Expertenrat

Lernen in den Ferien: Ja oder nein? Das sagen Fachleute dazu

Sind Ferien nur zum Erholen da? Oder vergisst das Kind zu viel Schulstoff? Sollte es lernen? Das sagen ein Lehrer, ein Nachhilfe-Coach und eine Kindertherapeutin.

In den Ferien zu lernen, macht den wenigsten Kindern Spaß.
In den Ferien zu lernen, macht den wenigsten Kindern Spaß.Vasily Pindyurin/imago

Es ist das absolute Highlight und die schönste Zeit des Jahres für alle Schulkinder: die Sommerferien. Sechs Wochen lang ausschlafen, spielen, keine Hausaufgaben, keine Tests, einfach nur genießen und nichts müssen. Allerdings sind sechs Wochen auch eine lange Zeit, in der viel vergessen werden kann.

Insbesondere Kinder, deren Zeugnis vielleicht nicht so gut war wie erhofft, könnten vom Lernen während der Ferien profitieren. Oder etwa nicht? Brauchen sie die lange Pause, um ihre Akkus wieder aufzuladen? Wir Großen wollen ja im Urlaub und an den Wochenenden eigentlich auch nichts von der Arbeit hören oder sehen.

Wir haben bei drei ausgewiesenen Fachleuten nachgefragt, wie sie das sehen: Sollten Kinder während der Ferien lernen – oder eher nicht?

Nachhilfe-Experte: Erst nach drei Wochen spielerisch das Lernen integrieren

Fredrik Harkort aus Kladow, selbst Vater zweier Kinder, hat die Nachhilfe-Plattform cleverly.de gegründet. Bundesweit helfen hier Fachkräfte beim Lernen und bei den Hausaufgaben – online, aber im direkten Austausch. Das sagt Fredrik Harkort:

Lassen Sie die Kinder erst einmal die Ferien genießen. Wir raten unseren Eltern, die Kinder in den ersten drei Wochen komplett abschalten zu lassen und keine schulischen Themen anzugehen. Diese Regenerationsphase ist nötig, denn Schule ist viel herausfordernder, als wir es heute als Erwachsene in unserer Erinnerung haben.

Bedenken Sie auch: „Lernen“ ist nicht nur Mathe, Deutsch und Geografie. Auch soziale Interaktionen und Medienkompetenz wollen gelernt sein. Spielen mit anderen Kindern baut auch (soziales) Wissen auf, gemeinsames Lesen und das Entdecken von Medien weiten den Horizont.

Nach drei Wochen können Sie anfangen, kleine Lerneinheiten spielerisch einzubauen: Zum Beispiel, wenn man gemeinsam kocht und es um Mengenangaben in Rezepten geht. Hier können Kinder Milliliter in Liter umrechnen oder die Gesamtmenge von Mehl und Zucker beim Backen zusammenzählen.

Oder lassen Sie Ihre Kinder unterwegs Autos zählen – alle mit bestimmten Buchstaben im Nummernschild. Sie können auch gemeinsam die Hauptstädte der Bundesländer zu den Kennzeichen durchgehen. Die letzten zwei bis drei Wochen können sie dann die Intensität erhöhen und in die Vorbereitung auf das nächste Schuljahr starten.

Dabei sollten Sie insbesondere kleinere Kinder (sieben bis zehn Jahre) nicht mit zu langen Lerneinheiten überfordern: Zweimal eine halbe Stunde kontinuierlich jeden Tag (mit 15 Minuten Pause dazwischen) bringt mehr als stundenlanges Lernen an einem einzigen Tag. Gemeinsames Lernen mit ein oder zwei Klassenkameraden hilft der Motivation, genauso mit einer/m Tutor:in.

Nutzen Sie die Ferienzeit aber auch, um mit Ihrem Kind zu besprechen: Was soll im kommenden Schuljahr besser werden? Und wie kann ich dich dabei unterstützen? Gemeinsam Ziele zu setzen und an fachübergreifenden Themen zu arbeiten, kann mehr wert sein, als wochenlang Vokabeln zu pauken.

Die Therapeutin: Beteiligen Sie Ihr Kind an Entscheidungen

Dr. Inés Brock-Harder ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Halle an der Saale und Vorsitzendes des Berufsverbandes BKJ. Sie sagt:

Schulferien fühlen sich für Kinder und Jugendliche ganz unterschiedlich an. Wenn Ängste und Stress den Schulalltag dominieren, fühlt sich die freie Zeit entspannter an und kann der körperlichen und seelischen Erholung dienen. Lernmotivierte Kinder holen sich auch mal ein Schulbuch hervor oder recherchieren eigenständig sie interessierende Themen und können den Beginn des neuen Schuljahres oft kaum erwarten.

Für manche Kinder fehlen die Schulfreunde, die sie nicht selbstständig besuchen können. Andere Kinder freuen sich auf Reisen und den Urlaub mit der Familie. Etliche Jugendliche wollen gar nicht mehr so gerne mit der Familie verreisen. Es gibt auch Kinder, die in den Hort gehen oder alleine zu Hause sind, weil die Eltern arbeiten müssen. Heranwachsende aus armen oder kinderreichen Familien können sich möglicherweise keinen Urlaub leisten.

Prinzipiell gilt: Kinder haben nach einem Schuljahr, also gerade in den langen Sommerferien, das Recht auf eine Auszeit. Andererseits kann die Ferienzeit natürlich auch genutzt werden, um Lücken und Versäumnisse oder Grundlagen des Lernstoffs nachzuholen oder aufzufrischen, damit ein besserer Start ins nächste Schuljahr gelingen kann. Einige Schulen bieten auch gezielte Kurse an, dann bleibt es nicht an den Eltern hängen.

Für alle Familien wäre zu empfehlen, dass gerade in der Ferienzeit die Kinder und Jugendlichen altersangemessen beteiligt werden an den Plänen. Dazu gehört auch, ob Lernen ein Bestandteil der freien Zeit sein sollte. Vielleicht gelingt es den Eltern auch, die letzten beiden Wochen langsam wieder an den Lernstoff komplizierter Fächer heranzuführen.

Idealerweise kann das andere Lernformen beinhalten: Biologie mit Entdeckungstouren durch die Natur, Geschichte mit einem Museumsbesuch, Deutsch mit gezielter Lesezeit, Mathematik mit Regel- und Konstruktionsspielen. An vielen Orten gibt es lange Nächte der Museen, Kirchen oder Wissenschaft. Auch eine „Bildungsreise“ an einen historischen Ort kann zum Entdecken motivieren.

Wichtig ist für Eltern zu verstehen, dass Kinder immer lernen, bei jeder Tätigkeit und auch beim Spielen. Nur das Tablet und das Smartphone sollten in ihrer Nutzungszeit begrenzt werden und nicht die gewonnene Freizeit auffüllen.

Der Lehrer: Ferienkurse sind eine gute Möglichkeit, Wissenslücken zu schließen

Heinz-Peter Meidinger ist Gymnasiallehrer und war sechs Jahre lang Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Seine zweite Amtszeit endete am 30. Juni dieses Jahres. Der gebürtige Regensburger war auch Direktor eines Gymnasiums; im Juli 2020 ging er in den Ruhestand. Heinz-Peter Meidinger sagt:

Zunächst mal sind die Ferien zum Erholen da. Schule setzt Kinder auch unter Druck und beinhaltet Belastungen und Stress. Damit meine ich nicht nur die Prüfungen und Tests, sondern auch den fest vorgegebenen Zeitrahmen, das frühe Aufstehen und den nicht immer nur positiv empfundenen sozialen Anpassungsdruck.

Genauso wie Erwachsene brauchen Kinder und Jugendliche Erholungsurlaub, längere Zeitphasen, um den Kopf wieder frei zu bekommen und mal wieder mehr Freiraum für sich selbst zu haben.

Allerdings sind die Sommerferien lang, sechs Wochen, und da stellt sich die Frage, ob man sich bei vorhandenen Lernlücken zumindest einen Teil der Ferien, vielleicht die letzten zwei Wochen, doch schon zeitlich begrenzt mit der Wiederholung wichtigen Schulstoffs in Fächern mit Leistungsproblemen befasst.

Der weltbekannte Bildungsforscher John Hattie hat herausgefunden, dass von langen Ferienphasen der größte negative Effekt auf den Lernfortschritt ausgeht, ganz einfach deshalb, weil man doch vieles wieder vergisst, weshalb übrigens Lehrkräfte im nächsten Schuljahr erst einmal viel Zeit für Wiederholung brauchen. Deshalb bieten Ferien durchaus auch eine Chance, um Lernrückstände aufzuholen oder zumindest zu verringern.

Eine gute Möglichkeit, um Lernen und erholsame Abwechslung zu verbinden, sind ein- oder zweiwöchige Sprachkurse im Ausland beziehungsweise die in manchen Bundesländern in den Ferien angebotenen Sommerakademien, die Lernförderung und Freizeitaktivitäten oft gut verbinden. Leider gibt es solche Angebote aber viel zu selten.