Brands haben ihre Schauen abgesagt und nur Videos gedreht. Es war einfach vernünftiger und verantwortungsbewusster. In Italien ist man bezüglich Corona auch generell etwas vorsichtiger, da schien das auch angemessen, sich als Marke zurückzunehmen. Es war also eine Frage des Respekts, und es wäre ohne die After-Show-Party alles so runtergedampft gewesen. Bei unserer ersten Live-Show sollte es schon eine richtige Party geben, die widerspiegelt, was unser Brand ausmacht.
Waren Sie traurig, dass ihre Mode-Premiere nicht live stattfinden konnte?
Also … als ich erfahren habe, dass man dann am Ende auch rausgehen muss, weil man das eben nach einer Fashionshow so macht, war ich eigentlich ganz froh, dass die Show nicht stattgefunden hat (lacht).

Wirklich? Sie stehen doch sonst auch vor Massen von Leuten bei Ihren DJ-Gigs!
Ja, das ist komisch. Aber bei dieser Modesache bin ich bisschen aufgeregter. Naja, ist halt alles neu für mich. Richtig traurig war ich eigentlich nur darüber, dass unsere Party ausgefallen ist. Wir hatten eine richtig große After-Show-Party geplant mit befreundeten DJs und Künstlern von meinem Musiklabel. Ich hätte meinen Gästen nach der Show wirklich gerne mal gezeigt, was eine ordentliche After-Show-Party ist!
Welche Vision haben Sie für Ihr Label?
Die Vision bezüglich der Mode an sich ist es, Clubwear weiterzuentwickeln und auf ein neues Niveau zu heben. Weil ich eben auch schon seit zehn Jahren in der Clubszene als DJ unterwegs bin, ein Musiklabel betreibe, das nächstes Jahr auch zehn Jahre alt wird, fließen diese Sachen da alle mit ein. Ich arbeite gerne in Topics. Wir sind gerade dabei, die nächste Kollektion zu konzipieren. Die gerade gezeigte Kollektion für Herbst/Winter 2022 hatte den Anspruch zu verarbeiten, was so in meiner Jugend war. Dass ich nicht gut in der Schule war und so weiter. Ich probiere immer eine ganz simple Sache auszudrücken: Auch wenn man zwischendurch scheitert, soll man nicht aufgeben und seinen Träumen folgen.



