Ukraine-Krieg

Ampelantrag zum Ukraine-Krieg: SPD-Fraktion knickt bei weitreichenden Waffen ein

Lange hat der Kanzler sich gegen die Lieferung von Taurus-Raketen gesträubt. Ein Koalitionsantrag nennt die Waffe nicht beim Namen, macht sie aber lieferbar.

Die selbstlenkenden Taurus-Marschflugkörper werden von Flugzeugen aus abgefeuert.
Die selbstlenkenden Taurus-Marschflugkörper werden von Flugzeugen aus abgefeuert.Bundeswehr/dpa

Es wirkt wie eine konzertierte Aktion: die atlantische Droh- und Druckkulisse bei der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende; am Samstag der Treueschwur des Bundeskanzlers Richtung Ukraine; am Montag im Entschlussantrag der drei Ampelfraktionen dann das Einknicken der SPD bei der Lieferung weitreichender Waffensysteme und der Zusage von Militärhilfe bis zur Wiederherstellung der Ukraine in den Grenzen von 1991.

Das Papier der Fraktionsvorsitzenden, das der Berliner Zeitung vorliegt, fordert die Bundesregierung auf, sich dem russischen Angriff „mit ganzer Kraft“ entgegenzustellen, damit die Ukraine ihre „volle territoriale Integrität“ in den 1991 anerkannten Grenzen wiedererlangt.

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Außerdem: „Militärhilfe im für die Verteidigung und Wiederherstellung der vollständigen territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine erforderlichen Maße bereitzustellen“. Dies „beinhaltet die Lieferung von zusätzlich erforderlichen weitreichenden Waffensystemen und Munition, um die Ukraine einerseits in die Lage zu versetzen, völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors zu ermöglichen“.

Der Antrag von SPD, Grünen und FDP soll laut dem Magazin Stern noch in dieser Woche im Parlament zur Abstimmung gestellt werden. Anlass ist der zehnte Jahrestag der Inbesitznahme der Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch russische Truppenverbände. Am Dienstag tagten die Bundestagsfraktionen intern.

Taurus: Selbstlenkende Raketen mit 500 Kilometer Reichweite

Die Taurus-Raketen, deren Lieferung Bundeskanzler Olaf Scholz bislang standfest verweigert hat, werden in dem Antrag namentlich nicht erwähnt. Die Formulierung „weitreichende Waffensysteme“ schließt den Waffentyp jedoch ein. Taurus-Raketen sind selbstlenkende Luft-Boden-Raketen, werden von Flugzeugen aus abgefeuert und können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit höchster Präzision treffen. Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite.

Ob die Antragsformulierung „völkerrechtskonforme Angriffe“ reicht, um einen ukrainischen Einsatz der Taurus-Raketen gegen die russische Hauptstadt oder andere Städte auf russischem Territorium auszuschließen, darf bezweifelt werden. Als verteidigender Staat ist die Ukraine, die so gut wie permanent unter russischem Raketenbeschuss liegt, durchaus berechtigt, innerrussische Ziele ins Visier zu nehmen.

Die ukrainische Regierung hatte die Taurus-Marschflugkörper bereits im vergangenen Mai offiziell von Deutschland erbeten. Der Kanzler erklärte im Oktober, dass Deutschland Taurus vorerst nicht liefern werde. Dahinter steht die Befürchtung, die Flugkörper könnten russisches Territorium treffen und Russland könnte darin einen Angriff mit deutscher Beteiligung sehen. Weitere Bedenken sind, dass der Taurus-Einsatz die Anwesenheit deutscher Spezialisten im Kriegsgebiet erforderlich machen könnte, was die Berliner Regierung bislang zu vermeiden sucht.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wich Scholz der Frage aus, ob er die Taurus-Raketen vielleicht doch freigeben will. Er versicherte lediglich, dass Deutschland immer genug tun werde, um die Ukraine zu unterstützen. Auch gegen die Lieferung von Leopard-2-Kampfpanzern hatte er sich lange gesträubt. Im Januar letzten Jahres gab er dann nach; im März 2023 wurden die ersten Leopard-Panzer geliefert.

Carte blanche für den Einsatz deutscher Streitkräfte?

FDP und Grüne werben seit langem dafür, die Ukraine mit Taurus-Waffen auszustatten. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour drückte unmittelbar vor der Sicherheitskonferenz noch einmal aufs Tempo. „Es ist richtig, dass die Ukraine eine Entscheidung bekommen sollte. Bald. Weil das schon sehr lange anhängig ist“, sagte er der dpa.

Für die sozialdemokratischen Skeptiker, die bei Waffenlieferungen Vorsicht anmahnen, stehen oder standen zwei Argumente im Vordergrund: die Frage einer möglichen Nato-Beteiligung am russisch-ukrainischen Krieg und der nicht vollkommen auszuschließende Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland, etwa im Fall einer drohenden Rückeroberung der Krim durch die ukrainische Armee.

Dass die SPD jetzt einknickt oder, wenn man so will, die Seiten wechselt, verdankt sich dem kombinierten Einsatz medialer Siegeszuversicht und politischen Drucks seitens des atlantischen Establishments von Washington über Warschau bis Tallinn.

Unabhängig von der Taurus-Problematik stellt sich bei aufmerksamer Lektüre des Antrags die Frage nach der theoretischen Obergrenze der zugesagten Hilfe. Formulierungen wie „mit ganzer Kraft“ und „Militärhilfe im für die Wiederherstellung der vollständigen territorialen Integrität erforderlichen Maße“ lassen sich grundsätzlich auch als Carte blanche für den Einsatz deutscher Streitkräfte lesen. Jeder Ampelpolitiker wird das empört von sich weisen – aber warum sollte die Eskalation deutscher Unterstützung, die einst bei 5000 Stahlhelmen begann, bei Taurus-Raketen aufhören?

Sahra Wagenknecht: „Kriegsbesoffener Antrag“

So ist es kaum verwunderlich, dass die BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht in scharfen Worten vor einer Kriegsgefahr für Deutschland warnt: „Dieser kriegsbesoffene Antrag bedeutet eine neue Eskalationsstufe und eine wirkliche Gefahr für unser Land.“ Die Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP wollten den Krieg nach Russland tragen. Das bringe der Ukraine keinen Frieden, sondern ziehe Deutschland in den Krieg hinein. Wagenknecht forderte abermals einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Anders reagierte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Er forderte die Lieferung von Taurus-Raketen. Die Union kenne den Antrag noch nicht. Wenn aber klar vorgesehen sei, dass Taurus-Marschflugkörper geliefert werden sollen, „dann bin ich dafür, zuzustimmen“, sagte er gegenüber RTL, „aber wenn es verschwurbelte Koalitionsformulierungen sind, damit die ihren inneren Frieden finden, dann ist das kein Thema für uns.“ Es sei unverantwortlich, dass sich der Bundeskanzler und seine Koalition so schwertäten. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei zu einem Stellungskrieg verkommen. „Jeder Tag ist das Ergebnis unzureichender westlicher Unterstützung, nicht zuletzt auch deutscher Unterstützung“, sagte der 58-Jährige.

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kündigte an, im Bundestag für einen Unions-Antrag zu den Taurus-Lieferungen zu stimmen. Der Bild-Zeitung sagte sie, sie appelliere „weiter an jeden Einzelnen, sich für die Lieferung von Taurus einzusetzen“. Damit geht die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses auf Distanz zu dem Antrag ihrer eigenen Fraktion, der Taurus nicht namentlich erwähnt.

Strack-Zimmermann gehört zu den Politikern, die den Ukraine-Krieg als Entscheidungsschlacht zwischen Freiheit und Despotie in Europa lesen. In der SPD hätten immer noch nicht alle verstanden, „dass die Ukraine um unseren Frieden und unsere Freiheit und unsere Zukunft in Europa kämpft“, sagte sie und betonte, dass mit „weitreichenden Waffensystemen“ für die Freien Demokraten „nur Taurus-Marschflugkörper gemeint sein“ können.