Es ist ein Schockmoment. Den meisten der 22.012 Zuschauer in der Alten Försterei stockt der Atem. Den einen wird heiß, den anderen kalt, denn der Ball liegt im Tor, im eigenen zumal, in dem von Rafal Gikiewicz. Und das gleich zu Beginn des Spiels der Spiele, in dem nach dem 2:2 vier Tage zuvor in Stuttgart der Grundstein gelegt worden ist für einen der größten Momente der Vereinsgeschichte, für den Aufstieg in die Bundesliga. So zumindest der ehrgeizige Plan und so auch die große Hoffnung.
Nur passt da ein frühes Tor wie dieses vom VfB überhaupt nicht ins Kalkül, nachdem Dennis Aogo einen Freistoß aus 17 Metern zentraler Position ins Eck von Gikiewicz zirkelt. Da sieht der Pole im Union-Kasten nicht gerade glücklich aus. Solche Fehler sind sonst überhaupt nicht seine Art. Das hat gerade noch gefehlt und es geht auch viel zu schnell. Bis plötzlich Hoffnung keimt. Und zwar von einer Stelle, die der 1. FC Union nicht kennt. Aus der Zentrale der Deutschen Fußball-Liga, bekannt als Kölner Keller, bekommt Schiedsrichter Christian Dingert von Guido Winkmann einen – Achtung, Wortspiel – Wink. Der Videoassistent hat sich gemeldet. Mit dem 0:1, dem vermeintlichen, scheint etwas nicht zu stimmen. Kann sein, dass Nicolas Gonzalez, der den Freistoß nach einem Foul von Julian Ryerson erst herausgeholt hatte, hinter der Acht-Mann-Mauer der Eisernen im aktiven Abseits stand und Gikiewicz in seiner Reaktion vom Argentinier irritiert worden war …
Wären die Eisernen ohne Kölner Keller gar nicht aufgestiegen?
Zwei Jahre zuvor erst ist der Videoassistent im deutschen Fußball eingeführt worden, und nur in der Bundesliga. Allein den obersten 18 Profivereinen wird vorerst zugemutet, die jährlichen Mehrkosten für Personal (der Assistent dort hat einen weiteren Assistenten) und Material in Höhe von 180.000 Euro aufzubringen. Schließlich ist jede Menge Glasfaserkabel erforderlich, damit die Bilder der 20 Kameras, die bei der Beurteilung der kniffligsten aller Entscheidungen behilflich sind, reibungslos und ohne zeitliche Verzögerung ins Video-Assist-Center gebeamt und dort ausgewertet werden können.
So etwas kannten die Eisernen in ihren bisherigen Spielen nicht, denn in der 2. Bundesliga war der Video-Assistent noch nicht im Amt. Erst zum nächsten Spieljahr, zur Saison 2019/20, soll er im Unterhaus Einzug halten. Das tut er auch, nur: Hier und heute ist bereits Bundesliga. Zumindest der heiße Atem dessen, wohin die Eisernen wollen, die Schwaben jedoch trotz des für sie mageren Hinspiels nicht weichen mögen.
Bange Sekunden gilt es zu überstehen. Die schlimmsten im ganzen Spiel. Bis der nach oben ausgestreckte Arm des Schiedsrichter schon von weitem signalisiert: Abseits! Fortsetzung des Spiels nicht mit Anstoß, sondern mit Freistoß für Union. Tiefes Durchatmen auf den Rängen, der Vorteil der Auswärtstore ist weiterhin bei den Eisernen. Grischa Prömel, einer der Aufstiegshelden, konnte sich an diesen Moment noch Jahre später mit einem glücklichen Lachen erinnern: „Es war das erste Mal, dass wir mit dem Video-Assistenten Bekanntschaft geschlossen haben, aber es war ein ganz wichtiges erstes Mal.“ Die Entscheidung, das Tor zu annullieren, da sind sich alle Experten einig, ist korrekt. Nur: Wäre sie ohne den Kölner Keller trotzdem so gefallen? Wären die Eisernen ohne ihn vielleicht gar nicht aufgestiegen?
Kaum spielen die Rot-Weißen oben mit, nimmt der Mann vor den zig Videowänden in einem ihrer Spiele erneut eine markante Rolle ein. Es ist Derbyzeit. Nach 43 Jahren wieder ein Berliner Stadtderby in der Bundesliga. Klasse ist die Partie in der Alten Försterei Anfang November 2019 gegen Hertha BSC nicht, voller Kitzel und Spannung, aber doch und mit einem Showdown, der es in sich hat: Foul von Dedryck Boyata an Christian Gentner bei dessen Torschuss. Deniz Aytekin pfeift sofort: Elfmeter! Bis der Schiedsrichter anscheinend doch wacklig wird, an die Außenlinie geht und sich die Szene wieder und wieder anschaut, um dann doch auf den Punkt zu zeigen und Sebastian Polter mit seinem siegbringenden 1:0 in Minute 87 zum Derbyhelden werden zu lassen. Aytekins Erklärung für sein angebliches Zögern: „Ich war mir sicher, dass es ein Elfmeter ist, ich wollte lediglich meine Entscheidung bestätigt sehen.“ Auch so geht Video-Assistent.
Die Eisernen sackten bei RB Leipzig drei Punkte ein
Da war Daniel Schlager, Referee beim Spiel Anfang des Jahres in Leipzig, in einer viel verzwickteren Situation. Nachdem Janik Haberer und Robin Knoche mit ihren Treffern die Partie zum 2:1 drehten, lag der Ball hinter Frederik Rönnow, denn Yussuf Poulsen hatte für die Bullen den Ausgleich hineingestochert. Am Ende aber nicht. Denn Vorbereiter Timo Werner stand beim missglückten Abwehrversuch per Hacke von Aissa Laidouni im Abseits.

