Berlin-Kaum ist man vollständig geimpft, schon steigt die Sorge vor einer erneuten Infektion mit der dominierenden Delta-Variante. Zunehmend sind unter den Corona-positiv getesteten Menschen auch vollständig Geimpfte. Das RKI registriert aktuell 6125 solcher Fälle. Eigentlich nicht verwunderlich, denn: Steigt die Impfquote in einem Land, sind mehr Menschen geimpft, wodurch auch der Anteil der Geimpften steigt, die sich infizieren. Wenn Impfstoffe keinen vollständigen Schutz gegen den jeweiligen Erreger bieten, sprechen Fachleute von Durchbruchsinfektionen oder Impfdurchbrüchen. Die Gründe sind vielseitig.
Kann ich trotz vollständiger Impfung das Coronavirus in mir tragen?
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person trotz zweifacher, also vollständiger Impfung PCR-positiv wird, ist niedrig, aber nicht bei null, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf seiner Seite. Zwar ergeben die Daten, dass die Viruslast bei Menschen, die sich trotz Impfung infiziert haben, stark reduziert und die Virusausscheidung verkürzt ist. Dennoch bleibt ein geringes Restrisiko, dass sie infektiöse Viren ausscheiden können. „Mit der Zahl der Impfungen steigt auch die Zahl der Durchbruchsinfektionen“, erklärt Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Diese ist zwar reduziert, aber je nachdem, wie die Impfung bei mir gewirkt hat, und je nachdem, welche Viruslast mein Gegenüber in sich trägt, kann es schon dazu kommen, dass ich mich als Geimpfter anstecke.“
Was weiß man über die Viruslast bei Delta?
Die dominierende Delta-Variante erzeugt bei Infizierten eine Viruslast, die 1260-mal höher ist als bei ursprünglichen Varianten, heißt es in einer aktuellen Preprint-Studie, die noch nicht begutachtet wurde. Der PCR-Test sei bei den Covid-Infizierten schon nach durchschnittlich vier statt wie bei frühen Varianten nach sechs Tagen positiv gewesen. „Das legt nahe, dass diese besorgniserregende Variante sich möglicherweise schneller vermehrt und in den frühen Stadien der Infektion ansteckender ist“, kommentiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Forschungsergebnisse.
Wie gut und wie lange schützen die Impfstoffe gegen Mutanten?
Corona-Mutanten, wie auch die Delta-Variante, können die Effizienz von Impfstoffen leicht mindern. Das eigentlich durch die Impfung geschulte Immunsystem kann den Erreger dadurch nicht mehr in gleichem Maße erkennen wie im Falle des Virustyps, gegen den der Impfstoff entwickelt wurde, schreibt das Science Media Center (SMC) in einem Factsheet. Forschungsergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass die Impfstoffe auch gegen solche Varianten schützen, wie eine kürzlich im Fachmagazin New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie zeigt.
Die Forschenden schreiben, dass die Präparate von Biontech/Pfizer und Astrazeneca gegen Delta kaum weniger wirksam seien als gegen die ursprünglich in Großbritannien entdeckte Alpha-Variante. Demnach liegt die Effektivität des mRNA-Impfstoffs von Biontech/Pfizer gegen symptomatische Erkrankungen mit Delta bei rund 88 Prozent, verglichen mit 93,7 Prozent gegen Alpha. Der Vektor-Impfstoff von Astrazeneca schützt zu 67 Prozent davor, Symptome nach einer Infektion mit Delta zu entwickeln, verglichen mit 74,5 Prozent gegen Alpha. Nach nur einer Impfdosis falle die Wirksamkeit aber erheblich geringer aus als nach zweien.
Nach Angaben des RKI ist es durch einen Vergleich des Anteils vollständig Geimpfter unter Covid-19-Fällen mit dem Anteil vollständig Geimpfter in der Bevölkerung möglich, die Wirksamkeit der Impfung grob abzuschätzen. Demnach liegt die geschätzte Impfeffektivität für den Zeitraum vom 1. Februar bis zum 22. Juli für die Altersgruppen 18 bis 59 Jahre bei rund 89 Prozent, für die Altersgruppe ab 60 Jahren bei rund 87 Prozent.
Sowohl der Vektor- als auch der mRNA-Impfstoff scheinen vor schweren Verläufen effektiv zu schützen, wie britische Forschende in einer Preprint-Studie schreiben. Zwei Dosen des Biontech-Mittels verhindern demnach in 96 Prozent der Fälle eine stationäre Behandlung. Für das Vakzin von Astrazeneca liegt die Quote bei 92 Prozent.
Forschende gehen davon aus, dass der mRNA-Impfstoff von Moderna eine ähnliche Wirksamkeit erziele wie der von Biontech/Pfizer. Auch der Impfstoff von Johnson & Johnson, der nur einmal geimpft werden muss, soll Herstellerangaben zufolge schwere Verläufe zu 85 Prozent verhindern.
Wie lange ein Impfschutz durch Impfungen anhält, untersuchen Studien derzeit. Daten des israelischen Gesundheitsministeriums zufolge, hat der Schutz vor Infektionen unter Geimpften seit Beginn der Impfaktion in Israel um 42 Prozent abgenommen. Bestimmte Risikogruppen erhalten dort bereits jetzt Auffrischungsimpfungen.
Für wen ist das Risiko einer erneuten Ansteckung trotz Impfung erhöht?
Gerade für ältere Menschen kann es gefährlich werden. Denn ihr Immunsystem ist schwächer und reagiert meistens nicht so gut auf Immunisierungen durch Impfung. In früheren Studien konnten zum Beispiel bei einer Impfung mit dem Mittel von Biontech/Pfizer nicht so hohe Antikörpertiter in ihrem Blut nachgewiesen werden wie bei jüngeren Studienprobanden. Auch eine aktuelle Studie der Berliner Charité ist der Frage nachgegangen, warum es gerade in Pflegeheimen trotz vollständiger Impfung der Bewohner zu Corona-Ausbrüchen kommen kann: Dass Impfstoffe bei jüngeren Menschen in der Regel effizienter wirken, hat den Forschenden zufolge vor allem mit der im Alter nachlassenden Immunreaktion zu tun. Diese sei nach der Impfung „deutlich verzögert“ und erreiche nicht das Niveau von Jüngeren, teilte die Charité mit.
Defizite bei der Immunantwort gibt es auch bei Jüngeren – etwa wenn das eigene Immunsystem nach einer Organtransplantation mit Medikamenten gezielt unterdrückt wird. Daten zeigen, „dass die Immunantwort in Abhängigkeit zur Immunsuppression bei Organtransplantierten viel schlechter sein kann“, sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, der dpa. „Sie liegt dann nur noch bei 50 Prozent.“ Bei Menschen mit Autoimmunerkrankungen ist die körpereigene Abwehr ebenfalls geschwächt.
Auch bei Rheuma- oder Krebspatienten könne die Immunantwort schwächer ausfallen – so wird das Immunsystem etwa durch Chemotherapien gehemmt. Es gibt auch Therapien, bei denen die B-Zellen, die Erreger oder andere körperfremde Stoffe erkennen und binden, aus dem Blut entfernt werden, wodurch die Produktion von Antikörpern eingeschränkt ist oder ausbleibt.
Nach Ansicht mancher Forschenden könnte eine Auffrischimpfung im Herbst bei diesen Bevölkerungsgruppen in Erwägung gezogen werden.
Wie viele Impfdurchbrüche wurden bereits gezählt?
In seinem Lagebericht vom 22. Juli listet das RKI 6125 Impfdurchbrüche seit Anfang Februar auf – davon 5144 nach einer abgeschlossenen Impfserie mit dem Mittel von Biontech/Pfizer, 156 mit Moderna, 211 mit Astrazeneca und 346 mit Johnson & Johnson. Bei weiteren 268 Impfdurchbrüchen erfolgte keine Zuordnung. Von Impfdurchbrechern musste im Alter von unter 18 Jahren niemand ins Krankenhaus, bei 18- bis 59-Jährigen lag die Hospitalisierungsrate bei zwei Prozent (77 Fälle), bei über-60-Jährigen bei 27 Prozent (639). Zwar kann man davon ausgehen, dass es bei den Impfdurchbrüchen eine hohe Dunkelziffer gibt, aber zum Vergleich: Bis 21. Juli waren bundesweit knapp 40 Millionen Menschen vollständig geimpft.
In Berlin infizierten sich nach Angaben des Gesundheitssenats bis zum 22. Juli 527 Menschen trotz zweifacher Impfung mit Corona. Bei rund 1,7 Millionen vollständig geimpften Menschen entspricht das einem Anteil von 0,03 Prozent.
Was weiß man über die Krankheitsverläufe bei Impfdurchbrechern?
Einer kanadischen Preprint-Studie zufolge waren bei einer Covid-19-Erkrankung mit Delta-Variante auch die gesundheitlichen Risiken deutlich höher als bei frühen Corona-Typen: Das Risiko, ins Krankenhaus zu müssen, war um etwa 120 Prozent erhöht, und die Gefahr, Intensivpflege zu benötigen, um etwa 287 Prozent. Das Sterberisiko war demnach um etwa 137 Prozent höher.
Eine Studie aus Israel, erschienen im Fachblatt Clinical Microbiology and Infection, hat geprüft, welche Personengruppen trotz Impfung an Covid-19 erkrankten und im Krankenhaus behandelt werden mussten. 152 Patientinnen und Patienten, die zwischen Januar und April stationär behandelt werden mussten, wurden miteinbezogen. Alle hatten beide Impfdosen des Corona-Mittels von Biontech/Pfizer erhalten und frühestens acht Tage nach der zweiten Dosis Symptome entwickelt oder sind positiv getestet worden.
61 Prozent (93 Personen) erkrankten schwer, 22 Prozent (34) starben an den Folgen. Im Mittel vergingen zwischen der zweiten Impfung und der Klinikaufnahme 40 Tage, wie das SMC zusammenfasst. Nur sechs der 152 Patientinnen und Patienten waren zuvor gesund – alle anderen hatten teils schwere Vorerkrankungen. Am weitesten verbreitet waren Bluthochdruck (71 Prozent von 146 Personen), Diabetes (48 Prozent), chronisches Nierenversagen (32 Prozent), Herzleiden (28 Prozent), Lungenleiden (24 Prozent), Krebs (24 Prozent) und Demenz (19 Prozent). Rund 40 Prozent der Corona-Erkrankten hatten zudem ein geschwächtes Immunsystem, etwa aufgrund einer Chemotherapie oder einer Organtransplantation.
Eine weitere Preprint-Studie aus Indien untersuchte ebenfalls Unterschiede zwischen ungeimpften und geimpften Personen, die mit Covid-19 stationär behandelt wurden: Insgesamt wurden die Daten von 1161 Patientinnen und Patienten analysiert, davon waren 495 teilweise oder vollständig geimpft und 666 ungeimpft, so das SMC. Mehr als 90 Prozent hatten sich mit Delta infiziert. Der Schweregrad der Erkrankung (3,2 gegenüber 7,2 Prozent) und der Bedarf an Beatmungsunterstützung (2,8 gegenüber 5,9 Prozent) waren in der geimpften Gruppe signifikant niedriger, obwohl diese Personen ein deutlich höheres Alter und Risikofaktoren aufwiesen. Die Sterblichkeitsrate war bei den vollständig geimpften Impfdurchbrechern um etwa 50 Prozent niedriger, obwohl die Sterblichkeit bei Personen, die nur eine Einzeldosis erhalten hatten, ähnlich hoch war wie in der ungeimpften Gruppe.
Welche Symptome löst die Delta-Variante aus?
Die „Zoe Covid Symptom“-Studie des King’s College London und St.-Thomas-Krankenhauses zeigt, dass die Krankheitssymptome nach einer Infektion mit der Delta-Variante anders ausfallen können als bei bisherigen Corona-Typen.
Am häufigsten wurden laut den Forschenden Kopfschmerzen, eine laufende Nase, Halsschmerzen, Husten und Fieber gemeldet. Laut Studienleiter Tim Spector kann sich die Ansteckung mit Delta für junge Menschen eher wie eine „schlimme Erkältung“ oder eine „komische Abgeschlagenheit“ anfühlen. Weil die Symptome der Delta-Variante denen einer Erkältung sehr ähneln, wird eine Infektion möglicherweise auch schwerer erkannt.
Dagegen treten andere, bisher gängige Covid-19-Symptome seltener auf – wie der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns oder Fieber.
Expertinnen und Experten raten deshalb: Bei leichten Symptomen Schnelltests nutzen, und zwar solange, bis sie gänzlich abgeklungen sind. Auch PCR-Tests in Arztpraxen sind nach wie vor möglich, eine telefonische Anmeldung zuvor empfehlenswert.
Wie verhalte ich mich jetzt am besten?
Geimpfte sollten bei Treffen mit nicht vollständig Geimpften Abstand halten und einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Auch in der Öffentlichkeit, wo viele Menschen zusammenkommen, vor allem in geschlossenen Räumen und im öffentlichen Nahverkehr sollten alle weiterhin vorsichtig bleiben, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrem Online-Informationsportal Infektionsschutz.de.
Auch die Stiko empfiehlt, die allgemein empfohlenen Schutzmaßnahmen wie Alltagsmasken, Hygieneregeln, Abstandhalten und Lüften einzuhalten. So werde derzeit bei den dominierenden Virusvarianten das Risiko einer Virusübertragung stark vermindert.
„Bei einer Infektion mit der Delta-Variante ist die Viruslast höher“, so Watzl. Dadurch steige bei Kontakt mit einem Infizierten auch die Ansteckungsgefahr.








