Der Bundestag hat am Freitag in Berlin für das Selbstbestimmungsgesetz gestimmt. Dieses Gesetz sieht vor, dass Personen ab 14 Jahren in Deutschland künftig in der Lage sein werden, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen in offiziellen Dokumenten durch eine Erklärung beim Standesamt zu ändern, ohne die Notwendigkeit medizinischer Gutachten erfüllen zu müssen.
Nach der Verabschiedung soll das Selbstbestimmungsgesetz zum 1. November 2024 in Kraft treten. Damit soll das bisher als diskriminierend empfundene Transsexuellengesetz abgelöst werden.
Bislang müssen Personen, die eine Änderung ihres Geschlechtseintrags vornehmen möchten, ein langwieriges und kostspieliges Verfahren durchlaufen. Verbände, die die Rechte von Transmenschen vertreten, kritisieren dieses Prozedere seit Jahren als demütigend und begrüßen daher die Initiative für das neue Gesetz.
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Allen voran Sven Lehmann, der Queer-Beauftragte des Bundes (Grüne), der am Mittwoch in einem Post auf Facebook schrieb: „Der Freitag wird nicht nur ein wichtiger Tag für die Grund- und Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen, sondern auch für eine offene und demokratische Gesellschaft, in der Menschen vom Staat so anerkannt werden, wie sie sind.“
Doch nicht alle teilen diese Begeisterung. Es regt sich auch Kritik gegen das Gesetz – nicht nur von rechtskonservativen Parteien. Verschiedene Fraueninitiativen rufen für Freitag zum Protest in Berlin auf.
Hormonelle Behandlungen bei Transjugendlichen: Wie gefährlich sind Pubertätsblocker?
Unter dem Motto „Frauen sagen Nein“ wollen sie vor dem Bundestag gegen die Verabschiedung des Gesetzes demonstrieren. Diese gefährde die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, argumentieren sie. Worum geht es ihnen? In einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten heißt es: „Kindern und Jugendlichen schadet der Glaube, das Geschlecht ändern zu können. Die von Ihnen vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags verführt sie dazu, sich mit vermeintlich geschlechtsändernden Pubertätsblockern, Hormonen und Operationen ihrer Gesundheit und Fruchtbarkeit zu berauben. Von den Milliardengewinnen profitiert die Medizin- und Pharmaindustrie.“
Falls englische Artikel eine Hürde darstellen, hier etwas zum #CassReview auf Deutsch:https://t.co/X51Wj3G0ME#Selbstbestimmungsgesetz #NoSelfIDforGermany
— 🐻Till Randolf Amelung 🏳️🌈🇺🇦🇮🇱 (@TillRandolf) April 11, 2024
Die Vergabe von Pubertätsblockern, also Medikamenten, die bei transidenten Kindern und Jugendlichen die pubertäre Entwicklung pharmakologisch bremsen, ist wissenschaftlich höchst umstritten. Die Evidenzbasis sei mangelhaft, schreibt etwa der Autor und Genderforscher Till Randolf Amelung. Im europäischen Ausland wisse man das längst, so Amelung in einem Beitrag für Queernations.
In Großbritannien wurde der Einsatz von Pubertätsblockern für Kinder und Jugendliche ausgesetzt. Mitte dieser Woche hatte dort ein Gutachten über die mittlerweile geschlossene Abteilung „Gender Identity Service“ der Londoner Tavistock Clinic für Aufsehen gesorgt. Die unabhängige Untersuchung der Gesundheitsversorgung für transsexuelle Jugendliche in England unter der Leitung von Dr. Hilary Cass, mahnt Ärzte zu „äußerster Vorsicht“ bei der Verschreibung von Pubertätsblockern für transsexuelle Jugendliche und kritisiert das britische Gesundheitssystem für seinen Umgang mit „geschlechtsverwirrten“ Kindern scharf.
Auch andere europäische Länder, etwa Finnland, Schweden und Dänemark haben ihre Behandlungskonzepte für Jugendliche mit Genderdysphorie geändert. In den Niederlanden hat das Parlament Anfang des Jahres eine unabhängige Prüfung des „gender-affirmativen“ Modells im Umgang mit transidenten Jugendlichen gefordert.
Selbstbestimmungsgesetz: Missbrauch vorprogrammiert?
Ein weiterer Kritikpunkt am geplanten Gesetz ist die Befürchtung, dass die freie Wahl des eigenen Geschlechtseintrags großen Raum für Missbrauch von Gesetzeslücken bieten könnte. So argumentiert etwa die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz (CSU). Sie spricht sogar von einem „Sicherheitsrisiko“ und begründet das wie folgt: „Ab November wird es möglich sein, seine Identität mit einer einfachen Erklärung vor dem Standesamt zu ändern und die Sicherheitsbehörden erfahren hiervon nichts.“ Beim Standesamt erfolge „keinerlei Abgleich mit anderen Datenbeständen, um einen Missbrauch auszuschließen.“ Mit einem neu ausgestellten Pass werde ermöglicht, an deutschen Flughäfen auszureisen, auch wenn die Betroffenen bereits auf Fahndungslisten geführt werden, so Lindholz.
Wagenknecht gegen Selbstbestimmungsgesetz: „Gefährlicher Irrsinn“
Auch Sahra Wagenknecht ist strikt gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Die für Freitag vorgesehene Verabschiedung des Gesetzes sei ein schwerer gesellschaftspolitischer Fehler, sagte Wagenknecht dem Nachrichtenportal T-Online. „Das Gesetz wird Menschen in Geschlechtsumwandlungen treiben, die es dann bitter bereuen werden.“ Wagenknecht wirft der Ampelkoalition vor, sie wolle das Gesetz „angefeuert von einer radikalen Minderheit und gegen den Rat zahlreicher Experten“ verabschieden.
Dass Kinder ab 14 Jahren ihr Geschlecht „beliebig ändern“ könnten, sei verantwortungslos, meint die Vorsitzende des neuen Bündnis Sahra Wagenknecht. In den anstehenden Wahlkämpfen werde sie für eine Abkehr von diesem „gefährlichen Irrsinn“ streiten.
Kundgebung vor dem Bundestag heute: „Frauen sagen Nein“, queere Gruppen feiern
Die Kritikerinnen des Selbstbestimmungsgesetzes weisen außerdem darauf hin, dass das vorgesehene Bußgeld von bis zu 10.000 Euro bei absichtlicher Offenbarung des vorherigen Namen oder Geschlechts einer Transperson (auch deadnaming genannt), die Meinungsfreiheit gefährde. „Wie weit wollen Sie gehen? Wollen Sie jeden ins Gefängnis schicken, der die Wahrheit ausspricht? Dass ein Mann keine Frau ist, nur weil er rosa Nagellack liebt?“, heißt es zugespitzt im offenen Brief, in dem die Mitglieder des Deutschen Bundestages dazu aufgefordert werden, „ein Signal für den Schutz von Frauen und Kindern zu setzen und am Freitag, dem 12. April, das sog. Selbstbestimmungsgesetz SBGG in 2. und 3. Lesung abzulehnen.“




