In der Causa des Milliardärs Alischer Usmanow steht die nächste Entscheidung an – jetzt erstmals vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe. Wie die Berliner Zeitung berichtete, klagt der usbekisch-russische Superreiche seit Monaten gegen Durchsuchungen von Immobilien am Tegernsee und einer Luxusjacht bei Bremen im vergangenen Herbst. Vier Durchsuchungsbeschlüsse hat das Landgericht Frankfurt bereits für rechtswidrig erklärt; der angebliche Geldwäscheverdacht sei substanziell nicht nachvollziehbar.
Ein fünfter Beschluss basierte auf dem Verdacht, Usmanow habe versäumt, als sanktionierte Person seine Vermögenswerte offenzulegen. Objekt der Durchsuchung war die Superjacht „Dilbar“, die einem Trust gehört, einer stiftungsähnlichen Institution nach bermudischem Recht. Aus Usmanows Sicht ist der Trust eine Stiftung zugunsten seiner vielköpfigen Familie, aus Sicht der deutschen Staatsanwaltschaft ein vorgeschobenes Konstrukt zur Verschleierung von Eigentumsverhältnissen.
Steht Sanktionierung von Einzelnen im Einklang mit dem Grundgesetz?
Usmanows Beschwerde gegen die vom Münchener Amtsgericht angeordnete Durchsuchung wurde in mehreren Instanzen zurückgewiesen, zuletzt vom Landgericht München I. Damit war der Rechtsweg erschöpft – eine Voraussetzung für die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die hat der Unternehmer jetzt eingereicht.
Rechtlichen Beistand erhält er von dem Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek, einem emeritierten Freiburger Rechtsprofessor. Murswiek stützt seine Argumentation auf zwei Punkte: zum einen die mögliche Verfassungswidrigkeit der Offenlegungspflicht für sanktionierte Personen (Grund: unzulässige Verpflichtung zur Selbstbelastung), zum anderen die Frage, inwieweit die Umsetzung der EU-Sanktionierung von Einzelpersonen mit den EU-Grundrechten und dem deutschen Grundgesetz im Einklang steht.
Vor allem das letztgenannte Argument geht weit über den Einzelfall Usmanow hinaus. Dietrich Murswiek gegenüber der Berliner Zeitung: „Einige der EU-Sanktionskriterien sind rechtsstaatlich unbedenklich, andere höchst problematisch. Rechtfertigt die deutsche Verfassungsidentität etwa einen Grundrechtseingriff gegen eine Person, nur weil sie zu den ‚führenden Geschäftsleuten‘ eines Landes gehört, mit dem Deutschland politisch über Kreuz liegt?“
„Ausgeschlossen, Sanktionen so zu rechtfertigen“
Bei einigen der inzwischen über 1400 sanktionierten Einzelpersonen lautet die Begründung lediglich, es handele sich um bedeutende Steuerzahler in der Russischen Föderation. Murswiek dazu: „Es ist ausgeschlossen, mit einem solchen Argument Sanktionen zu rechtfertigen.“
Wie das Frankfurter Landgericht in seiner Entscheidung festgestellt hat, gehen die Sanktionsbegründungen im Fall Usmanow vornehmlich auf Behauptungen des inhaftierten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zurück. Ähnlich wie die Frankfurter Richter moniert auch Murswiek, dass die angeblichen Verbindungen zwischen seinem Mandanten und den russischen Entscheidungsträgern oder die Unterstützung der russischen Regierung durch Usmanow in keiner Weise belegt seien.
Ein Grundrechtseingriff, so Murswiek, lasse sich nur rechtfertigen, wenn er einem legitimen Gemeinwohlzweck diene. Dazu müsse er „geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig“ sein. Im Fall des Taschkenter Unternehmers sei keines der drei Kriterien erfüllt.
Er betont, dass es bei der Verfassungsbeschwerde nicht primär um die Rechtmäßigkeit der EU-Sanktionen geht, sondern um die Rechtmäßigkeit deutscher Vollzugsakte auf Basis dieser Sanktionen. Implizit könne Karlsruhe auch die Verfassungsmäßigkeit der EU-Sanktionen prüfen. Wenn die Verfassungsidentität – der Kern des Grundgesetzes – verletzt sei, müsse das Gericht sich auch gegen eine abweichende Rechtsprechung der EU-Gerichte durchsetzen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Menschenwürde der sanktionierten Person verletzt sei.
Druck auf Russland durch Gängelung seiner Staatsbürger?
Im Zentrum von Murswieks Argumentation stehen zentrale Fragen rechtsstaatlicher Standards. Darf eine strafähnliche Sanktion ohne Anhörung des Betroffenen und ohne Prüfung der Schuldangemessenheit auferlegt werden? Darf eine präventive Sanktion erfolgen, wenn dem Betroffenen zu dem Zeitpunkt kein störendes Verhalten vorgeworfen werden kann? Darf man eine Einzelperson, die das aggressive Verhalten des eigenen Staats weder fördert noch unterstützt, mit dem Ziel sanktionieren, Druck auf staatliche Entscheidungsträger zu erzeugen? Wird damit der Einzelne menschenwürdewidrig zum bloßen Mittel der Politik degradiert?




