Fußball

Viele Flanken, viele Schüsse, aber Hertha BSC fehlt noch die notwendige Qualität

In nahezu allen Mannschaftsteilen offenbaren die Berliner beim 0:1 gegen Wehen Wiesbaden Schwächen. Ausgerechnet ein Ex-Unioner überzeugt in der Abwehr.

Auch nach dem ersten Heimspiel gegen Wehen Wiesbaden bleiben Smail Prevljak (Vordergrund) und Hertha BSC auf der Verliererseite.
Auch nach dem ersten Heimspiel gegen Wehen Wiesbaden bleiben Smail Prevljak (Vordergrund) und Hertha BSC auf der Verliererseite.City-Press

Immer wieder segelte der Ball in den Strafraum. Mal von links, mal von rechts, mal von Fabian Reese geschlagen, mal von Palko Dardai oder einem anderen Spieler, der einen Abnehmer im blau-weiß gestreiften Trikot suchte. Pal Dardai musste gar keinen Blick auf den Statistikbogen zum Zweitligaspiel gegen den SV Wehen Wiesbaden werfen, um nicht schon vorher gesehen zu haben, dass seine Mannschaft etliche Male den Ball zumindest in die Richtung beförderte, wo ein Abnehmer hätte stehen und zur Führung treffen sollen. „Wir haben so viele Flanken und Torschüsse gehabt – aber ohne Qualität. Da müssen sich die Spieler auch Gedanken machen“, sagte der Trainer von Hertha BSC und sprach von einem gefühlten Flankenrekord seiner Mannschaft.

Hertha BSC schlägt 22 Flanken und gibt 21 Torschüsse ab

22-mal hatten seine Spieler es mit Hereingaben über die Außen probiert, zudem 21 Torschüsse abgegeben. Aber: Wie schon beim 0:1 gegen Düsseldorf war der Bundesliga-Absteiger ohne Torerfolg geblieben und musste sich zu guter Letzt abermals mit 0:1 geschlagen geben. Weil bei Hertha BSC erneut kleine Probleme in allen Mannschaftsteilen sichtbar wurden und die Abstimmung besser werden muss. Und: Weil Aufsteiger Wehen Wiesbaden in der zweiten Minute der Nachspielzeit mit einem Flachschuss den Lucky Punch setzte, den Dardai in der 89. Minute laut eigener Aussage vorhergesehen hatte.

Davor hatten er und die 40.075 Zuschauer im Berliner Olympiastadion wieder einmal eine Berliner Mannschaft gesehen, die viel investierte, viel probierte und viel von dem umsetzte, was ihr Trainer sehen wollte. „Es ist ein neuer Kader, das braucht Zeit“, sagte Dardai. Wie schon gegen Düsseldorf könne er seiner Mannschaft keinen Vorwurf machen: „Jeder hat seine Aufgabe gemacht. Viele haben so noch nicht zusammengespielt. Wir sind eine neue Mannschaft. Hertha war vier Jahre auf der Verliererseite, jetzt sind wir noch immer auf der Verliererseite. Wir brauchen einfach einen Befreiungsschlag.“

Auf den hatten Dardai, seine Spieler und natürlich auch die zahlreichen Fans bei der Heimpremiere in dieser Zweitligasaison gehofft. Auf das erste Tor, den Dosenöffner, wie es Fabian Reese nach dem Spiel formulierte und den er in der 24. Minute mit einem etwas besser platzierten Schuss durchaus hätte selbst erzielen können. Oder Haris Tabakovic, der erst am Dienstag verpflichtet wurde und in der 56. Minute nur die Latte traf. Oder Smail Prevljak, der vier Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit den Ball aus kurzer Distanz nicht im linken unteren Eck des Tores unterbringen konnte. „Bei den letzten Flanken und Pässen, aber auch bei den drei bis vier guten Chancen, die wir hatten, hat etwas gefehlt“, sagte Tabakovic nach dem Spiel. Der Stürmer zeigte sich zwar ob seines Debüts glücklich, „aber ich habe leider kein Tor gemacht und nur die Latte getroffen. Eine 0:1-Niederlage zu Hause geht nicht.“

Die war aber keineswegs unverdient. Die Wiesbadener waren zwar in Statistiken wie Ballbesitz, Torschüssen, der Passquote oder der Anzahl der geschlagenen Flanken unterlegen, aber legten gerade die defensiven Schwächen von Hertha BSC immer wieder offen. Jeremy Dudziak hatte auf der linken Seite mehrfach im Laufduell das Nachsehen und wurde zur Pause ausgewechselt, auch Jonjoe Kenny und Marc Oliver Kempf ließen sich gerade in der ersten Hälfte mehrmals von ihren Gegenspielern in Zweikämpfen düpieren. Ausgerechnet Toni Leistner, mag sich manch Hertha-Fan gedacht haben, machte den stabilsten Eindruck. Ihren Unmut über die Verpflichtung des ehemaligen Unioners äußerten Teile der Anhänger in der Ostkurve abermals mit einem Banner. Aber auch sie konnten nicht die Augen davor verschließen, dass Leistner die meiste Ruhe in der Viererkette ausstrahlte, die meisten Zweikämpfe aller Spieler auf dem Platz gewann und das Spiel nach vorne ohne große Fehler einleitete.

Ihren Unmut über die Verpflichtung von Toni Leistner brachten einige Hertha-Fans in der Ostkurve während des Spiels gegen Wehen Wiesbaden mit einem Banner zum Ausdruck.
Ihren Unmut über die Verpflichtung von Toni Leistner brachten einige Hertha-Fans in der Ostkurve während des Spiels gegen Wehen Wiesbaden mit einem Banner zum Ausdruck.Andreas Gora/Imago

Unübersehbar aber war auch, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, die alles versucht, aber der noch Automatismen und Selbstvertrauen fehlen. Reese und Trainersohn Palko Dardai, die die meisten Flankenläufe starteten, sind neu im Team, haben die Laufwege von Marco Richter und Florian Niederlechner, der mit Schmerzen im linken Oberschenkel noch vor der Halbzeit vorsorglich ausgewechselt wurde, noch nicht verinnerlicht, Tabakovic hat erst zweimal mit der Mannschaft trainiert. Da muss sich zwar noch viel finden, aber das heißt nicht, dass es gegen Wehen Wiesbaden nicht auch schon zum ersten Sieg hätte reichen können. „Ich glaube, wenn wir in Führung gehen, dann läuft das anders und es heißt, dass wir uns reingebissen hätten. Vielleicht fehlt noch etwas die Gier, wir müssen das Glück erzwingen“, so Reese.

Im DFB-Pokal bei Carl Zeiss Jena geht es für Hertha BSC weiter

Auf den Faktor Glück sollten er und seine Teamkollegen am kommenden Sonnabend (15.30 Uhr) im DFB-Pokal bei Carl Zeiss Jena nicht setzen. Nach zwei Erstrunden-Pokal-Niederlagen in den vergangenen zwei Spielzeiten könnte vielleicht die Aufgabe beim Regionalligisten das Erfolgserlebnis sein, das ein paar Knoten löst und das Selbstvertrauen liefert, das Hertha BSC in den Wochen danach benötigt, um nicht in den Aufgaben beim Hamburger SV (19.8.), gegen Greuther Fürth (26.8.) und beim 1. FC Magdeburg (2.9.) auf der Verliererseite der vergangenen vier Jahre zu verweilen.