Ein zehnjähriger Junge weiß genau, wie es sich anfühlt, eine Fußballweltmeisterschaft zu verlieren. Die Nachspielzeit läuft, mit dem Unentschieden wäre die Mannschaft weiter. Jetzt geht es nur noch darum, die Ecke zu verteidigen. Der Ball fliegt viel zu hoch in den Strafraum ein, keiner kommt da ran. Der Zehnjährige, nennen wir ihn Uli, der als linker Verteidiger den Pfosten bewachen soll, will es genau wissen, setzt sich mit ein paar Checks durch, springt ab, sieht den Ball auf sich zukommen, schraubt sich noch ein bisschen weiter in die Höhe, alle Gegner weit unter sich lassend, und da, wider Erwarten erwischt er das Leder mit dem Ohr, gibt dem Ball einen Drall mit, sodass er einen unberechenbaren Bogen macht – und passgerecht im Dreiangel landet, während der Torwart in eine ganz andere Richtung blickt. Das perfekte Tor. Leider ein Eigentor.
Uli ist noch nicht gelandet, da ist er bereits ein gebrochener Mensch. Er hofft, dass der Rasen aufreißt und sich darunter ein tiefer Schlund auftut, durch den er hinabstürzen kann bis hinunter zum glühenden Erdkern, der auch nicht heißer brennen kann als die Scham, die ihm gerade das Herz versengt. Er weiß, Mitleid hat er nicht zu erwarten, sein Traumtor sah überhaupt nicht aus wie ein Versehen, sondern wie eine lang einstudierte Zirkusnummer.
Warum, so fragten die Blicke von zehn Spielern der eigenen und elf Spielern der gegnerischen Mannschaft sowie die Blicke der Schiedsrichter, der Fans im Stadion und der Millionen von Fernsehzuschauern allüberall auf der Welt, warum hat er das gemacht? Und einer, sein bester Freund, spricht die Frage aus, mit einem Flüstern, das sich wie ein Schrei anhört. Und mit einem Schrei antwortet Uli: „Weil ich ein ... bin!“
Wir müssen drei Punkte setzen, weil die ausführliche Selbstbezeichnung den Rahmen dieses kleinen Textes sprengen und eine Reihe von diskriminierenden und verletzenden Unkorrektheiten enthalten würde, die wir nicht reproduzieren wollen. Mit diesem Fluch bringt Uli seine Missetat mit seiner Person in Einklang, sieht sich vernichtet, ja, will diese Vernichtung selbst vollziehen, indem er sein verlorenes Gesicht auch noch zerfetzt und die Fetzen in den Staub tritt. Die Auslöschung seiner Existenz mitsamt allen Erinnerungen an ihn scheint ihm angemessen für sein Versagen, das dazu führt, dass seine Mannschaft aus dem Turnier fliegt.


