Wirtschaftspolitisch gesehen war dieser Mittwoch ein ernster Tag. Russland hat den Gashahn zugedreht. Zwar nicht in Deutschland, aber doch in Polen und Bulgarien. Dort kommt jetzt kein russisches Gas mehr an. Was zumindest Polen nicht zu stören scheint. Dort geht demnächst eine Pipeline nach Norwegen in Betrieb. Aus russischer Sicht haben die beiden Länder allerdings nicht gespurt und sich nicht an russische Vorgaben gehalten. Das wird bestraft und was die weiteren Folgen sein werden, wird man wohl abwarten müssen.
Robert Habeck (Grüne), der deutsche Bundeswirtschaftsminister, strahlte angesprochen auf diese Umstände trotzdem erst mal Zuversicht aus und schickte ein Lächeln voraus, bevor er dann aber sehr ernst antwortete. „Russland zeigt, dass sie bereit sind, ernst zu machen, wenn Lieferverträge nicht eingehalten werden“, sagte Habeck, „ich lege Wert darauf, festzustellen, dass wir vertragstreu sind“.
Eigentlich war Habeck an diesem Tag in die Bundespressekonferenz gekommen, um vor Hauptstadtjournalisten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes darzustellen, aber an diesem Tag interessierte sich kaum jemand dafür. Fast allen ging es um die deutsche Gasversorgung. Die sei erst mal sicher, hatte der Regierungssprecher Steffen Hebestreit zuvor bereits verkündet. Im Augenblick sei die Gasversorgung in Deutschland klar gewährleistet. Im Wirtschaftsministerium ist man da allerdings deutlich vorsichtiger bei den Formulierungen. „Aus meiner Sicht sind wir vertragstreu. Ob Russland das auch so sieht, kann ich nicht sagen“, so Robert Habeck.

Auf der Oberfläche geht es bei diesem Streit um Rubel-Zahlungen. Russland will seit kurzem für seine Energielieferungen in russischer Währung bezahlt werden. Aber natürlich geht es eigentlich um den Ukraine-Krieg. Auf europäischer Ebene hatte man sich geeinigt, der Rubel-Forderung keine Folge zu leisten, um die eigenen Sanktionen gegen Russland aufgrund des Kriegs nicht zu unterlaufen, sich nicht einer Erpressung zu beugen und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. Vor allem die EU-Staaten und die USA hatten Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine mit Sanktionen in historischem Ausmaß belegt.
Zwischen den europäischen Unternehmen, die Energielieferungen aus Russland beziehen, und Russland wurde aufgrund der plötzlichen Rubel-Forderungen eine Art Weiche eingebaut. Die Bank des russischen Staatskonzerns Gazprom nimmt die Zahlungen, wie in den Verträgen festgehalten, in Dollar oder Euro entgegen und konvertiert sie in Rubel, bevor sie an den Energieexporteur weitergeleitet werden. So werden die Zahlungen dann kompatibel mit dem kürzlich geänderten russischen Recht. Offen ist, wie Russland sein Dekret über Gaszahlungen im Einzelnen interpretiert und anwendet, heißt es dazu einschränkend aus dem Wirtschaftsministerium. Deutsche Firmen zahlen jedenfalls erst mal dementsprechend. „Selbstverständlich erwarte ich, dass sich die Unternehmen an die Sanktionen halten“, sagte außerdem Robert Habeck.
Deutschland ist bisher über drei Pipelines mit Russland verbunden. Über die polnische Jamal-Pipeline floss Gas bis nach Brandenburg. In letzter Zeit kam dort allerdings kaum noch Gas an. Deutschland deckte im vergangenen Jahr 55 Prozent seines Gasbedarfs in Russland. Habecks Ministerium arbeitet seit Wochen fieberhaft daran, diesen Anteil abzuschmelzen. „Wir sind erfolgreich gewesen“, sagte dazu der Minister. Erst sei der russische Anteil auf 40 Prozent reduziert worden, mittlerweile beziehe Deutschland nur noch 35 Prozent seines Gases aus Russland. Davon abhängig sind allerdings verschiedene Firmen direkt – darunter der Konzern BASF.
Aus dem Wirtschaftsministerium kommen deshalb jetzt Signale in zwei verschiedene Richtungen. Die Einstellung der Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien hätten keine Auswirkungen auf die Gassicherheit in Deutschland, heißt es zum einen. Es seien bisher „keine Engpässe festgestellt worden“. Die Gasflüsse seien „zum jetzigen Zeitpunkt alles in allem auf einem stabilen Niveau“, teilte das Ministerium auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Zum anderen möchte man, dass sich Unternehmen wie private Verbraucher auf alles einstellen, Alternativen suchen und Energie sparen. „Wir beobachten die Lage sehr genau. Wir sind im engen Austausch mit den Energieversorgungsunternehmen und Energielieferanten. Das Krisenteam Gas monitort die Versorgungssituation intensiv“, so eine Sprecherin des Ministeriums.
Ein „unsicheres Gegenüber“ nennt Robert Habeck Russland. Tatsächlich sieht man im Wirtschaftsministerium mit Sorge, dass es in europäischen Partnerländern zum Stopp der Lieferungen gekommen ist. „Wir sind in enger Abstimmung innerhalb der Europäischen Union, um das Lagebild zu konsolidieren. Die entsprechenden Gremien tagen zur Stunde“, so eine Ministeriumssprecherin.
„Erpressung“ hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem angekündigten Lieferstopp nach Polen und Bulgarien Moskau bereits entgegengeschleudert. „Die Ankündigung von Gazprom ist ein weiterer Versuch Russlands, uns mit Gas zu erpressen“, twitterte von der Leyen. Russland hat aus der Ankündigung trotzdem Ernst gemacht und die polnische und bulgarische Pipeline trockengelegt.
Die Suche nach Alternativen dürfte damit einen neuen Schub bekommen. Allerdings scheinen die Möglichkeiten mittlerweile nahezu ausgereizt. Deutschland will bis 2024 weitestgehend aus russischen Gasimporten ausgestiegen sein. Um das möglich zu machen, sollen sogenannte Floating LNG Terminals für Flüssiggas in Wilhelmshaven und Brunsbüttel verankert werden. Zwei weitere schwimmende Terminals sollen noch angemietet werden – hier stehen die Standorte noch nicht fest. Einen Pferdefuß gibt es auch hier. „Europa kauft gerade den Weltmarkt leer“, sagt Habeck. Die Preise stiegen deshalb derart, dass sich andere Länder kein Gas mehr leisten könnten. Er warnt davor, sie Russland in die Arme zu treiben.


