Bundesliga

Der 1. FC Union Berlin ist reif für die Champions League

Mit dem beeindruckenden 2:1-Erfolg in Leipzig eröffnen sich die Eisernen die Chance auf eine Teilnahme an der europäischen Königsklasse.

Der eiserne Hulk: Kevin Behrens zeigt nach seinem Siegtreffer in Leipzig seinen beeindruckenden Oberkörper.
Der eiserne Hulk: Kevin Behrens zeigt nach seinem Siegtreffer in Leipzig seinen beeindruckenden Oberkörper.imago/Huebner

Wiedergutmachung. Revanche. Urs Fischer, der Trainer des 1. FC Union Berlin, kann mit solchen Begriffen offensichtlich nicht viel anfangen. Der Schweizer Fußballlehrer wirkte sogar ein wenig genervt, als ein Fernsehreporter am Sonnabendnachmittag nach dem 2:1-Sieg im Ligaspiel bei RB Leipzig von ihm wissen wollte, ob er diesen Erfolg nicht doch lieber am Mittwochabend im Pokal-Halbfinale an gleicher Stelle gegen den gleichen Gegner gefeiert hätte. Da waren die Unioner den ungeliebten „Sachsen“ ja noch in Folge eines Gegentores in der Nachspielzeit mit 1:2 unterlegen. „Klar, hätten wir gern das Pokalfinale erreicht“, sagte Fischer kurz und knapp, schloss mit einem Seufzer, um wenige Minuten später in der Pressekonferenz mit einer schon fast weisen Antwort auf eine ähnliche Frage zu reagieren. Der 56-Jährige sagte: „Ich glaube, es ist gut im Leben, dass man gewisse Dinge nicht zurückdrehen kann.“

Rauschhafter Schlussspurt

Fakt ist: Ein Endspiel im Berliner Olympiastadion mit der gar nicht so schlechten Aussicht, im Duell mit dem SC Freiburg nach 1968 den zweiten bedeutenden Titel in der Klubhistorie zu holen, wäre für alle Unioner ein Fest gewesen. Ein besonderer Moment der Genugtuung zudem, weil man dieses Fest in der Heimspielstätte des Stadtrivalen hätte feiern können.

Fakt ist aber auch, dass der Sieg, den sich die Eisernen am Sonnabendnachmittag in einem rauschhaften Schlussspurt durch die Tore von Sven Michel (86.) und Kevin Behrens (89.) sichern konnten, für die langfristige Entwicklung des Klubs als noch wertvoller erachtet werden darf als ein Pokalfinale. Das klingt verwegen und ist natürlich nicht im Sinne der Fans, aber mit diesen drei Punkten haben sich die Köpenicker tatsächlich die Chance auf die Teilnahme in der Champions League eröffnet. Und damit natürlich auch die Chance, das ohnehin schon rasante Wachstum des Klubs noch weiter zu beschleunigen.

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Nach 31 Spieltagen liegt der 1. FC Union mit 50 Punkten zwar aktuell „nur“ auf Platz sechs, während der SC Freiburg als Tabellenfünfter 52 Punkte, RB Leipzig als Tabellenvierter 54 Punkte und Bayer Leverkusen wiederum als Tabellendritter 55 Punkte vorzuweisen haben. Doch das Restprogramm, das die Eisernen haben, mit zwei Heimspielen gegen Greuther Fürth und den VfL Bochum sowie einem Auswärtsspiel beim SC Freiburg, lässt tatsächlich auf das scheinbar Undenkbare hoffen. Hinzu kommt zum einen, dass RB Leipzig auch noch im Halbfinale der Europa League, also in Hin- und Rückspiel gegen die Glasgow Rangers gefordert ist. Zum anderen, dass es am letzten Spieltag zum direkten Duell zwischen Leverkusen und Freiburg kommt.

Ob er Union im Hinblick auf die Qualifikation für die europäische Königsklasse als ernsthaften Konkurrenten erachte, wurde Leipzigs Trainer Domenico Tedesco nach der ersten Niederlage seiner Mannschaft nach zuvor 15 Spielen ohne Niederlage gefragt. Tedesco erklärte: „Ja, klar, logisch, die sind in der Lage, jeden Gegner zu schlagen. Wenn sie in Leipzig gewinnen, können sie gegen jeden Gegner gewinnen.“ Fischer wiederum war natürlich in seiner Prognose für den Ausgang dieser Saison etwas vorsichtiger, sagte: „Wir haben uns dazu geäußert, dass wir oben noch einmal angreifen wollen. Im Moment sieht es nicht schlecht aus, aber wir befinden uns am 31., nicht am 34. Spieltag. Da interessiert es mich, wo wir stehen.“

Flexibler als mit dem Faktor Kruse

Was die Eisernen nur drei Tage nach der großen Enttäuschung im Pokal auf den Platz brachten, war jedenfalls allemal Champions-League-reif. Eine „Wahnsinns-Moral“ habe seine Mannschaft gezeigt, sagte Fischer. Wohl wahr, weil sie nach einer sehr guten ersten Spielhälfte unmittelbar nach Wiederanpfiff „quasi aus dem Nichts“ (Fischer) in Rückstand geraten war, nach einem klaren Foulspiel von Nordi Mukiele an Niko Gießelmann in der 60. Minute von Schiedsrichter Daniel Schlager um einen Strafstoß gebracht wurde, sich aber „unbeirrt“ (Fischer) und schließlich auch mit Erfolg am Comeback versucht hat. Bemerkenswert ist zudem, dass die Leipziger trotz ihrer versierten Offensive in den ersten 45 Spielminuten nicht zu einer Torchance kamen.

Aber es ist ja nicht nur die Kombination aus Wille und Konzentrationsfähigkeit, die Union in dieser Saison so weit gebracht hat. Nein, die Elf von Fischer verfügt auch über spielerische Klasse, scheint im Spiel nach vorne inzwischen noch flexibler und damit für den Gegner unberechenbarer zu sein als mit dem Faktor Max Kruse. Dank Sheraldo Becker, dank Taiwo Awoniyi, dank Andreas Voglsammer, dank Grischa Prömel, dank András Schäfer, dank Genki Haraguchi, dank Kevin Behrens und dank Michel. „Wenn wir so weitermachen, brauchen wir auch gar nicht zu gucken. Dann qualifizieren wir uns“, erklärte Letztgenannter am Sonnabendnachmittag nach der Partie. Welchen internationalen Wettbewerb er dabei konkret im Sinn hatte, ließ der Torschütze und Vorlagengeber beim 2:1 gleichwohl offen.