WM-Kolumne

Jubel für Uli: Als ein Zehnjähriger die Fußball-WM gewann

Die Übermacht Englands war niederdrückend, die eigene Mannschaft lag am Boden, der Trainer war verzweifelt – und wechselte im letzten Moment seinen Joker ein.

Die Siegestrophäe der Fußballweltmeisterschaft
Die Siegestrophäe der FußballweltmeisterschaftImago

Ein zehnjähriger Junge weiß genau, wie es sich anfühlt, eine Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen. Die Nachspielzeit läuft. Die gegnerische Mannschaft, England, mauert und hält ein 0:0. Die englischen Riesen foulen, was das Zeug hält. Alle eigenen Spieler liegen blutend auf dem Rasen. Der Junge sitzt auf der Auswechselbank, der Trainer blickt ihn fragend und ohne Hoffnung an. Der Junge nickt und wird eingewechselt. Er bekommt den Ball zugespielt, die Engländer rasen brüllend auf ihn zu. Seltsamerweise tragen sie Stahlkappenschuhe, haben Mistforken dabei und es sind deutlich mehr als 20. Der Junge will abspielen, aber seine Mannschaftskameraden können nicht mehr, sie weinen alle vor Wut und Schmerz.

Na gut, denkt der Junge, dann muss ich es allein machen. Einen Engländer nach dem anderen lässt er aussteigen, er verlädt die Insulaner mit ein paar Übersteigfinten und angetäuschten Schüssen aus dem Bilderbuch, er chippt hier einen, tunnelt dort den Nächsten, reizt sie bis aufs Blut. Er sprintet, tanzt, der Ball klebt an seinen Füßen. Die Mädchen aus der Klasse und die junge Deutschlehrerin jubeln ihm zu. Uli!, jubeln sie, um unserem Jungen mal wahllos irgendeinen Namen zu geben. Uli, du bist so super!

Uli winkt ihnen zu, aber lässt sich nicht ablenken, auch nicht von den englischen Hulks in Kettenhemden, mit weißen Pupillen und Blut an den Säbelzähnen. Er schiebt den Ball mit der Hacke zwischen zwei gezückten Hellebarden durch, springt selbst mit einem Rückwärtssalto über die nach ihm stechenden Stahlspitzen, landet im Rücken der sich fragend umblickenden Bären, wirbelt um sich selbst, kickt den Ball über drei weitere bis an die Zähne der Waffenträger, umkreist sie mit einem Spurt und hebt aus der Kurve ab, um den Ball mit einem Seitfallrückzieher volley zu nehmen, dabei anzuschneiden, dass die Pille nur so zappelt und der englische Höllentorwart nur so schielt und mit seinem riesigen Käscher nur so ins Leere greift.

Der Junge, Uli, hat das zischende Geräusch des vom Tornetz gefangenen Balles im Ohr, die kurze Stille danach, dann den Abpfiff – und dann den Jubel. Den der spontan geheilten Mannschaftskameraden, den der Mädchen, den der Deutschlehrerin. Blumen. Küsse. Pokal.  Der Junge weiß, wie es sich anfühlt, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen. Er kennt das aus seinen Tagträumen auf der Auswechselbank seines Fußballvereins.