Hinter der S-Bahn-Brücke beginnt Lichtenberg. Das eigene Studio, und das ist K-Paul wichtig, liegt also in dem Stadtteil, in dem der Techno-DJ geboren wurde und in dem er seit ein paar Jahren mehr denn je verwurzelt ist. Dass es in der Straße seines Studios etwas schmutziger ist, störe ihn nicht, Berlin sei halt etwas rough, das Grobe, das Raue gehöre zum Charme der Stadt. Auf dem Weg ins Studio inspiriere ihn das, wie er auf dem Weg in das kleine benachbarte Café, in dem er Stammkunde ist, erzählt.
1,5 Kilometer entfernt davon aber hat Kai Paul, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, in den vergangenen Jahren auf mehreren Ebenen eine neue Liebe gefunden: Sparta Lichtenberg. Bevor der frischgebackene Oberliga-Aufsteiger am Sonnabend (12.15 Uhr/ARD) im Mommsenstadion gegen TuS Makkabi Berlin, Dritter der abgelaufenen Oberliga-Saison, um den Landespokal spielt, hat K-Paul über eine längst verloren geglaubte Leidenschaft, einen neuen Song und seine Liebe zu Sparta erzählt.
Herr Paul, als bekannter Künstler könnten Sie es sich in Berlin doch einfach machen und zu Union oder Hertha gehen. Warum tun Sie das nicht?
Da muss ich natürlich ehrlich sein: Ich bin seit meiner Kindheit Fan vom BFC Dynamo – ich habe drei Straßenbahnstationen vom Sportforum Hohenschönhausen entfernt gewohnt. Deshalb kann ich nicht zu Union gehen, ich kann nicht Union-Fan sein, weil ich doch dann ein Fähnchen im Wind wäre. In meiner Kindheit habe ich zehn DDR-Meisterschaften vom BFC gefeiert und war immer stolz auf Spieler wie Rainer Ernst, Andreas Thom und Thomas Doll. Und jetzt, wo es hip ist, für Union zu sein, renne ich dahin? Das geht für mich nicht.
Warum nicht?
Für mich geht es beim Fußball nicht darum, wer gerade der Hippeste oder der Erfolgreichste ist. Nur weil Union jetzt Champions League spielt, muss ich nicht dahin rennen. Aber ich habe Respekt vor der Leistung.
K-Paul ist als Zuschauer fast so aufgeregt wie vor einem eigenen Auftritt
Die hat auch bei Sparta in dieser Saison gestimmt.
Ich bin als Kapitän mit unserer Ü32 aufgestiegen, dazu auch die erste und zweite Mannschaft. Das Jahr ist das absolute Jahr von Sparta. Am Wochenende ist es für unsere erste Herrenmannschaft das Spiel des Jahres, das Spiel des Jahrhunderts, das wichtigste Spiel der Vereinsgeschichte. Ich bin fast so aufgeregt wie vor einem eigenen Auftritt, obwohl ich nicht mal selber spiele, sondern von der Tribüne zuschaue.
Sie haben erst zuletzt bei Festivals wieder vor vielen Fans gespielt. Wie gefällt es Ihnen als Fußballfan am Seitenrand so ein bisschen auszuflippen und über ein Tor zu jubeln?
Das war mir ein wenig abhandengekommen, weil ich durch die Musik den Fußball gar nicht mehr so ausleben konnte. Jetzt durch Sparta ist es in dieser Saison wieder mehr geworden. Vor allem bei dem Spiel gegen den BFC im Pokalhalbfinale (5:1, Anm. d. Red.) war ich mal wieder so richtig emotional dabei. Das war für mich auch anstrengend, aber hat mir gezeigt, dass ich die Leidenschaft wiederentdeckt habe. Natürlich stehe ich gerne auf der Bühne und spiele meine Musik – das ist ein überragendes Gefühl. Aber eins wird sich nie ändern: Ich liebe es, seit ich sechs Jahre alt bin, wenn der Ball in diesem Netz landet. Diese Freude hat sich niemals geändert. Bei der Musik gehen auch die Arme hoch, aber wenn der Ball im Netz zappelt, ist die Freude bei mir immer noch so groß wie früher als kleiner Junge.
Sie haben also als Kind auch schon Fußball gespielt?
Ich habe meine Fußball-Karriere mit sechs Jahren bei Einheit Weißensee angefangen. Das war mein erster Verein. Für mich war es damals das Größte, irgendwann mal für den BFC zu spielen. Das habe ich leider nie geschafft. Ein paar aus meinem Wohngebiet haben das geschafft – das waren immer die großen Helden mit ihren weinroten Trainingsanzügen. Mit 16, 17 habe ich so eine Band gehabt und dachte, vielleicht läuft es mit Musik besser als mit Fußball.
Wären Sie lieber Profifußballer als DJ geworden?
Aus heutiger Sicht muss ich schon sagen, dass das mit der Musik schon geil ist. (lacht) Aber früher war ich so fußballverrückt, ich habe jeden Tag gespielt. Ich habe allerdings irgendwann gesehen, dass ich den Sport liebe, es aber Bessere gibt und ich es nicht schaffen werde, so gut wie Andreas Thom oder Rainer Ernst oder Thomas Doll zu sein. Irgendwann wurde ich nur noch eingewechselt, was ich hasse, und dann bin ich lieber zur Probe mit meiner Band gegangen. Das kam dann von ganz allein, dass ich die Fußballerkarriere nicht mehr ganz so stark verfolgt habe. Dabei war ich nie musikinteressiert. Ich stand noch auf Modern Talking, CC Catch und Sandra, wo andere schon die Ärzte gut fanden, weil ich mich nur für Fußball interessiert habe.
Wie weit ging Ihre Fußballliebe?
Ich kannte jede Oberligamannschaft und jeden Spieler. Oft gehe ich noch heute mit Paul Kalkbrenner (ebenfalls Techno-DJ, Anm. d. Red.) zusammen die ehemalige Oberliga nach Mannschaften und Spielern durch und wir batteln uns da. Wir kommen da auf Mannschaften wie BSG Modedruck Gera oder Aktivist Brieske Senftenberg.
Ich komme aus Dessau, wie hieß dort der höchstklassigste Verein zu DDR-Zeiten?
Anhalt Dessau. Moment, Motor Dessau?
Motor ist schon gut …
Das ist gemein. Vorwärts Dessau, ASG Vorwärts Dessau. (lacht) Den nehme ich jetzt neu auf in meine Liste mit Paul. Das sind so tolle Namen wie ASK Vorwärts Frankfurt (Oder), Anker Wismar, Stahl Brandenburg.
Da passt ja Sparta ganz gut.
Ich bin irgendwann aus Weißensee weg und in meine Musikgefilde gekommen. In Kreuzberg habe ich bei Hansa 07 in so einer Hobbymannschaft gespielt, die Hundelunge Kreuzberg hieß. Und dann, so aus dem Nichts, rief mich Paul Kalkbrenner an. Obwohl wir uns schon lange kannten, hatten wir uns schon lange nicht mehr gehört. Jedenfalls rief er an und sagte: „Wir müssen zum Fußball, Sparta Lichtenberg.“ Kein Hallo, kein nichts. Sondern nur: „Nächsten Mittwoch, kommst du mit?“ Durch ihn kamen wir da hin und durften bei der Ü32 mitmachen. Aber da habe ich ganz schnell gemerkt, dass ich das hochklassigere Fußballspielen etwas verlernt hatte.
Trotzdem entstand schnell eine neue Fußball-Liebe?
Ich habe sofort wieder das Feeling aus Weißensee gehabt. Im Vereinsheim gab es Buletten und Soljanka – das war alles so herrlich. Das war wie früher in der DDR – da hat uns der Trainer nach einem guten Spiel eine Bulette und eine Fassbrause spendiert. Das war geil, dafür habe ich meinen Trainer geliebt. Heute kann ich mir das selber kaufen und sitze mit Paul da, esse meine Bulette, trinke mein Bier und genieße das Ost-Berliner Fußballleben. Die Leute reden hier in der Sprache, die ich aus meiner Jugend kenne, und ich war sofort in Sparta verliebt, den Namen, in das ganze Gefühl.

Wie ist dieses Gefühl?
Die Leute sind hier echt. Der Wirt haut auch mal einen deftigen Spruch raus, du haust einen zurück, wir sind aus Berlin und nicht so etepetete. Wenn du ein Bier bestellst, musst du auch mal damit rechnen, dass du eigentlich immer mal einen blöden Spruch kriegst, wenn du zum Beispiel kein Tor gemacht hast. Dann musst du halt einen blöden Spruch zurück machen. Das ist keine Mäuschensprache. Das finden Kalki (Paul Kalkbrenner, Anm. d. Red.) und ich gut und fingen an, da richtig mitzumachen. Ich noch etwas mehr.
Wie genau?
Ich habe halt richtig mitgemacht, Sprints und um den Platz rennen – halt richtiges Training. Und dann habe ich mich hier angemeldet. Beim ersten Spiel hat der Trainer gesagt, dass ich von Anfang an spiele. Ich war damals Mitte 30 und dann gleich in der Landesliga von Anfang an, ich habe aber früher immer nur in der Kreisklasse gespielt. Dann ging es auf den Platz und ich dachte mir, hier bist du falsch. Dann kam der Ball zu mir, ich erwische ihn nicht so richtig und deshalb ging er ins Tor. Da habe ich Selbstbewusstsein bekommen, konnte aber nur gut aussehen, weil um mich herum gestandene Fußballer waren. Zehn Minuten später mache ich das 2:0, kurz nach der Halbzeit das 3:0 – ich mache in meinem ersten Spiel einen Hattrick und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ein paar Wochen später hatte ich Geburtstag, da kam fast die ganze Ü32 bei mir vorbei und schenkte mir eine Sparta-Mütze mit drei goldenen Sternen. Von da an war das mein Klub. Das hat mich sehr bewegt.
Sie sind mittlerweile Ehrenmitglied, Fan und Spieler in der Ü32. Wie sieht die Verbindung zur ersten Mannschaft aus?
Dieses Jahr habe ich so einen richtigen Draht zu den Jungs: Ich bin der Kapitän der Ü32-Mannschaft – und der Kapitän der Herrenmannschaft war mit seinen Jungs bei einer Party von mir, da haben wir uns mal länger unterhalten und dadurch habe ich eine noch größere Verbindung zu dem Team aufgebaut.
Wie sieht die aus?
Die sind jetzt nahbarer, früher waren sie nach dem Spiel immer gleich weg, jetzt sitzen wir noch zusammen und trinken ein Bier miteinander. Das sind gute Jungs, eine gute Mannschaft, eine richtig eingeschworene Truppe. Viele sind seit vielen Jahren dabei und jetzt haben sie die Chance, sich zu belohnen. Ich mag das, weil ich Fußballer mit Leib und Seele bin. Zu sehen, wie sie die Chance auf das Double und die Qualifikation für den DFB-Pokal haben, ist geisteskrank.
Haben Sie vor solchen Spielen Rituale?
Ich könnte so ein Typ sein, wenn ich darüber nachdenke. Ich könnte meine Ehrennadel immer anstecken, aber da habe ich Angst, dass ich sie verliere, wenn ich da rumspringe. Ich habe da so ein Unter-Nicki, vielleicht ziehe ich das an.
Nicki, so ein Begriff, den nicht jeder versteht.
Vor allem nicht die jüngeren Spieler in der Kabine. Aber die Älteren kennen das und ich liebe diesen Begriff. Das habe ich aber auch erst bei Sparta wiederentdeckt. Hier kann ich so sein und so reden wie in meiner Jugend. Jetzt ist der Mittwoch für mich der heilige Trainingstag.
Vereinsheim von Sparta Lichtenberg ist ein Stückchen Heimat
Wie sieht der aus?
Abends ist Fußball, danach geht es ins Vereinsheim, da wird nur berlinerisch gequatscht und ein Bierchen mit ein paar Spielern und Vereins-Legenden wie unserem 86-jährigen Atze, der gefühlt sein ganzes Leben Sparta-Mitglied ist und von jedem geschätzt wird, getrunken. Da kann man so sein, wie man aufgewachsen ist. Das ist für mich eine der letzten wahren Ost-Berliner Stellen. Das letzte bisschen Heimat ist für mich der Platz und das Drumherum, und das wertschätze ich sehr.




