Es ist an der Zeit, Abbitte zu leisten – und das bei Frederik Rönnow. Denn vor gar nicht langer Zeit brachte der Autor dieser Zeilen noch da und dort die Überzeugung ein, dass der Däne nicht das Zeug hat, um sich beim 1. FC Union Berlin als Stammtorhüter zu etablieren. Inzwischen zählt der 30-Jährige, der im Sommer 2021 von Eintracht Frankfurt zu Union gewechselt war, zu den besten Keepern der Bundesliga. Die Statistiken untermauern dies.
Nur 27 Gegentore bei 29 Einsätzen in der vergangenen Saison gewährte Rönnow den gegnerischen Angreifern. 77,7 Prozent der Schüsse, die auf sein Tor kamen, konnte er parieren, was im Vergleich mit den anderen Schlussmännern in der Liga einen Bestwert darstellt. Elfmal spielte er zu null, was ihm in der entsprechenden Rangliste hinter Freiburgs Mark Flekken (13) und Wolfsburgs Koen Casteels (12) zusammen mit Dortmunds Gregor Kobel (ebenfalls 11) Platz drei einbringt. Ja, Rönnow hat sich seit seiner Ankunft in Köpenick stetig verbessert, ist trotz der teaminternen Konkurrenz durch den hoch talentierten Lennart Grill das, worauf ein jeder Torhüter hinarbeitet: unumstritten.
Diese Entwicklung ist fraglos ein Verdienst von Michael Gspurning, der bei den Eisernen unter dem Titel Head of Goalkeeping seit 2017 offenbar einen großartigen Job macht siehe auch Rafal Gikiewicz sowie Andreas Luthe) und wesentlichen Anteil am sportlichen Erfolg der Köpenicker hat. Ja, der Österreicher hat sich innerhalb kürzester Zeit einen Ruf als hervorragender Spezialcoach erarbeitet, ist in diesen Tagen auch erstmals als Torwarttrainer der österreichischen Nationalmannschaft gefragt, wenn die ÖFB-Auswahl in der EM-Qualifikationsrunde zunächst am Sonnabend auf Belgien, am Dienstag schließlich auf Schweden trifft.
Dabei gilt es in Absprache mit Nationaltrainer Ralf Rangnick aus den vier nominierten Torhütern, also aus Alexander Schlager, Niklas Hedl, Daniel Bachmann und Patrick Pentz, eine neue Nummer eins zu wählen. Denn Heinz Lindner, der Keeper vom FC Sion, der unter Rangnick zuletzt gesetzt war, ist aufgrund einer Hodenkrebserkrankung inklusive einer Operation im Mai bis auf weiteres außen vor.

„Mit Michael Gspurning“, so ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel, „konnten wir einen sehr erfahrenen Fachmann für diese Position gewinnen. Besonders interessant ist auch, dass er Teil der Erfolgsgeschichte von Union Berlin ist. Michael weiß, wie es ist, als Tormann des Nationalteams auf dem Platz zu stehen, und hat im Rahmen seiner vielen internationalen Stationen auch viele Erfahrungen als Tormann und Mensch sammeln können, von denen er jetzt als Trainer extrem profitiert. Wir danken dem 1. FC Union Berlin für die konstruktiven Gespräche und die Möglichkeit, diese Tätigkeiten parallel ausüben zu können. Dadurch ergeben sich für alle wertvolle Synergien.“ Rangnick wiederum lobte seinen neuen Mitstreiter als „modernen Torwarttrainer“.
Drei Länderspiele für Österreich
Und das ist Gspurning, der 2008 und 2009 bei drei Länderspielen im Tor der Österreicher stand, in der Tat – wie sich unter anderem im Gespräch mit den Podcastern von „Das Kabinengespräch“ gezeigt hat. Dabei gewährte der 42-Jährige einen Blick in seine „Werkzeugkiste“, erläuterte zudem, wie tief er im Nachgang einer Partie in die Analyse geht. Bis zu 50 Spielszenen lässt er sich vom Videoanalysten aufbereiten, guckt sich noch mal genau an, wie sein Schützling dabei agiert beziehungsweise reagiert hat. Ein Torhüter ist heutzutage ja nicht mehr nur ein Ballfänger, sondern ein Fußballer, ein Libero, der den Spielaufbau mitzugestalten hat.

Fehler werden besprochen, Lösungsvorschläge eingebracht und an Lösungen gearbeitet, allerdings achte er immer darauf, dass man nicht „zu tief in die Thematik einsteigt“, damit sich „das bei einem Torhüter nicht zu sehr verfestigt, als hätte er beispielsweise tatsächlich ein Problem bei Eckbällen“. Gspurning sagt: „Ein Torhüter ist heutzutage ein Risikomanager – du musst bewusst Risiken eingehen, bist im Offensivspiel eingebunden, musst hoch stehen, mit der Abwehrkette verbunden sein.“ Deshalb suche er selbst das Gespräch immer wieder mit den Defensivspielern im Kader des 1. FC Union Berlin. Grundsätzlich ginge es beim Torwartspiel, so Gspurning weiter, um „mentale Stärke, Competitiveness, Physis und ein offensives Mindset“. Aus seiner Sicht wäre Real Madrids Keeper Thibaut Courtois aktuell derjenige, der diese Anforderungen am ehesten erfülle. „Für mich ist er komplett.“
Vor allem an der Stabilität gearbeitet
Und Rönnow? „Fredi lebt von seiner Schnelligkeit“, sagt Gspurning und auch, dass sein Schützling einen „Riesensprung“ gemacht habe. „Wir haben bei ihm sehr viel am Physischen gearbeitet, vor allem in der Robustheit und in der Stabilität.“ Über ein entsprechendes Training schule man zudem – und das nicht nur mit Rönnow – die kognitiven Fähigkeiten, damit der Torhüter in der jeweiligen „Spielverteidigungssituation“ tatsächlich die richtige Entscheidung trifft.


