Union-Serie

Der Erfolg des 1. FC Union Berlin hat viel mit Routiniers wie Max Kruse zu tun

Kontinuierliche Arbeit hat Union bis in die Champions League geführt. Diese Protagonisten sind die Väter des Aufstiegs. Serie, Teil 5: die Routiniers.

Max Kruse war auch im reifen Fußballeralter noch ein Leistungsträger beim 1. FC Union Berlin.
Max Kruse war auch im reifen Fußballeralter noch ein Leistungsträger beim 1. FC Union Berlin.Sören Stache/dpa

Es gab Spieltage, da konnte einem, der sich mit dem Innenleben in der Alten Försterei nicht auskennt, Böses schwanen. Es roch, völlig auf die Spitze getrieben und nassforsch formuliert, stark nach Geriatrie, nach Altersheilkunde, damit zugleich nach Gebrechen. Nicht nur wird die deutsche Gesellschaft immer älter, immer älter wurde nämlich im Altersdurchschnitt auch die von Union-Trainer Urs Fischer aufgebotene Startelf. Es hätte nicht viel gefehlt und – Achtung: Spaß! – die Widersacher hätten auf Spiele gegen eine vermeintliche Opa-Elf aus Scham lieber verzichtet.

Zweimal knackt der 1. FC Union Berlin die Marke von 30 Jahren

Das ist, zugegeben, ganz weit hergeholt und noch weiter um die Ecke gedacht. Ein Körnchen Wahrheit, zumindest ein kleines, steckt dennoch dahinter. An etlichen Spieltagen hätte sich schon ein Zwei-Stellen-nach-dem-Komma-Rechner aufrappeln müssen, um womöglich eine noch ältere Oldie-Truppe zu ermitteln. Hier die Hitliste der ältesten Startaufstellungen des 1. FC Union Berlin in der Bundesliga: 15. Januar 2022, Heimspiel gegen Hoffenheim, 2:1 gewonnen, 30,1 Jahre; 8. Januar 2022, Auswärtsspiel in Leverkusen, 2:2 mit einem Doppelpack von Grischa Prömel, 30,0 Jahre; 19. Februar 2023, Heimspiel gegen Schalke, ein 0:0 der eher biederen Sorte, 29,9 Jahre. Das Schönste daran ist, dass keines dieser Spiele verloren wurde. Selbst die Startelf vom 1:0 gegen Bremen zum Abschluss der gerade zu Ende gegangenen Saison, mit der die Eisernen ihre erstmalige Teilnahme an der Champions League zementierten, gehört mit einem Durchschnitt von 29,4 Jahren in ihre Alters-Top-Ten.

In der ältesten jemals in der Bundesliga aufgelaufenen Union-Mannschaft, eben beim 2:1 gegen Hoffenheim in der Alten Försterei, waren Andreas Luthe, Christopher Trimmel (beide 34), Bastian Oczipka, Max Kruse (beide 33) und Andreas Voglsammer (30) zusammen 164 (!) Jahre alt. Fußballerisch durchaus eine Rentnerband, allerdings eine ziemlich geile und vom Auftreten her eine unwiderstehliche. Wer jemals an dem Spruch, dass es keine jungen oder alten, dafür aber gute oder schlechte Fußballer gebe, gezweifelt hat, muss seine Meinung ernsthaft überprüfen.

Was das Alter angeht, ist damit ganz viel gesagt. Noch keine Rolle gespielt aber hat die Reife. Bereits mit dem Aufstieg war zu erkennen, dass die Macher ein Auge auf gestandene Spieler werfen. Christian Gentner und Neven Subotic waren die ersten Neuen mit einer ganz großen Portion Erfahrung. Gentner war zwar gerade mit Stuttgart abgestiegen, hatte aber mit dem VfB und mit Wolfsburg zwei Titelgewinne in seiner Vita, hatte fünf A-Länderspiele bestritten und war mit damals 34 Jahren noch voller Tatendrang. Als er nach zwei Jahren ging, war er seit seinem letzten Treffer, erzielt zum Saisonfinale 2019/20 beim 3:0 gegen Düsseldorf, mit 34 Jahren und 318 Tagen der neue eiserne Tore-Opa. Subotic, der allerdings nicht ganz so viel Glanz hinterließ, brachte immerhin den Stallgeruch von 27 Champions-League-Spielen samt Endspiel 2013 mit Dortmund mit und 36 Länderspiele für Serbien.

An Erfahrung, so der Plan von Trainer Urs Fischer, mangelte es seinem Team nie. Als Rafal Gikiewicz, der Aufstiegsschlussmann, nach der ersten Bundesligasaison mit 32 Jahren ging, kam für ihn mit Andreas Luthe ein 33-Jähriger. Als Marius Bülter im Alter von 28 Jahren seinen Abschied aus der Alten Försterei nahm, kreuzte der 30-jährige Kevin Behrens auf. Als Sebastian Andersson mit gleichfalls 28 Jahren seine Zelte an der Wuhle abbrach, baute Max Kruse sie mit 32 auf. Niko Gießelmann kam mit 28, Robin Knoche auch, Andreas Voglsammer kam mit 29 und Genki Haraguchi mit 30, Sven Michel mit 31 und Bastian Oczipka mit 32. Sie alle haben ihren Teil zum Höhenflug beigetragen, Behrens, der Angreifer, und Knoche, das Abwehr-Ass, wollen zur bisherigen Erfolgsgeschichte auch erstmals das Kapitel europäische Königsklasse hinzufügen.

Um die Kirche im Dorf zu lassen: Alte allein, mögen sie noch so viel Erfahrung in die Waagschale werfen, hätten den 1. FC Union Berlin niemals in derartige Höhen dribbeln und grätschen, fausten und köpfen können. Dazu bedarf es der gesunden Mischung mit den Jungen. Insofern mag Fußball, auch wenn das für manchen etwas hoch gegriffen scheint, sogar ein Spiegelbild des Lebens sein. Die Mischung macht’s, das ergänzende Miteinander, das ineinandergreifende Gefüge – die Balance muss stimmen.

Urs Fischer gehört in der Bundesliga zu den Trainern der alten Schule

Keiner weiß das besser als Urs Fischer. Der ist nämlich auch alles andere als ein Springinsfeld. Mit seinen 57 Jahren gehört er zu den Trainern der alten Schule, als Schweizer sowieso, weil es bei den Eidgenossen, so der Eindruck nach fünf Jahren in Köpenick, von Solidität nur so strotzt. Ausgewogenheit und Reife sind die Attribute, die den Weg pflastern. In der vorigen Saison war Fischer der zweitälteste Coach, um acht Monate nur wird er übertroffen von Freiburgs Urgestein Christian Streich. Auch deshalb ist es kein Wunder, worauf der „Alte“ auf der Bank Wert legt. Ein Blick auf die Aufstellung sollte genügen …

Noch aber hat Fischer ein wenig Luft nach oben. Zweimal in der 57-jährigen Vereinshistorie des 1. FC Union Berlin gab es Mannschaften, die einen Hauch älter waren. In der Saison 2013/14 schickte Uwe Neuhaus beim 1:1 gegen Paderborn ein Team mit einem Altersdurchschnitt von 30,2 Jahren auf’s Feld. Den Rekord hält Georgi Wassilew von einem 2:2 in Wattenscheid aus dem Spieljahr 2000/01 mit 30,4 Jahren. Das erste Spiel stammt aus der 2. Bundesliga, das zweite aus der Regionalliga. Auch dort und damals war es schon so, dass es den Eisernen an Erfahrung nie oder nur selten mangelte.