Die geschichtsträchtige usbekische Stadt Samarkand ist am 15. und 16. September der Schauplatz des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit – auf Englisch Shanghai Cooperation Organisation (SCO). Die SCO wurde 2001 von China, Russland, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan gegründet, als Bündnis für Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelsfragen, sowie um Bedrohungen wie Terrorismus, Separatismus und Drogenhandel zu begegnen.
Wie auch vor einem Jahr ist Russlands Präsident Wladimir Putin an diesen Tagen persönlich vor Ort. Das Großereignis ist jedoch das erste persönliche Treffen der kompletten Riege der Staatschefs seit drei Jahren – und eine wichtige Bühne für Putin, um zu demonstrieren, dass er nicht isoliert dasteht.
Am Donnerstag sprach Putin nach einem Treffen mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping über angebliche westliche „Versuche, eine unipolare Welt zu schaffen“, die „absolut hässliche Konturen angenommen haben und für die überwiegende Mehrheit der Staaten auf dem Planeten absolut inakzeptabel sind“. Xi Jinping versicherte daraufhin, dass China bereit sei, sich Russland anzuschließen und gemeinsam die Welt auf einen „Weg der nachhaltigen Entwicklung“ zu bringen. Den Ukraine-Krieg erwähnte der chinesische Anführer kaum, doch Putin selbst lobte „die ausgewogene Position unserer chinesischen Freunde in der Ukraine-Krise“. Man habe Verständnis für chinesische Bedenken in dieser Frage, fügte er hinzu.
SOZ-Mitglieder sprechen kaum eine gemeinsame Sprache
Im Laufe der Jahre wurde die SCO für den Kreml immer mehr zu einem politischen Instrument. Auf jedem Shanghai-Gipfel betont Wladimir Putin, dass die Organisation ein Gegengewicht zur unipolaren Welt einer „amerikanischen Hegemonie“ sei. Dabei weist Moskau gerne darauf hin, dass es sich um den weltweit größten regionalen Staatenverband handelt. Die Gesamtfläche der Mitgliedstaaten beträgt mehr als 34 Millionen Quadratkilometer. Allerdings sprechen weder alle Mitglieder des Verbands mit einer Stimme, noch stimmen sie sich durchgehend miteinander ab. Die chinesischen Bedenken in der Ukraine-Frage sind ein Beispiel.

Darüber hinaus bestehen zwischen den Ländern Mittelasiens noch immer zahlreiche Streitigkeiten, vor allem im Zusammenhang mit der gegenseitigen Grenzziehung, die bis zu bewaffneten Auseinandersetzungen gehen. So wurden erst am 13. September in Folge eines solchen Konfliktes zwischen Tadschikistan und Kirgisistan zwei Menschen getötet und ein knappes Dutzend weitere verletzt. Daneben verbergen die turkstämmigen Staaten der Region – Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan – kaum ihre Unzufriedenheit mit Pekings harter Politik gegenüber den Uiguren. Diese ethnische Minderheit lebt in der autonomen chinesischen Region Xinjiang im Nordwesten des Landes. Repressionen dort sind immer wieder ein Grund für Massenproteste in Mittelasien, vor allem in Kasachstan.
Usbekistans Präsident beantwortet eine Frage nicht
Die chinesische „ausgewogene Position“ in der Ukraine-Frage muss indes nicht als Beistand gesehen werden. Kein Mitgliedsstaat der SCO unterstützt die russische Invasion in der Ukraine oder die Annexion der Krim durch Russland 2014.
Der Präsident Usbekistans Shavkat Mirziyoyev schreibt in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung unter dem Titel „Der Geist von Samarkand“ zwar über die Ausweitung der Zusammenarbeit zwischen Ländern mit unterschiedlichen kulturellen und zivilisatorischen Vorstellungen. Als würde er hier demonstrativ mit Putin übereinstimmen wollen, betont er darin seine Auffassung, dass die alte Weltordnung am Ende sei. Aber der usbekische Anführer bleibt die Antwort schuldig, wie genau dann eine neue Weltordnung aussehen soll und worin der beschworene „Geist von Samarkand“ genau besteht, außer dass er ihn als Teil des generellen „Spirit of Shanghai“ sieht.
Dieser „Spirit“ wiederum spiegelt sich in der realen Welt vor allem in einer erfolgreichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit Chinas mit den zentralasiatischen Staaten. Nach den Angaben des chinesischen Handelsministeriums ist der Handel zwischen China und Mittelasien um das 25-fache auf fast 50 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 gewachsen. Chinas Präsident Xi hat sich sogar zum Ziel gesetzt, den Handel mit der Region bis 2030 auf 79 Millionen US-Dollar zu steigern.

Die Zahlen aus Moskau sind um einiges bescheidener. Ende 2021 belief sich der Handelsumsatz zwischen Russland und den fünf zentralasiatischen Staaten auf 36,5 Milliarden US-Dollar. Aktuell sucht Russland wegen der strengen westlichen Sanktionen hastig nach alternativen Partnern, natürlich auch bei den SCO-Staaten. Das hat bereits Folgen. Laut Experten der Eurasischen Entwicklungsbank beträgt das Wachstum des Handels zwischen Russland und den mittelasiatischen Ländern von Januar bis April 2022 etwa 13 bis 14 Prozent.
Dennoch fühlen sich die Staaten in Zentralasien nach dem Miterleben von Putins imperialen Ambitionen beim Ukraine-Überfall bedroht und beginnen, Kontakte zu den Ländern Europas zu intensivieren. Insbesondere die EU und Usbekistan haben im März ein Rahmenprogramm zum Ausbau der gegenseitigen Zusammenarbeit bis 2027 auf den Weg gebracht. 84 Millionen Euro wurden zur Finanzierung bereitgestellt, davon sieben Millionen zur Unterstützung und Entwicklung der Zivilgesellschaften und Menschenrechte. Wahrscheinlich als Reaktion darauf unterzeichneten Putin und Mirziyoyev am 15. September in Samarkand eine Erklärung über eine umfassende strategische Partnerschaft zwischen Russland und Usbekistan. Der Kreml-Chef überreichte darüber hinaus seinem usbekischen Kollegen den Alexander-Newski-Orden „für große Verdienste um die Stärkung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den Ländern“.
Für Putin ist die Entscheidung Mirziyoyevs ein Zeichen der Schwäche
Dennoch sind Moskau und Taschkent sich nicht wirklich einig. Beispielsweise trat Usbekistan 1999 aus dem von Russland geführten Vertrag über die kollektive Sicherheit aus. 2006 kehrten die Usbeken zurück, um 2012 erneut auszutreten, vor allem aus Enttäuschung über die geringe Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern. Mirziyoyev ist seit 2016 der Nachfolger des langjährigen usbekischen Diktators Islam Karimov. Als solcher ist er sehr daran interessiert, in seinem Land liberale Reformen durchzuführen und Blutvergießen zu vermeiden. 2019 wurde Usbekistan deswegen sogar vom Magazin „The Economist“ zum „Country of the year“ gekürt, zum Land des Jahres. Hier ist der Kurs von Putin natürlich komplett anders.
Innenpolitisch ist Mirziyoyev um Ausgleich bemüht. Er hob etwa Anfang Juli eine Verfassungsänderung Usbekistans auf, die dem im Nordwesten des Landes gelegenen Karakalpakstan das Recht auf Loslösung entzog. Grund waren auch Großdemonstrationen der Bevölkerung, bei denen 18 Menschen starben. Für Putin ist eine solche Entscheidung, getroffen aufgrund des Druckes von der Straße, ein Zeichen von Schwäche.
Doch stark ist aktuell auch nicht die internationale Position Putins, und so nutzt er den SCO-Gipfel weiter für Treffen mit den Führern verschiedener Länder. Er zeigt damit demonstrativ, dass es noch Politiker auf der Welt gibt, die bereit sind, seine Hand zu schütteln. So wird auch die Shanghai-Organisation zu einem Werkzeug Putins und seiner Ideologie, nach der „die gesamte westliche Welt gegen Russland Krieg führt“. Das Treffen in Samarkand soll demonstrieren, dass die SCO-Partner Putin unterstützen, obwohl sich dieser „mit dem gesamten Westen im Krieg“ befinde. Dabei ist es kein Zufall, dass aktuell der Iran, der sich seit mehr als 40 Jahren gegen den „von den Vereinigten Staaten geführten“ Westen stellt, auf dem Gipfel ein Memorandum über den Beitritt zur Shanghai-Organisation unterzeichnete.
Am Ende ist der „Geist von Samarkand“ mehr eine Illusion, die Unterstützung für Putin eher simuliert als zeigt. Denn im Krieg gegen die Ukraine ist er auch hier völlig isoliert. Zusätzlich findet der Gipfel vor dem Hintergrund einer militärischen Niederlage nach der ukrainischen Gegenoffensive bei Charkiw statt, die Putin nicht akzeptieren will. So werden notfalls auch Geister angerufen.


