Es wird dunkel in Deutschland. Daran kann seit Montag kein Zweifel mehr bestehen. Wenn selbst der Bundeskanzler, kein Freund besonderer Dramatik, angesichts der Inflation und des Krieges von einer „historischen Herausforderung“ spricht und Tina Hassel in der Tagesschau „soziale Spannungen“ prophezeit, ist klar: Die Zeiten sind ernst.
Scholz hat mit seinen Warnungen, die er bei einem Treffen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern formulierte, vollkommen recht. Die Bundesrepublik steuert auf die schlimmste wirtschaftliche Krise seit Jahrzehnten zu. Explodierende Energiepreise, massiv verteuerte Lebensmittel und die Inflation insgesamt werden den Bürgern zwischen kalter Wohnung und teurem Supermarkt ab Herbst massiv zusetzen – und da sind Corona-Lockdowns und Klimakatastrophe noch nicht einmal eingerechnet.
Scholz' Diagnose stimmt, aber stimmt auch die Therapie?
Mit der Diagnose liegt Scholz also richtig, doch was ist mit seinem Lösungsvorschlag? „Wenn wir uns unterhaken und zusammenhalten, sind wir stark“, sagt der Kanzler. Doch während die Probleme historische Ausmaße annehmen, findet sich eine Geschlossenheit in der Gesellschaft wie in früheren Zeiten heute nicht mehr. Ganz anders als nach der Wiedervereinigung der Aufbau Ost enorme Summen beanspruchte und gestemmt wurde, ist die Stimmung heute miserabel. Das Land ist nicht nur einmal, sondern vielfach gespalten. Die Krisen der vergangenen Jahre, vor allem die Euro-, Flüchtlings- und Corona-Krise, haben die öffentlichen Kassen geleert. Die politische Landschaft bildet das ab: Sie ist stärker als je zuvor in der Geschichte der Republik zerklüftet. Überall streiten Interessenvertreter um ihr Stück des Kuchens – nur backen will kaum einer mehr.
Die Zeiten sind düster, auch weil über Jahre Geld in Umverteilung geflossen ist statt in Investitionen in Zukunftstechnologien. Bei Digitalprodukten von Apps über Glasfaser bis hin zu E-Autos und Fotovoltaik. Wir haben die Mütterrente, die Respektrente und neue Feiertage, aber keinen Digitalkonzern von Weltrang. Vieles davon mag nach Gesichtspunkten der Gerechtigkeit nachvollziehbar sein. Aber was nützt es nun, wo das Geld knapp wird? Gestern wurde bekannt, dass der über Jahre zuverlässig eingefahrene deutsche Exportüberschuss nicht mehr existiert. Er ist von den Turbulenzen der Märkte aufgefressen worden.
Die Zeiten des Tauschhandels sind zurück
Während der Merkel-Jahre entschied die Regierung stets, faktisch unüberbrückbare Differenzen immer wieder mit Geld zuzuschütten. Nach dem Motto: Wir wollen A. Ihr wollt B? Na, dann machen wir eben beides! Auch die Ampel, in der, seien wir ehrlich, die ideologischen Differenzen vielfach größer sind, als sie es in der Großen Koalition zwischen CDU und SPD jemals waren, verfährt nach dem altbekannten Muster. Kein Wunder, dass das Sondervermögen nicht im Haushalt vorkommt.
Doch nun ist nicht mehr die Zeit (oder das Geld) für falsche Kompromisse, bei denen alle bekommen, was sie wollen – und die Kasse den Kürzeren zieht. Es ist Zeit zu handeln. Und mit handeln ist tauschen gemeint. Finanzminister Christian Lindner hatte Ende Juni einen Vorschlag gemacht, der in die Richtung ging. Milliardensubventionen für Elektroautos sollten gestrichen werden, um Mittel für die Absicherung eines Kita-Qualitätsgesetzes zu gewinnen. Doch der Vorschlag war vergiftet, weil die Grünen E-Auto-Förderung und Kitas wollen, während die FDP nur an Letzterem interessiert ist.
Mutig wären wirkliche Tauschhandel: Ihr wollt die Atomkraft temporär zurück, liebe FDP? Okay, dann kriegen wir temporär das Tempolimit, könnten die Grünen sagen. Jeder müsste etwas geben und im Land, wo für beides Mehrheiten herrschen, würde der Eindruck entstehen, die Politiker gehen voraus, sie haken sich unter. Die Grünen wollen das 9-Euro-Ticket verlängern, wieso bieten sie nicht eine Reduzierung der Rundfunkgebühr im Gegenzug? In der Geschichte florierte immer dann, wenn Geld knapp wurde, der Tauschhandel. Diese Zeiten sind zurück.




