Berlin-Diese Woche fand in Berlin die Fashion Week statt. Doch kaum jemand interessierte sich für das Ereignis, obwohl es das erste Mal wieder echte Modeschauen und Events gab. Warum gibt diese Stadt, die für so große Kreative wie Hedi Slimane oder Virgil Abloh eine dauerhafte Inspirationsquelle ist, ein so provinzielles Bild als offizieller Austragungsort für Mode ab? Werden die Chancen, die in den subkulturellen Kontexten liegen, vergeigt und vertan? Wie kann das in einer Zeit sein, in der Mode ohne Megatrends auskommt und Nischen immer wichtiger werden? Subkultur nämlich kann die Stadt. Und erfolgreiche Beispiele sind Berliner Brands wie 032c oder Highsnobiety, um die sich inzwischen weltweit große Fanzirkel gebildet haben und die das internationale Mode-Image Berlins stark prägen – ohne dass die meisten Berliner davon Kenntnis haben. Auch zeigen diese Marken, dass Mode nicht zwangsläufig als Couture daherkommt, sondern interdisziplinärer Raum sein kann, in dem sich Kleidung und Kultur treffen. Die Branchen-Insider sparen nicht mit Kritik an der Berliner Modewoche, einige haben längst das Interesse verloren. Andere wiederum hätten da ein paar konstruktive Vorschläge. Wir haben sie gefragt: Warum braucht Berlin die Fashion Week?

Für mich ist die Berliner Fashion Week vollkommen irrelevant. Seit Jahren werden die gleichen Fehler gemacht und die ganze Veranstaltung wird ausgesprochen provinziell vonseiten des Senats betreut. Es gibt keinerlei Alleinstellungsmerkmal, um sich gegenüber Paris, Mailand oder London abzugrenzen. Geschweige denn, dass die Qualität auch nur ansatzweise ausreicht, um dem Event eine internationale Relevanz zu verleihen. Positiv stechen hier die Konzepte von Highsnobiety und Reference Studios hervor, die neue Ansätze haben und Mode in zeitgemäßer Form und passend zu Berlin präsentieren. Allerdings bräuchte es hier wesentlich mehr solcher Konzepte, sodass sie nicht wie Tropfen auf dem heißen Stein verpuffen, sondern eine Welle entsteht. Die Berliner Fashion Week braucht meiner Meinung nach ein klares Konzept, einen Kopf, der die Fashion Week repräsentiert und ihr eine Gesamtvision gibt, bis hin zu einer zielführenden PR-Strategie. Gerade in Zeiten, wo Budgets immer knapper werden, muss man dem internationalen Publikum und insbesondere den Journalisten herausragende Argumente liefern, damit sie eine Reise nach Berlin antreten. Solange dies nicht der Fall ist, ist jede Modenschau, die hier stattfindet, für Designer und junge Talente vertane Liebesmüh und sie sollten ihre Anstrengungen lieber darauf setzen, in Paris, London oder Mailand zu präsentieren.“

Berlin hat einen einzigartigen Vibe, deshalb wäre eine lokale Modewoche sinnvoll, wenn sie dieses Gefühl zum Motor des Events macht. Oft vergessen wir dieser Tage, dass Mode Spaß machen soll und muss. Wenn eine Veranstaltung in diese Richtung agiert, werden Erfolg und Geschäft folgen. Die Deutschen sind nicht so stark in der Mode verwurzelt wie Italiener oder Franzosen, aber seit dem Mauerfall hat sich gerade Berlin eine vollkommen einzigartige Coolness erarbeitet, die es zu einer der aufregendsten Städte Europas und der Welt gemacht hat. In jüngerer Zeit gehören Modemedien aus Deutschland zu den maßgeblichsten in der Branche. Unabhängige spannende Labels wie GmbH, Lutz Huelle oder Ottolinger zeigen in Paris. Wenn sich all dies zweimal im Jahr zu einem drei- oder viertägigen zusammenhängenden Event verbände (bei dem jeder seine Identität behält, aber alle zusammen Berliner Kreativität und Coolness feiern), wäre eine Fashion Week absolut sinnvoll. Sagen wir nicht immer wieder, dass Fashion Weeks im herkömmlichen, alten Stil langweilig sind?“

Berlin braucht die Fashion Week nicht, andersherum, die Fashion Week braucht die Hauptstadt! Wobei ich generell nicht von der Idee einer reinen Modewoche überzeugt bin. Die Stadt hat in anderen Bereichen wie in der Musik, Kultur und Kunst so viel mehr zu bieten. Und noch wichtiger ist der Fakt, dass alles miteinander verknüpft sein müsste, um einen Sinn zu ergeben. Ich fände es eine richtig gute Sache, wenn sich statt mehrerer Events die Kräfte bündeln könnten, um eine Art Festival ins Leben zu rufen, bei dem Berlin seine grandiose Vielfalt zeigen kann. Das könnte auch international interessant werden und somit auch von großem Vorteil für die Mode hier sein.“

Die Berlin Fashion Week muss sich erst noch brauchbar machen. Dazu bedarf es originärer Konzepte, die den Zeitgeist darstellen, und Inhalte, die auch über die Stadtgrenzen hinaus relevant sind.“

imago/Pacific Press Agency
Ich brauche keine Berlin Fashion Week, meine Arbeit findet anderswo statt und auch in meinem Umfeld ist sie kein Thema. Vielleicht kann sie das ändern, wenn sie ihr Alleinstellungsmerkmal erkennt.“

Berlin braucht eine Fashion Week, weil es einfach zu viele wichtige internationale Talente in dieser Stadt gibt, denen eine Bühne gegeben werden muss. Genau dieses Ziel verfolgen wir ja auch mit Highsnobiety BERLIN, BERLIN. Die Veranstaltung ist ein Mix aus einem physischen Event in unserem Headquarter und einem digitalen Auftritt mit einer Website. Sie präsentiert Kunst, Mode, Musik und Design aus der lokalen Kreativszene.“

Berlin ist die Stadt in Deutschland, wo sich die meiste Kreativität entlädt. Dass die Fashion Week hier stattfinden muss oder zumindest der kreativere Part des Events, ist verpflichtend. Wir haben hier fantastische und inspirierende Orte und Locations. Mich langweilt die Frage, wer denn dann noch als Gast kommen soll. Viele Einkäufer haben schon seit Jahren keine Zeit mehr, auf Messen und alle Schauen zu gehen. Dann machen wir eben einfach tolle Veranstaltungen und Happenings für die Leute, die uns unterstützen: unsere Kunden. Ich bin in Berlin geboren. Der Asphalt dieser Stadt hat dafür gesorgt, dass ich Modedesignerin werden wollte. Dieses Commitment gebe ich mit Freude an diese Stadt zurück.“

Am 11./12. September 2021 im Blatt:
Wo warst Du? 20 Jahre nach 9/11: Unsere Leserinnen und Leser erinnern sich
Street-Style bei der Fashion Week: Das trägt Berlins Mode-Avantgarde wirklich
Auto oder Fahrrad, Christian Lindner? „Taxi.“ Das Interview mit dem FDP-Chef
Hinkelsteine und Pflanzenkübel: Der Bergmannkiez kämpft gegen Autolärm – und seine Anwohner?
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