Turnier beginnt

Frauen-Fußball-EM: Ist ein Titel bei den Männern wirklich siebenmal mehr wert?

Diese Woche beginnt die Fußball-Europameisterschaft der Frauen in England. Deutschland zählt zu den Favoriten. In Sachen Fair Pay kicken die Deutschen hinterher.

2022: Deutschland gegen die Schweiz, Steigerwaldstadium Erfurt.
2022: Deutschland gegen die Schweiz, Steigerwaldstadium Erfurt.IMAGO/Norina Toenges/Sports Press Photo

Die guten Nachrichten häufen sich. Vor kurzem kündigte der niederländische Fußballverband an, dass sein Nationalteam der Frauen die gleiche Bezahlung erhält wie das der Männer. Auch Bedingungen für Training, Reise und Unterkunft sollen angeglichen werden. Einen solchen Schritt hatten auch Verbände anderer Nationen angestoßen, etwa in Spanien, Norwegen, England, Brasilien und den USA. Dort erhalten Spielerinnen die gleichen Prämien wie die Männer.

Der Deutsche Fußball-Bund bleibt dahinter zurück. Sollte das deutsche Frauenteam die am 6. Juli beginnende Europameisterschaft in England gewinnen, würde jede Spielerin eine Prämie von 60.000 Euro erhalten.

Das ist eine Steigerung, denn bei der vergangenen EM 2017 wären es nur 37.500 Euro gewesen. Und doch ist es vergleichsweise wenig. Die Nationalspieler um Manuel Neuer hätten für einen EM-Sieg 2021 400.000 Euro kassiert. Jeder.

Als Grund für das Gefälle nannte der frühere Nationalspieler und aktuelle DFB-Direktor Oliver Bierhoff die unterschiedlichen Einnahmen und Umsätze bei Frauen- und Männerturnieren. Der Verband werde allerdings Betreuerstäbe und Ausstattung auf ein ähnliches Niveau bringen. Die Frauen bereiteten sich zuletzt beim Partner Adidas in Herzogenaurach auf die EM vor – so wie ihre männlichen Kollegen vor wenigen Wochen während der Nations League.

Der DFB könnte das Lohnniveau zwischen Männern und Frauen sofort angleichen

Als größter nationaler Sportfachverband der Welt mit millionenschweren Sponsorenverträgen könnte der DFB das Lohnniveau leicht angleichen, doch das sollte im Jahr 2022 nicht mehr als ein Minimalstandard sein. Von den 16 teilnehmenden Nationen bei dieser Frauen-EM haben bereits acht Verbände die Prämien angeglichen. Doch diese wiederkehrende Diskussion überdeckt die strukturelle Benachteiligung. Ob Trainingswesen, Medienaufmerksamkeit oder Führungspositionen: Für Mädchen und Frauen bleibt nur ein Fußball zweiter Klasse.

Es würde ohnehin nicht reichen, an der Spitze der Fußballpyramide Geld in den Markt zu pumpen, das legt eine Umfrage von FIFPro nahe. Die internationale Profivereinigung hatte im Jahr 2017 weltweit 3600 Spitzenfußballerinnen befragt. Demnach lag das durchschnittliche Monatsgehalt bei 600 Dollar. Lediglich ein Prozent erhielt mehr als 8000 Dollar im Monat. Mehr als drei Viertel der Spielerinnen verknüpften ihren Leistungssport mit einem anderen Job oder mit einem Studium. 90 Prozent spielten mit dem Gedanken, ihre Karriere frühzeitig abzubrechen. Wegen fehlender Perspektiven.

Corona hat den Alltag weiter erschwert. Schon vor der Pandemie ging der Zuschauerschnitt der Frauen-Bundesliga nicht über 1000 hinaus. Während der Covid-Beschränkungen brachen Ticketeinnahmen weg. Etliche Sponsoren reduzierten ihre Ausgaben. Darunter leiden Klubs, die einen Schwerpunkt auf Frauenfußball legen.

Ein Beispiel ist der 1. FFC Turbine Potsdam, der Anfang des Jahrtausends sechsmal die deutsche Meisterschaft und zweimal die Champions League gewann. Am Rand der Sportmetropole Berlin ist Turbine auf kleine und mittelgroße Förderer angewiesen, auf Krankenkasse, Energieerzeuger, Immobilienwirtschaft. So kommt der Verein auf einen Jahresetat von einer Million Euro, mit drei Angestellten in der Geschäftsstelle.

Turbine Potsdam hat seit 2012 keine Meisterschaft mehr gewonnen. Seitdem haben der VfL Wolfsburg und der FC Bayern München die Titel unter sich ausgemacht. Auch in anderen Ländern Europas bestimmen Klubs, die erfolgreich im Männerfußball sind, die erste Liga der Frauen.

Jenseits der großen Termine gibt es für Frauenfußball kaum Aufmerksamkeit

In England ist es der FC Chelsea, in Spanien der FC Barcelona, in Frankreich Olympique Lyon. In Deutschland hat sich der siebenmalige Meister der Frauen-Bundesliga, der 1. FFC Frankfurt, vor zwei Jahren Eintracht Frankfurt angeschlossen. Turbine Potsdam kooperiert mit Hertha BSC in Berlin, eine Fusion ist noch nicht in Sicht.

In Deutschland hat sich der DFB lange auf seinen Erfolgen ausgeruht. Das Frauennationalteam gewann zweimal die Weltmeisterschaft und achtmal die Europameisterschaft. Als Gastgeberinnen der WM 2011 freuten sie sich über beachtliche Fernsehquoten und Sponsoring-Einnahmen. Doch zwischen großen Turnieren blieb die Aufmerksamkeit gering. Der gemeinnützige DFB konnte sich nicht dazu durchringen, die Frauen-Bundesliga in eine eigene Organisation auszulagern. So wie bei den Männern, wo sich die Deutsche Fußball-Liga DFL als selbstbewusste Interessenvertretung etabliert hat.

In England müssen Profi-Fußballerinnen von ihrem Sport leben können

In der Sportindustrie bleibt jenseits des Männerfußballs wenig Raum, das spüren Handball, Leichtathletik oder andere olympische Sportarten. Wer gegen diese Konkurrenz eine lukrative Marke aufbauen will, braucht Geduld, Geld und einen größeren Stab an Mitarbeitenden. Die englische Football Association FA vermarktet ihre Frauenliga seit 2010 als „Women’s Super League“, in enger Partnerschaft mit einer britischen Bank.

Laut Medienberichten erhält die englische Liga durch die Vermarktung von TV-Rechten jährlich rund 17 Millionen Euro. Fußballerinnen, so die Regel in England, müssen von ihrem Sport leben können. Ähnlich ist die Lage in Spanien, wo die großen Klubs in ihren sozialen Medien zunehmend für ihre Frauenteams werben. Der Zuschauerschnitt liegt weit unter dem der Männer, aber immer wieder führen Kampagnen zu Weltrekorden. Im April verfolgten in der Champions League der Frauen fast 92.000 Menschen das Heimspiel des FC Barcelona gegen den VfL Wolfsburg.

Solche Bestmarken hätte es schon vor langer Zeit geben können. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts war der Fußball bei vielen Frauen beliebt. In Frankreich, Deutschland oder Polen entstanden Wettbewerbe. In England hatte jede größere Gemeinde ein eigenes Frauenteam. 1920 verfolgten 53.000 Zuschauer ein Spiel in Liverpool. Der englische Fußballverband hatte jedoch Sorge, dass die Aufmerksamkeit für die Männerspiele abnehmen würde, und so verbot er den Spielbetrieb für Frauen 1921.

Der DFB tat es ihm 1955 gleich. Frauen spielten weiterhin Fußball, doch im wichtigsten Ligensystem waren sie erst ab den 1970-Jahren wieder willkommen. Weitere Jahrzehnte sollten vergehen, bis die großen Verbände ein seriöses Interesse für Frauenfußball entwickelten.

Und manche reagieren auch in der Gegenwart nur auf öffentlichen Druck. Spitzenklubs wie Borussia Dortmund und der FC Schalke 04 haben erst vor kurzem eine Abteilung für Mädchen und Frauen gegründet. Es wird lange dauern, bis ihre Teams aus der untersten Klasse durch sämtliche Ligen in die europäische Spitze vordringen. Andere Vereine wie der VfB Stuttgart oder Mainz 05 schließen Partnerschaften mit erfolgreichen Frauenklubs ihrer Regionen. Wiederum andere wie Hertha BSC halten sich noch zurück. Im Gegensatz zum 1. FC Union, der bereits in der DDR als einer der ersten Vereine eine Frauenabteilung besaß. Zu den Vorzeigeklubs für Mädchen und Frauen gehört allerdings auch Union nicht.

Frauenförderung als Bedingung für eine Bundesligalizenz?

Im milliardenschweren Männerfußball könnte die Deutsche Fußball-Liga die Frauenförderung zur Bedingung für eine Bundesligalizenz machen. Nachwuchszentren, Partnerschaften mit Schulen oder Marketingabteilungen könnten ihren Fokus stärker auf Frauen ausrichten. Doch das reicht nicht. Laut dem Antidiskriminierungsnetzwerk Fare werden weniger als vier Prozent der Führungspositionen im europäischen Fußball von Frauen besetzt. Im DFB-Präsidium sind von 15 Mitgliedern fünf weiblich. Im DFL-Präsidium sitzt eine Frau: Donata Hopfen, seit kurzem auch Geschäftsführerin.

Auch jenseits von Verbänden und Vereinen werden Sponsoren, Sportartikelhersteller oder Fußballmedien in der Regel von Männern geprägt. Laut der Sporthochschule Köln kommen nur in 15 Prozent der Sportberichterstattung Frauen vor. Auch zahlreiche Werbeaktionen für den Frauenfußball wurden – bewusst oder unbewusst – auf ein heterosexuelles Männerpublikum ausgerichtet.

Zur heimischen Frauen-WM 2011 lautete der Slogan: „20elf von seiner schönsten Seite“. Ein Spielzeughersteller brachte eine Fußball-Barbie auf den Markt. Für ein Kosmetikunternehmen posierten Spielerinnen in engen Abendkleidern, ergänzt mit Internettipps für Make-up und Haarpflege. Und immer wieder lassen sich Fußballerinnen im Playboy ablichten. Offenbar haben einige von ihnen den Eindruck, nur so das Interesse von Sponsoren wecken zu können.

In verkrusteten Netzwerken treffen Männer die Entscheidungen

Diese Reproduktion veralteter Geschlechterbilder dürfte einer von vielen Gründen sein, warum sich Frauen weniger im Fußball engagieren. An der Basis hatten sich vor der Pandemie zwar mehr Frauen für eine C-Lizenz als Trainerin bemüht, also für die unterste Kategorie im Kinder- und Jugendfußball. Aber schon eine Stufe höher, an der Schwelle zum Leistungssport, sinkt der weibliche Anteil enorm. Das liegt nicht an fehlender Bereitschaft der Frauen, sondern an verkrusteten Netzwerken, in denen Männer die Entscheidungen für Fortbildungen, Spielpläne und Schiedsrichter-Ansetzungen treffen.

Auch weiter oben sind ehemalige Nationalspielerinnen selten dazu bereit, ihren Jahresurlaub für mehrwöchige Trainerfortbildungen aufzubringen. Selbst in der Frauen-Bundesliga werden die Teams in der Regel von Männern trainiert. Mit wenigen Ausnahmen. Die ehemalige Bundesligaspielerin Carmen Roth übernahm als Trainerin 2017 das Frauenteam von Werder Bremen. Zwei Jahre später hörte sie auf eigenen Wunsch auf und nahm ihren unbefristeten Job bei einer Versicherung wieder auf. So gehen den Mädchen an der Basis sichtbare Vorbilder verloren. Zuletzt schwärmte der DFB zwar von einem Wachstum: Von seinen 7,17 Millionen Mitgliedern seien 2,2 Millionen auf den Plätzen aktiv – darunter aber nur 187.000 Spielerinnen.

In Dänemark streiken Fußballerinnen für eine bessere Bezahlung

Der DFB und der Deutsche Olympische Sportbund DOSB haben einige Förderprojekte und Führungskräfte-Seminare für Frauen entwickelt. Zumindest der DFB sträubt sich aber noch gegen eine verbindliche Frauenquote für seine Gremien. Anders als der Fußballverband in Norwegen, der bereits in den 1990-Jahren eine solche Quote eingeführt hatte. Dort sollen mindestens zwei Frauen dem Präsidium angehören, damit sich eine allein nicht als Alibi fühlt. Längst ist das Präsidium zur Hälfte mit Frauen besetzt, an der Spitze steht seit März die frühere Nationalspielerin Lise Klaveness.

Von solchen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt. Doch jenseits der DFB-Strukturen geht es schneller voran. Ein Netzwerk um die frühere Hamburger Fußballfunktionärin Katja Kraus verlangt den Verbänden Reformen ab. Die Wanderausstellung „Fan.Tastic Females“ stellt weibliche Ultras vor. Und das Bündnis „F_in“, Frauen im Fußball, informiert über Sexismus in den Fankurven.

Diese Initiativen werden allerdings von wenigen prominenten Stimmen unterstützt, auch die deutschen Nationalspielerinnen halten sich zurück. Ganz anders in Dänemark, wo Spielerinnen 2017 für eine bessere Bezahlung in Streik gingen. Oder in den USA, wo die Weltmeisterinnen um Megan Rapinoe ihren Verband wegen „finanzieller Diskriminierung“ verklagten. Auch dank ihres Engagements werden nun bei der Frauen-EM 16 Millionen Euro an Preisgeld verteilt, doppelt so viel wie bei der EM 2017. Bei der Männer-EM im vergangenen Jahr waren es 331 Millionen.