Interview

Sebastian Czaja (FDP): „Es ist völlig egal, ob jemand Ahmet oder Helmut heißt“

Am 12. Februar wählt Berlin noch einmal. Die Nachwahl ist überschattet von den Silvester-Krawallen. Sebastian Czaja (FDP) sagt, was sich ändern muss.

FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja
FDP-Spitzenkandidat Sebastian CzajaVolkmar Otto

Er ist der Kopf der Berliner FDP: Sebastian Czaja (39) ist auch in diesem Wahlkampf Spitzenkandidat der Liberalen. Wir sprachen mit ihm über weniger Bürokratie und mehr Bürgernähe, warum er sich, geht es um Posten, nicht für die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch erwärmt und er einen Gipfel für Jugendgewalt für sinnlos hält, solange es nur Wahlkampfgetöse ist. 

Berliner Zeitung: Herr Czaja, der Wahlkampf ist in vollem Gange. Die Silvester-Krawalle haben ein neues Thema gesetzt. Was ist für Sie die Lehre aus diesem chaotischen Jahreswechsel?

Sebastian Czaja: Dass wir ein Problem haben in dieser Stadt. Wenn der 1. Januar zum 1. Mai wird und wir das nicht nur an diesen Tagen, sondern auch an allen anderen Tagen in Berlin erleben, dass gegenüber unseren Einsatz und Rettungskräften jegliche Hemmschwelle verloren gegangen ist, dann läuft etwas schief.

Was muss sich konkret ändern?

Wir müssen zum einen über die Frage des Vollzugsdefizits sprechen, weil wir einen funktionierenden Rechtsstaat brauchen, uns aber auch mit der Frage der Integration auseinandersetzen. Daher bin ich sehr froh, dass ich in unserem Wahlkampfteam jetzt den Psychologen und Autor Ahmad Mansour an der Seite habe, der uns unterstützt und mit dem ich genau diese Fragen gemeinsam angehen werde. Wir werden genau hinschauen, ohne dabei Ressentiments, wie andere das tun, zu bedienen.

Viele der Täter in der Silvesternacht waren nicht einmal volljährig – und die 145 Festgenommenen waren dann schnell wieder auf freiem Fuß. Wie geht man damit um?

Wenn sich Menschen, egal welchen Alters, nicht an Gesetz und Recht und Ordnung halten, dann haben wir ein Problem. Daher: Wir brauchen nicht mehr Gesetze, sondern müssen die bereits vorhandenen einfach konsequenter anwenden. Die FDP fordert seit langem, dass wir die Justiz stärken müssen – dass wir mehr Stellen und eine engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz brauchen. Wichtig ist es ebenso, sich hinter unsere Sicherheitskräfte zu stellen. Leider haben wir eine Koalition, die Auswüchse wie diese still toleriert. Das sehen wir ebenfalls, wenn es um die Frage der kriminellen Clans auf den Straßen in Berlin geht. Anscheinend hat sich hier ein Klima etabliert, dass man eine niedrigere Hemmschwelle hat als in anderen Bundesländern. Nun haben wir die Chance, dass sich das nach dem 12. Februar ändert.

Sie beklagen auch eine mangelnde Integration. Was ist Ihrer Meinung nach die vergangenen Jahre schiefgelaufen?

Es ist wichtig, dass wir das Thema wieder stärker politisch diskutieren, und zwar in Berlin. Ich finde es schon mal bezeichnend, dass die Regierende Bürgermeisterin als erstes nach dem Bund wegen eines Böllerverbots ruft, obwohl sie selber Bürgermeisterin von Neukölln und danach Bundesbildungsministerin war. Das sagt ja aus, dass ihr in der Stadt etwas nicht gelungen ist.

Zur Person
Sebastian Czaja, 39, gilt vielen als heimlicher Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus. Bis zum Jahr 2005 gehörte der gelernte Elektrotechniker aus Mahlsdorf wie sein älterer Bruder Mario Czaja der CDU an – bereits ein Jahr später zog Sebastian Czaja mit der FDP erstmals in Parlament ein, wo er für seine Fraktion Sprecher für Sport, berufliche Bildung, Wissenschaft und Forschung wurde. 2011 flog die FDP aus dem Abgeordnetenhaus. 2016 gelang der Wiedereinzug und Czaja wurde Fraktionschef. Dieses Amt hat er bis heute inne. Für die Wiederholungswahl am 12. Februar ist er erneut Spitzenkandidat seiner Partei.

Was muss geschehen?

Wir müssen deutlich machen, dass egal welcher Herkunft du bist, in diesem Land Regeln für alle gelten. Dazu zählt aber auch, sich über die Zukunftsperspektiven von Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen. Und mit der Frage: Ist unser Bildungssystem so leistungsstark, dass die Postleitzahl nicht über dein weiteres Leben entscheidet? Ist es richtig, dass wir von Brennpunktschulen sprechen? Das ist eine Stigmatisierung. Machen wir diese doch besser zu Leuchtturmschulen.

In Berlin ist vieles auch kaputtgespart worden, viele soziale Einrichtungen oder Jugendtreffs sind geschlossen. Fehlt das Geld?

Es kommt immer auf die Prioritätensetzung an. Allein diese Wahlwiederholung kostet uns Steuerzahler jetzt 40 Millionen Euro, einfach nur, weil man in den letzten Jahren nicht den gemeinsamen Mut aufgebracht hat, eine umfassende Verwaltungsreform auf den Weg zu bringen. 40 Millionen Euro könnten wir gut anderswo investieren, in die Bildung und Integration beispielsweise.

Sie hatten angeführt, dass Sie gerne eine engere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz hätten. Wie soll die aussehen?

Wir haben unter anderem vorgeschlagen, dass es wie in Nordrhein-Westfalen Brennpunktstaatsanwaltschaften gibt, damit auch hier eine engere Verzahnung stattfindet. Wichtig ist es auch, dass wir uns in der Justizverwaltung mit der Frage der Digitalisierung von Akten auseinandersetzen, dass wir schnell an allen Stellen ein ganzheitliches Lagebild haben. Die Polizei muss außerdem besser ausgestattet werden. Das Thema Bodycams, das vernachlässigt wurde, spielt durchaus eine Rolle. Stattdessen hat die linke Justizsenatorin eine Debatte darüber geführt, Tablets in die Gefängnisse zu bringen, um Häftlinge besser zu resozialisieren. Die Priorität hätte ich woanders gesetzt, entweder in Berliner Schulen oder bei der Polizei und Justiz.

Das heißt also, die rot-grün-rote Landesregierung bremst vieles ab?

Ja. Das sehe ich in der Justizverwaltung, wenn es um die Frage geht, wie bei unseren kriminellen Klima-Klebern auf der Straße gehandelt wird. Ich sehe den Bremsfaktor, wenn es darum geht, gegen Clan-Kriminalität in Neukölln vorzugehen. Ich sehe das, wenn es darum geht, unsere Verfassungsorgane zu stärken. Es ist immer noch das Ziel der politischen Linken, den Verfassungsschutz eher kleiner als stärker zu machen. Daher haben wir ein Klima, welches dazu führt, dass wir solche Auseinandersetzungen in Berlin immer deutlicher und stärker erleben als in anderen Bundesländern.

Jetzt überrascht es natürlich nicht besonders, wenn die FDP sagt, dass die Linke ein größeres Problem innerhalb dieses Senats darstellt.

Na ja, aber die Linke ist ja das Spiegelbild der Grünen und deshalb haben wir natürlich damit eine sehr starke Achse in dieser Regierung – und das sorgt dafür, dass wir immer wieder diese Negativschlagzeilen bekommen.

Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen des Gipfels gegen Jugendgewalt? 

Geschadet hat er sicher nicht, aber ob er etwas Konkretes gebracht hat, da würde ich jetzt auch mal ein Fragezeichen ranmachen. Allerdings habe ich durchaus Bewegung bei der SPD beim Thema Innere Sicherheit wahrgenommen. Die Innensenatorin wirkte genauso genervt von ihren ständig bremsenden Koalitionspartnern, wie ich mich bei dem Thema manchmal fühle. Wir würden ihr die neuen Bodycams für die Polizei nicht verwehren.

Was halten Sie von der Vornamenabfrage, die von der CDU gefordert worden war?

Gar nichts, weil es aus meiner Sicht völlig egal ist, ob jemand Ahmet oder Helmut heißt. Das ist ja eine Vorverurteilung von jedem, der einen anders klingenden Vornamen hat. Ich halte das einfach nur für Wahlkampfgetöse. Ich weiß nicht, ob da überhaupt jemand mal nachgedacht hat bei der Union.

Wenn Berlin am 12. Februar wählt: Was ist aus FDP-Sicht danach neu zu verhandeln?

Das Dringendste und Drängendste ist die Verwaltungsmodernisierung. Es reden zwar alle drüber, doch es passiert nichts. Wir müssen daher an grundsätzliche Fragen in der Berliner Verwaltung ran. Dazu zählt: die doppelten Zuständigkeiten abschaffen, klare Verantwortlichkeiten festlegen, Digitalisierung umsetzen, die Beschäftigten endlich auch in den Bezirken auf das Lohnniveau des Landes heben und dafür sorgen, dass wir diese Verwaltung aus einem Servicegedanken heraus entwickeln. Und dann müssen wir dringend an die soziale Frage rangehen, das heißt Wohnraum schaffen, statt Enteignungsdebatten zu führen. Um mal zwei Großbaustellen zu beschreiben.

Bleiben wir erst mal bei der ersten Großbaustelle. Die FDP will die Bezirksämter abschaffen, aber die Bezirksbürgermeister als Galionsfiguren stehen lassen. Und auch in den Rathäusern dort soll weitergearbeitet werden. Was würde sich ändern?

Wir haben identifiziert, dass das Grundproblem immer die Frage der politischen Parteibücher und Verantwortlichkeiten ist. Es werden mehr politische Spielchen gemacht, statt das Grundproblem anzugehen. Wenn beispielsweise ein Bezirksstadtrat ein anderes Parteibuch hat als die jeweilige Senatorin oder der jeweilige Senator, dann führt es meistens dazu, dass Dinge eher gebremst werden, statt sie zu entscheiden. Und deshalb haben wir vorgeschlagen, die 60 Wahlbeamten auf Zeit, nämlich die Bezirksstadträte, abzuschaffen. Stattdessen soll ein Senator oder eine Senatorin mit einer Senatsaußenstelle in den Bezirken Politik machen. Damit fallen die Doppelzuständigkeiten weg und wir brauchen künftig, um ein Berliner Schulklo zu sanieren, nicht mehr vier Anlaufstellen. Sondern nur noch eine. Das würde Tempo machen.

Und die Bezirksbürgermeister?

Die Bezirksbürgermeister sollen bleiben und sogar gestärkt werden. Sie bekämen über den Rat der Bürgermeister eine Stimme im Abgeordnetenhaus. Damit hätten wir auch mehr lokale Themengewichte. 

Kennen Sie die Städte, in denen das genauso funktioniert, wie Sie es vorhaben?

Man kann nach Hamburg schauen, man kann aber auch nach Paris schauen. Insoweit ist das für uns keine Erfindung, die wir irgendwo im stillen Kämmerlein gemacht haben, sondern wir haben uns schon umgeschaut, dort wo es besser läuft.

Wie verkauft man dieses trockene Thema Verwaltungsreform sexy dem Wähler?

Ich glaube, dass das eine hohe Relevanz hat. Jeder, der hier den Alltag erlebt, egal ob privat oder unternehmerisch tätig, weiß, was im Argen liegt. Vieles dauert zu lange und ist ungemein kompliziert, jeder Antrag beim Bürgeramt oder ein Vergabeverfahren von Unternehmern. Berlin ist eine Stadt, die wächst, die aber auch Wachstumsschmerzen hat und die leider immer Regierungen hatte, die sich nur mit dem Klein-Klein beschäftigt haben, statt an die großen Probleme ranzugehen. Daher ist die Wiederholungswahl eine Chance für eine echte Reform, bei der wir uns als Motor verstehen.

Wer wäre denn Ihr Traumpartner in einer möglichen Regierungskoalition?

Wir haben ausgeschlossen, Bettina Jarasch zur Regierenden Bürgermeisterin zu wählen. In SPD und CDU sehen wir zwei verlässliche Partner, mit denen man in entscheidenden Fragen einen breiten Konsens herstellen könnte. Die aber auch zwei etwas schwerfällige Tanker sind. Aber vielleicht wird die FDP in einer möglichen Reform-Koalition genau die notwendige Frischzellenkur.

Was haben Sie denn gegen Frau Jarasch?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir mit diesen Grünen vorankommen in der Stadt, sondern weiterhin Druck und Stresssituationen entstehen und die Ideologie die Agenda bestimmt. Wir setzen auf das Machbare und Lösungsorientierte. Die aktuelle Frage bei den Grünen scheint nicht zu sein: Wie kommt man am schnellsten von A nach B, sondern wie kommt Bettina Jarasch am schnellsten ins Rote Rathaus. Stattdessen vergisst man, die Radwege sicher zu machen, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und die Zeit wird darauf verwendet, den ideologischen Kampf gegen das Auto zu suchen. Seitdem die Grünen Teil dieser Landesregierung sind, wird sich nicht um die relevanten Ziele gekümmert.

Befürchten Sie noch ein Wahlchaos, oder dass das Bundesverfassungsgericht die Wahl am 12. Februar doch noch stoppt?

Ich schaue täglich auf mein Handy, ob nicht wieder etwas passiert ist, wie Namen, Daten oder falsche Stimmzettel bei den Briefwahlunterlagen. Aber jede dieser Nachrichten ist doch eigentlich eine Einladung, neu zu wählen. Daher gehe ich davon aus, dass die Wahlen am 12. Februar stattfinden. Und am Wahlabend werden wir sehen, wie Berlin entschieden hat. Ich glaube, es gab selten eine spannendere Wahl, vor allem, weil sie wegen des Chaos wiederholt werden muss. Es würde mich wirklich extrem ernüchtern, wenn am Ende wieder das gleiche Ergebnis rauskommt. Dann fragt man sich wirklich, was eigentlich noch alles passieren muss, damit sich hier etwas ändert.