Die Kritiker der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine haben sich in den vergangenen zwei Wochen in Deutschland Gehör verschafft. Zwei Offene Briefe an Bundeskanzler Olaf Scholz erschienen. Einmal von einer Gruppe rund um den Musiker Konstantin Wecker und die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin der Grünen Antje Vollmer, er wurde in der Berliner Zeitung veröffentlicht. Der andere, initiiert von Alice Schwarzer, Reinhard Merkel und Co., erschien in der Emma.
Die Unterzeichner beider Schriften traten danach in Fernsehsendungen auf und wurden in Zeitschriften interviewt. In den Briefen verlangen sie von der Bundesregierung, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern. Dafür liefern sie, abgesehen von Vorschlägen für eine Kompromiss-Lösung, zwei Hauptargumente für Ihre Haltung.
Einmal sei ein Sieg über Russland sowieso unmöglich, weshalb Lieferungen die unweigerliche Niederlage der Ukrainer nur hinauszögern und damit mehr Menschenleben kosten würden. Und zweitens könnten Lieferungen zu einer Eskalation führen. Putin könnte die Nato zur Kriegspartei erklären, ein Weltkrieg, ein Atomkrieg wäre möglicherweise die Folge.
Das erste Argument kann man beiseitelassen. Auch Supermächte verlieren Kriege gegen sehr viel kleinere Gegner. Das mussten die Amerikaner in Vietnam erleben. Russen und Amerikaner haben es in Afghanistan erlebt. In Afghanistan lieferten die Amerikaner schon in den 1980er Jahren Stinger-Raketen an die Mudschahedin. In Vietnam unterstützte die Sowjetunion den Vietcong mit Kriegsgerät. Die Ukraine will ja nicht Russland erobern, sondern den Invasor zurückdrängen.
.@USMC and @usairforce personnel load M777 Howitzers bound for 🇺🇦 Ukraine onto a C-17 Globemaster III at @March_ARB in April 2022. pic.twitter.com/lJfYPMLO4c
— Department of Defense 🇺🇸 (@DeptofDefense) May 2, 2022
Das zweite Argument ist stichhaltiger. Was, wenn die ukrainischen Streitkräfte mithilfe westlicher Waffen die Russen zurückdrängen und Putin die Lieferanten auch zur Kriegspartei erklärt, egal ob das nun der völkerrechtlichen Definition einer Kriegspartei entspricht? Bisher hat Putin sich ja auch nicht vor allem am Völkerrecht orientiert. Was, wenn er beispielsweise Waffentransporte innerhalb eines Nato-Staats angreift. Die Allianz müsste sich verteidigen.
Bundeskanzler Olaf Scholz teilt eine Sorge der Briefeschreiber
Der Bundeskanzler selbst hat davor gewarnt. Im Interview mit dem Spiegel erklärte er: „Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden. Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“
Diese Sorge scheint in der Bundesregierung zu bestehen. Der Kreml und seine Propagandisten im russischen Fernsehen schüren diese Ängste mit Videografiken in russischen Nachrichtensendungen, die zeigen wie schnell Atomraketen Berlin, Paris oder London erreichen können.
Eine Debatte, die es nur in Deutschland gibt
Doch gerade an diesem Punkt zeigt sich eine entscheidende Schwachstelle des Arguments der Kritiker deutscher Waffenlieferungen: Sie richten sich ausschließlich an die deutsche Regierung. Gleichzeitig sind vergleichbare Initiativen, Lieferungen zu stoppen, aus keinem anderen Land in der EU oder aus den USA bekannt. Wer nach solchen Forderungen oder Briefen in Fremdsprachen sucht, findet in ausländischen Medien Berichte über die deutschen Initiativen. Dabei verfolgen die Nato-Partner von Washington bis Vilnius ja eine gemeinsame Strategie der Lieferungen.
Was aber soll es bringen, wenn Deutschland keine schweren Waffen liefert, während unsere EU- und Nato-Verbündeten das tun? Mittlerweile wurde amerikanische Artillerie in der Ukraine eingesetzt, von Ghost-Drohnen etcetera ganz zu schweigen. Selbst wenn die Unterzeichner glauben sollten, dass der Kreml Berlin verschont, um stattdessen London oder Paris zu bombardieren, wären wir doch automatisch durch den dann eintretenden Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrags zum Beistand verpflichtet und würden Kriegspartei.
Die Möglichkeiten Deutschlands werden überschätzt
Wer sich gegen eine Eskalation, wie die Verfasser der Briefe sie befürchten, wehren will, dürfte bei Deutschland nicht haltmachen. Wecker, Schwarzer und Co. müssten Scholz auffordern, Einfluss auf die Alliierten zu nehmen, ebenfalls keine Waffen zu liefern. Andernfalls wäre Deutschland salopp: mitgehangen, mitgefangen. Dass der Kanzler sich bei den Alliierten gegen deren Lieferungen einsetzen würde, ist nicht bekannt.




