Europa

Serbien reagiert: „Mit größtem Entsetzen und einiger Sorge“

Die serbische Botschaft protestiert gegen die Forderung des Autors Muamer Bećirović in der Berliner Zeitung, Deutschland solle in Serbien Unruhe anstiften.

10. Juni 2022: Bundeskanzler Olaf Scholz wird von Aleksander Vucic, dem Präsidenten von Serbien, in Belgrad mit militärischen Ehren empfangen.
10. Juni 2022: Bundeskanzler Olaf Scholz wird von Aleksander Vucic, dem Präsidenten von Serbien, in Belgrad mit militärischen Ehren empfangen.dpa

Mit größtem Entsetzen und einiger Sorge habe ich den Artikel „Der Balkan braucht Deutschland als Ordnungsmacht, Serbiens Dominanz muss gebrochen werden“ vom 13. August in der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung gelesen.

Bei allem Respekt für die Presse- und Meinungsfreiheit, insbesondere bei einer liberalen Zeitung wie der Berliner Zeitung, muss ich gestehen, dass die Äußerungen und Forderungen in diesem Artikel, der sich auf eine mehr als hundert Jahre alte Strategie beruft, welche zur ersten großen Zerstörung Europas im letzten Jahrhundert geführt hat, mit Millionen von Opfern, in mir ausschließlich Angst und Sorge geweckt haben. Ein durch Kroatien und Bosnien gebildetes Gegengewicht, um Serbien auf dem Balkan dauerhaft auszubalancieren, wie es der Autor vorschlägt, wäre die reinste Gefahr für die Region und ihre Stabilität und würde alle Bemühungen, die Region wirtschaftlich zu verbinden, zum Scheitern verurteilen. Solche Gruppierungen „Einer gegen den anderen“ sind gefährlich. Wir brauchen Zusammenarbeit – „Einer mit dem anderem“. Die Vorschläge des Autors wären auch gegen die Ziele und Prioritäten des in Deutschland initiierten „Berliner Prozesses“.

Darüber hinaus geht der Verfasser dieses Artikels weiter und setzt sich für Sanktionen, die Entsendung deutscher Soldaten und sogar für Unruhen und politische Instabilität in Serbien ein, was jedem vernünftigen Menschen nur völlig fremd sein kann. Als jemand, der als normaler Bürger achteinhalb Jahre unter Sanktionen gelitten hat, glaube ich fest daran, dass Sanktionen keine Lösung wären. Und wenn er die Entsendung von Soldaten fordert, ist diese Forderung nur als kriegstreibend einzuordnen. Die Region, die Entsendungsstaaten und vor allem Serbien haben derartige Einsätze mit Hunderttausenden Opfer bezahlt. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass der Aufruf zu Unruhe und politischer Instabilität in einem anderen Land nichts mit der Presse- und Meinungsfreiheit zu tun hat, sondern dass solch eine Denkweise verurteilt werden sollte.

Seine Behauptungen, Serbien forciere Macht, Spannung und Entspannung in „Kosovo“ und in Bosnien und Herzegowina und Präsident Vučić lege ein Feuer und spiele dann Feuerlöscher, sind völlig grundlos und nicht mit Argumenten unterlegt, da Präsident Vučić persönlich viele nützlichen Initiativen nicht nur für die serbischen, sondern auch für die Bürger in der Region initiiert hat.

Wenn der Autor über den serbischen Hegemonialanspruch spricht, vergisst er dabei, dass Serbien vor etwa zwei Jahren, in einer schweren Zeit, jedem Menschen in der Region völlig kostenlos die Impfung gegen Covid-19 zur Verfügung gestellt hat. Er vergisst auch, dass Serbien, Nordmazedonien und Albanien ihre Zusammenarbeit im Rahmen der Initiative „Open Balkan“ stärken und vertiefen wollen, wobei diese Initiative offen für andere in der Region ist. Ich erinnere daran, dass Serbien sein ganzes diplomatisches Netz länger als ein Jahr für seine Kandidatur für den Gastgeber des Sonderausstellung „Expo 2027“ engagiert hat. Ein Land, welches sich um die Gesundheit aller Nachbarn sorgt, welches die Zusammenarbeit in der Region vertiefen und stärken will und welches die ganze Welt in 2027 nach Belgrad, d.h. in die Region, einlädt, stellt keine Gefahr für die Nachbarn und kein Hindernis für die gemeinsame Zukunft in der EU dar, sondern bietet der Region die Chance, der Welt ihre Potenziale und Vorteile vorzustellen. Serbien respektiert die territoriale Integrität und Souveränität eines jeden Landes aufgrund der UN-Charta und des Völkerrechts und hat keinen Anspruch auf irgendjemandes Territorium. Das Einzige, was Serbien will, ist dass Serben in der Region gleiche Rechte genießen können, wie sie den Bürgern dieser Länder zustehen.

In einer Sache hat der Autor recht: Deutschland kann mehr für den Westbalkan tun. Wir glauben auch, dass Deutschland eine noch wichtigere Rolle in der Region innehaben kann, indem es die wirtschaftliche Zusammenarbeit fördert, die europäische Integration der Region mit einer klaren Beitrittsperspektive unterstützt und darüber hinaus die Verhältnisse in der Region und das eigene Engagement in der Region im Einklang mit der UN-Charta und dem Völkerrecht fördert und umsetzt.

Die Stabilität und die Zusammenarbeit in der Region des Westlichen Balkans sind für Serbien von gleicher Bedeutung wie die Stabilität und Zusammenarbeit in Europa für Deutschland. Serbien ist und bleibt ein verlässlicher Partner für Deutschland – durch diese Partnerschaft kann mehr erreicht werden als durch Sanktionen, Soldaten, Unruhe und Instabilität.

Saša Dinić ist Gesandter und Geschäftsträger a.i. der serbischen Botschaft in Berlin.