Ernährung

Darum sind Chips so lecker

Chips sind die Lieblings-Knabberei der Deutschen. Aber wieso kann man kaum aufhören sie zu essen? Was ist das Geheimnis? Insider berichten.

Chips sind köstlich und man kann kaum aufhören, immer noch mal zuzugreifen.
Chips sind köstlich und man kann kaum aufhören, immer noch mal zuzugreifen.dpa/Daniel Karmann

Ups, ist die Tüte schon wieder leer? Ehe man sich’s versieht, hat man eine Packung Chips weg geknuspert. Wie kann das sein? Warum schmecken die so gut? Was ist das Geheimnis? Die Berliner Zeitung hat versucht, herauszufinden, wieso Kartoffelchips so lecker sind – und ist vielfach auf ignorantes Schweigen gestoßen. Doch die Suche hat sich gelohnt: Nach wochenlanger Recherche haben sich Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen sowie ein Chips-Hersteller dazu bereit erklärt, die Wahrheit über das Geschmackserlebnis Kartoffelchip zu analysieren.

Dr. Maik Behrens arbeitet am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie (LSB) an der Technischen Universität München. Er hat Biologie studiert und sich auf Molekularbiologie spezialisiert. Seit Jahren forscht er zu den menschlichen Geschmacksrezeptoren, die sich auf der Zunge befinden. Wir kennen fünf grundlegende Geschmacksrichtungen: süß, salzig, sauer, bitter und umami, was Herzhaftes meint.

Früher gab es Grafiken, laut denen bestimmten Zungenarealen gewisse Geschmacksrichtungen zugewiesen waren: An der Zungenspitze schmecken wir süß, an den Seiten sauer und weiter hinten nur bitter. „Das stimmt in der Absolutheit nicht, wie wir heute wissen“, sagt Dr. Maik Behrens. „Vielmehr ist es so, dass die Geschmacksrezeptoren überall auf der Zunge angesiedelt sind, sie in bestimmten Arealen nur konzentrierter sind.“ Insofern sind diese Zungen-Karten nicht gänzlich falsch, aber eben auch nicht hundertprozentig richtig.

Rein evolutionär betrachtet haben alle Geschmacksrichtungen für uns eine lebenswichtige Bedeutung: Süß steht für schnell verfügbare Energie durch Kohlenhydrate und Zucker, ebenso wie umami, das auf Eiweißmoleküle hindeutet. Salzig ist ein Hinweis darauf, dass wir mit diesem Lebensmittel unseren Elektrolythaushalt ausgleichen können, weil unser Körper ständig Salze verliert, beispielsweise durchs Schwitzen. Sauer zeigt an, wenn ein Lebensmittel unreif oder verdorben ist. Bitter bedeutet, dass giftige Bestandteile enthalten sein können.

„Ein Baby lehnt instinktiv alles ab, was sauer oder bitter schmeckt“, sagt Dr. Maik Behrens. „Alles Süße jedoch liebt es. Nicht umsonst schmeckt Muttermilch leicht süß.“ Wenn wir Erwachsene zum Beispiel Bitteres mögen, haben wir uns das im Laufe unseres Lebens erworben – etwa, weil wir wissen, dass Kaffee uns wach macht. Gleiches gilt für saure Lebensmittel. „Wir haben da Erfahrungswerte und wissen meist, was wir bedenkenlos essen können und was nicht“, so der Biologe. Scharf ist übrigens keine eigene Geschmacksrichtung, auch wenn man das manchmal glaubt. „Schärfe wird nicht durch die Sinneszellen vermittelt, sondern durch Irritationen freier Nervenendigungen, weswegen wir diese Irritationen beispielsweise auch auf der Haut spüren können“, erklärt Dr. Maik Behrens.

Hinzu kommt: „Beim Essen nehmen wir auch die Textur, den Geruch und das Aussehen der Nahrung wahr. Und das ist ganz elementar“, weiß der Wissenschaftler. „Wenn wir Schnupfen haben, sagen wir: Ich kann nichts schmecken! Aber das stimmt nicht. Die Geschmacksrezeptoren funktionieren einwandfrei. Wir riechen nur nichts. Und ein Kartoffelchip würde uns nicht zusagen, wenn er ganz weich oder pappig wäre, obwohl sich geschmacklich nichts geändert hätte.“

Es stimmt also: Das Auge isst mit. Und die Nase auch. Essen ist ein Fest für die Sinne. Und das wird von den Chips ganz besonders zelebriert. Sie riechen lecker und krachen ganz wundervoll, wenn man drauf beißt, sodass man direkt wieder zugreift. „Wir haben spezielle Sensoren in unserer Mundhöhle, die auf das Knusprige reagieren“, weiß Dr. Maik Behrens. Diese heißen Mechano-Sensoren. Allerdings sind diese noch nicht vollends erforscht, sodass man nicht sicher weiß, welche neuralgischen Punkte für das wohlige Gefühl beim Chipsessen zuständig sind.

Es ist aber nicht nur die Textur, die so verführerisch ist, sondern – selbstverständlich – auch der Geschmack selbst, wie Molekularbiologe Dr. Maik Behrens erklärt: „In Kartoffelchips sind vor allem die Komponenten salzig und umami enthalten. Wenn wir also Chips essen, heißt das für unseren Körper, dass es Energie und Salze für den Elektrolythaushalt gibt. In einigen Chipssorten ist zudem auch Zucker verarbeitet, auf den unser System total anspringt.“ Und natürlich steckt in den Chips auch Fett. Für unseren Körper heißt das ganz einfach: Viel verfügbare Energie, und das ist rein evolutionär betrachtet eine gute Sache! Wer in Urzeiten genügend Energie hatte, überlebte, konnte kämpfen und fliehen. Darum steckt die Vorliebe für energiereiches Essen in uns. „Auf unserer Zunge gibt es auch Rezeptoren, die auf Fettsäuren reagieren. Es gibt Forscher, die davon ausgehen, dass fettig eine weitere Geschmacksrichtung ist, aber erwiesen ist das bislang nicht. Ausgeschlossen jedoch auch nicht.“

Wie werden Chips eigentlich hergestellt?

Wer einmal zu Hause versucht hat, selbst Chips herzustellen, weiß, wie schwer das ist. Umso lieber hätte man gewusst: Wie funktioniert das? Wie kriegen die Produzenten es hin, dass die Chips so lecker sind? Doch der zuständige Bundesverband der Süßwarenindustrie (BDSI) schreibt: „Leider fällt uns keine Expertin oder Experte ein, die oder den wir zu dieser Frage Ihnen empfehlen können“, schreibt der Verband, obwohl zu seinen Mitgliedern unter anderem auch die Aroma Snacks GmbH (Lisa’s Bio Kesselchips), Intersnack (Funny Frisch/Chipsfrisch) sowie Lorenz Snackworld (Crunchips) gehören. Nachgefragt bei den Herstellern, eine freundliche Bitte per Mail. Die Antwort, auch nach Tagen: keine. Gleiches Vorgehen bei Kettle Chips. Und Pombär braucht man eine Woche, um festzustellen, dass man nicht helfen könne. „Leider“. Allesamt große Player am Markt. Aber reden wollen sie offenbar nicht über ihre Erfolgsprodukte. Man ignoriert.

Auch der Verband der Oecotrophologen (VDOE, 4000 Mitglieder) braucht mehr als zwei Wochen, um festzustellen, dass sie niemanden haben, die oder der sich mit Chips auskennt. Nach eigenen Angaben setzt der VDOE sich für all jene ein, „die Oecotrophologie, Ernährungs-, Haushalts-, Lebensmittelwissenschaften oder ein vergleichbares Studium abgeschlossen haben oder eines dieser Fächer studieren“, heißt es auf der Website. Mit Kartoffelchips kennt sich aber anscheinend niemand aus von diesen tausenden von Menschen. Aber vielleicht sind Kartoffelchips auch eine derart hohe Kunst, dass es einer Expertise bedarf, die so selten ist, dass man sie kaum findet? Oder ist das Thema ein heißes Eisen, weil Chips ungesund sind?

Das weiß ja mittlerweile jeder: Zu viel Knabbereien, Süßkram, Fertigfutter können dick und krank machen. Doch wenn wir ehrlich sind, lieben wir den ungesunden Exzess. Laut BDSI-Umfrage aus dem Jahr 2019 gaben 63,6 Prozent der 1003 repräsentativ befragten Erwachsenen an, am liebsten Kartoffelchips zu essen. Gefolgt von Erdnüssen (33,1 Prozent) und Salzstangen sowie Laugenbrezeln (31,3 Prozent). Der Markt ist hart umkämpft. Und trotzdem gibt es immer wieder mutige Startups, die es im Chips-Business versuchen wollen.

Eines davon ist Heimart&Friends, deren Chips ‚Krosse Kerle‘ heißen und sich dadurch auszeichnen, dass sie mit der Schale verarbeitet werden. „Wir fanden einfach, dass das gut aussieht“, sagt Geschäftsführer Thomas Lieske. Er selbst ist von Hause aus Betriebswirt, seine Mitstreiter bei Heimart&Friends kommen alle aus der Landwirtschaft. „Wir haben uns lange belesen, mit Fachleuten gesprochen, überall herum gefragt – und dann losgelegt“, berichtet der Bremer.

Thomas Lieske vermutet, dass jeder Chips-Produzent seine eigene Vorgehensweise hat, wie man aus einer Kartoffel den Lieblings-Snack der Deutschen macht. Im Fall der ‚Krossen Kerle‘ fängt es auf einem Bauernhof in Rehden bei Diepholz (Niedersachen) an. Auf rund 500 Hektar Land baut ein Landwirt die Kartoffeln an, die später maschinell geerntet, gewaschen und nach Größe sortiert werden. „Man braucht ja einen bestimmten Durchmesser für die Chips“, erklärt Thomas Lieske. „Und eine bestimmte Kartoffelsorte, nämlich eine mit hohem Stärkegehalt.“

Nachdem die Kartoffeln in einer Art Waschmaschine gereinigt wurden, kommen sie in eine Schneidemaschine. Das ist eine mit Messern ausgestattete Rotunde, wo die Kartoffeln geschleudert und geschnitten werden, etwa doppelt so dick wie herkömmliche Chips. Von dort fliegen sie direkt in eine rechteckige XXL-Friteuse, wo sie für etwa zehn Minuten frittiert werden. „Da muss der Maschinenführer ein Auge drauf haben, weil jede Ernte anders ist. Manche Kartoffeln brauchen etwas länger, andere sind schneller fertig. Man passt sich dem Rohstoff an“, so der Experte. „Die Scheiben backen nicht bei einer konstanten Temperatur, sondern gemäß einer bestimmten Kurve.“ Der Rest ist Betriebsgeheimnis. Nur so viel: „Wir haben etwa ein Jahr lang gebraucht, um dahin zu kommen, und haben auch viel selbst verkostet“, sagt Thomas Lieske und lacht.

Nach dem Frittieren werden die Chips direkt gewürzt und verpackt. Die Würzmischung ist und bleibt ein Geheimnis. Was hingegen jeder wissen darf: Die Firma Heimart macht alles selbst, kein einziger Schritt wurde outgesourct. Und dank spezieller Lagerungsmöglichkeiten kann die Firma das ganze Jahr über Kartoffeln aus eigener Produktion verwenden. Zudem haben die ‚Krossen Kerle‘ aufgrund der speziellen Frittiertechnik im Schnitt rund 20 Prozent weniger Fett als herkömmliche Chips.

Die Futter-Formel: Deshalb können wir nicht aufhören

Auch die Wissenschaft hat sich schon mit dem Suchtpotenzial von Kartoffelchips beschäftigt. Laut einer Untersuchung der Universität Erlangen-Nürnberg kommt es auf das optimale Verhältnis der Nährstoffe an: „50 Prozent Kohlenhydrate und 35 Prozent Fett verführen zum Naschen“, fasst die Uni die Studienergebnisse zusammen, und ergänzt: „Das Verhältnis 50:35 entspricht genau dem in Kartoffelchips, Erdnussflips, Schokolade oder Nuss-Nougat-Creme.“

Der Lebensmittelwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Dürrschmid von der Universität für Bodenkultur in Wien erklärt, was in uns passiert, wenn wir vom optimalen Fett-Kohlenhydrat-Mix probieren: „Es kommt zu einer starken Belohnungsreaktion. Der Körper schüttet unter anderem Dopamin aus. Das ist ein Gehirn-Botenstoff, der auch ‚Substanz des Begehrens‘ genannt wird. Er erhöht das Habenwollen. Und die Folge ist, dass wir nicht aufhören können.“

Zudem sei die Chips-Größe einfach perfekt, so der Forscher. Denn jeder Bissen ist fast sofort weg, der Griff zum nächsten Chip kostet keine große Überwindung. „Und weil wir die Kartoffelchips in der Regel nur nebenbei essen – im Kino, vor dem Fernseher, beim Spieleabend –, müssen sie auch stärker gewürzt sein, um wahrgenommen zu werden. Salz ist dafür hervorragend geeignet, weil „wir darauf programmiert sind. Es ist lebensnotwendig, weil es beispielsweise den osmotischen Druck in den Körperflüssigkeiten regelt.“ Wie hoch der Salzgehalt sei, hänge von der Oberflächenstruktur ab. Geriffelte Chips haben eine größere Oberfläche, die eine Wahrnehmung des Salzes begünstigen, weshalb eine weniger starke Würzung nötig ist. „Aber generell ist es so, dass wir salzig als angenehm empfinden, weil es eine angeborene biologische Notwendigkeit ist“, so Prof. Dr. Klaus Dürschmid.

Und macht die Knusprigkeit auch etwas mit uns? Der Experte für Lebensmittelsensorik bejaht: „Derartige Geräusche von Lebensmitteln geben uns das Gefühl, dass etwas frisch ist. Wenn Obst und Gemüse gerade geerntet wurden, sind sie knackig und krachen beim Reinbeißen. Ähnlich ist es bei den Chips, die beim Draufbeißen zerknuspern. Es suggeriert uns, dass die Chips gerade gebacken wurden und frisch sind. Gleiches gilt für Knäckebrot, Salzstangen und Kekse beispielsweise.“

Und was passiert im Hirn, wenn wir Chips essen?

Spoiler: Wenn wir etwas richtig Leckeres essen, setzen Ur-Instinkte ein und unser Hirn feiert eine Hormonparty. Wir können quasi gar nichts dafür, dass wir immer einfach weiter naschen. Ganz so würde es Prof. Dr. Andreas F.H. Pfeiffer nicht ausdrücken. Der Mediziner arbeitet im Benjamin Franklin Krankenhaus, das zur Charité gehört, und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Der Experte sagt: „Essen aktiviert grundsätzlich unser Belohnungssystem im Gehirn. Es führt dazu, dass wir uns wohlfühlen und mehr davon wollen. Nicht umsonst kompensieren manche Menschen ihren Frust mit Essen.“ Die damit verbundene Ausschüttung von Dopamin und zahlreicher weiterer Hormone lässt sich sogar im Gehirn messen.

„An der Basis unseres Frontalhirns und im Hypothalamus sind unsere Lustzentren. Da spielt das Dopamin die Hauptrolle“, erklärt der Endokrinologe, der sich beruflich mit Hormonen und Stoffwechselvorgängen beschäftigt. „Wenn diese Region durch Chipsessen stimuliert wird, können wir nicht aufhören, obwohl wir eigentlich satt sind. Man hat das schon vor Ewigkeiten an Ratten getestet: Sie konnten sich mit Hilfe von Elektroden kleine Elektroschocks versetzen, die das Lustzentrum aktiviert haben. Sie mussten also nicht den Umweg übers Essen gehen. Die sind dann verhungert, waren aber glücklich dabei.“ Die Erkenntnis der Forschung: Wir können unser Lustzentrum nicht kontrollieren, es ist ein Reflex, wir sind so programmiert.

Aber das ist nur ein Teil der cleveren natürlichen Vorgänge, wie der Forscher erklärt: „Es gibt im Hirn zwei bestimmte Membranproteine, die den Appetit anregen. Diese Rezeptoren heißen CB1 und CB2, die Buchstaben stehen für Cannabinoide, körpereigenes Haschisch sozusagen. Wenn wir fettig und süß oder salzig essen, werden gewisse Fetthormone freigesetzt, die die CB-Rezeptoren aktivieren. Und die Folge ist, dass wir mehr Appetit verspüren.“ Cannabinoide sind als Medikamente für Magersüchtige zugelassen, um deren Appetit anzuregen. Und vor ungefähr zehn Jahren hat man die CB-Rezeptoren bei Übergewichtigen blockiert. „Das hat auch gut funktioniert, die Menschen verloren gut an Gewicht, allerdings fühlten sie sich schlecht, hatten teilweise sogar Suizidgedanken. Deswegen wird das so heute nicht mehr gemacht“, sagt Prof. Dr. Andreas F.H. Pfeiffer.

Eine ähnliche Rolle spielen weitere Hormone, wie beispielsweise das Orexin (lateinisch: Orexis, bedeutet Appetit), das Neuropeptid Y, Dynorphin – die Evolution wollte offensichtlich sicherstellen, dass wir essen. Und wer sich jetzt, nach so viel Chips-Theorie beherrschen kann und nicht sofort eine Tüte aufreißt, hat einen Tapferkeits-Orden verdient. Allen anderen: Guten Hunger.