Es gibt Tage, die vergisst ein Union-Fan nie. Wie einst Märchen und Sagen werden die Ereignisse an Stammtischen weitererzählt, wandern in den Stadien von Mund zu Mund und werden wahre Heldengeschichten. Jahre, Jahrzehnte und Spielergenerationen später ist das alles wie in Stein gemeißelt und es bildet die goldenen Eckpfeiler der Vereinsgeschichte. Noch schöner ist es, wenn sich die Damals-Jungen mit den Jetzt-Machern zusammentun und den ein oder anderen Höhepunkt gemeinsam ins Heute holen. So wie den 28. Mai 1988.
Mit der letzten Aktion gelingt Mario Maek der Siegtreffer in Karl-Marx-Stadt
Jeder, in dessen Adern rot-weißes Union-Blut fließt, weiß aus dem Effeff: Karl-Marx-Stadt; letzter Spieltag der DDR-Oberliga; allerhöchste Abstiegsgefahr; zweimaliger Rückstand gegen einen Rivalen, der mit den Nationalspielern Rico Steinmann, Hans Richter und Michael Glowatzky, dazu mit Libero-Haudegen Jürgen Bähringer erstklassig besetzt war; 3:2-Siegtor durch Verteidiger Mario Maek mit der letzten Aktion im Spiel; Klassenerhalt für das Team um die Trainer Karsten Heine; pure Glückseligkeit unter den Fans; zwei Tage danach im Deutschen Sportecho, der Sporttageszeitung, der mittlerweile legendäre Satz: „Und in der letzten Minute sagte der liebe Gott: ‚Ich bin ein Unioner!‘“
Länger als sonst habe ich damals überlegt, welche besonderen Sätze diesem besonderen, außerordentlichen Spiel gerecht werden. Bis mir Gottes Wort einfiel. Vielleicht ist das die Geburtsstunde des Begriffes „Fußballgott“, der beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung nach jedem Namen eines Union-Spielers von den Rängen knallt. Manchmal jedenfalls bilde ich es mir ein, dass es so gewesen sein könnte.
Damals jedoch, die Montagszeitungen waren noch druckfrisch, war mir nicht zum Lachen. Kaum war ich in der Redaktion in der Neustädtischen Kirchstraße, wurde ich bereits beim Empfang mit den Worten begrüßt: „Da kommt ja der liebe Gott.“ Bis zum Pförtner hatte sich herumgesprochen, dass es einen Anruf aus dem hohen DTSB-Haus gegeben hatte. Manfred Ewald, unumschränkter Herrscher im Leistungssport der Republik, hatte persönlich zum Hörer gegriffen, Chefredakteur Dieter Wales angerufen und ihn gefragt, „ob der junge Mann denn nicht wisse, dass wir alle Atheisten sind“. Wales nahm es mit einem Augenzwinkern und Ewalds Ärger war unbegründet: Der liebe Gott war nur so eine Idee.
An diesen historischen Tag vor 35 Jahren erinnert nun der Ehrenrat und lädt für Sonnabend, zum Ausklang der Bundesligasaison, alle ein, die beim Triumph damals dabei waren, Besuch im Stadion gegen Werder Bremen inklusive. In der Einladung, welche Ehre, taucht mein Satz vom lieben Gott von damals auf.
Die Stimmung vom 28. Mai 1988 soll auf den 27. Mai 2023 übertragen werden
Die Idee hinter allem ist klar: Die Stimmung vom damaligen 28. Mai, die Hoffnung, an die sich alle klammerten und die erfüllt wurde, der Glaube an das Team sollen auf den heutigen 27. Mai transportiert werden und mithelfen, eine ähnliche Gemeinsamkeit zu finden. Denn nur die Wagemutigsten hatten auf das Team um Kapitän Olaf Seier und Torhüter Steffen Schlegel, Ralph Probst und Olaf Hirsch, Matthias Morack und René Adamczewski, Steffen Enge und René Unglaube gesetzt.
Allein die Vorzeichen sind gänzlich anders. Rang vier, der in anderen Wettbewerben als der angesehen wird, für den es nur Blech gibt, würde die Rot-Weißen in neue Dimensionen katapultieren. Nie wäre Blech für die einstigen Schlosserjungs so wertvoll wie heute.



