Umweltpolitik

Die Abwehr, die Robert Habeck und die Grünen auslösen, hat eine destruktive Energie

Mit ihrem Aufschrei „How dare you“ hat Greta Thunberg einen wunden Punkt getroffen. Aber das Prinzip des ökologischen Fußabdrucks ist an eine Grenze gestoßen. Ein Kommentar.

Die affektive Abwehr, die <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/robert-habeck">Robert Habeck</a> und <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/buendnis-90-die-gruenen">die Grünen</a>&nbsp;ausgelöst haben, hat eine destruktive Energie freigesetzt, die mehr zu torpedieren droht als ein auf holprige Weise zustande gekommenes Gesetz.
Die affektive Abwehr, die Robert Habeck und die Grünen ausgelöst haben, hat eine destruktive Energie freigesetzt, die mehr zu torpedieren droht als ein auf holprige Weise zustande gekommenes Gesetz.dts Nachrichtenagentur/imago

Schuldabwehr, das hat jede und jeder in früher Kindheit gelernt, gehört zur Persönlichkeitsentwicklung. Wer sagt: „Ich war’s nicht“, gewinnt Zeit bis zum Beweis des Gegenteils. Heranwachsende wissen die Techniken geschickt zu verfeinern. Aus der Erfahrung, dass ein Verharren in der Defensive nicht weiterführt, zieht jede Generation unterschiedliche Verhaltensoptionen und entdeckt nicht zuletzt die Kraft der Schuldzuweisung.

Nachweislich waren es nicht die Angehörigen der 68er-Generation, die maßgeblich zur Erforschung und Bearbeitung der NS-Verbrechen beigetragen haben. Die entscheidenden Impulse kamen von außen. Zur Charakterisierung der Alterskohorte hat sich allerdings das Klischee behauptet, dass sie es gewesen sei, die die Generation der Eltern mit Fragen nach der Verantwortung für den Holocaust konfrontierte. Wenn tatsächlich Antworten kamen, hielten sich die 68er nicht lange damit auf, sondern gingen dazu über, Schuldzuweisungen an die Weltmacht USA zu richten: Vietnam, Imperialismus, CIA. Sie wissen schon.

BP und der ökologische Fußabdruck

Weit wirkungsvoller als Ideologie und Verschwörung scheint jedoch die Implementierung von Schuld als politisches Instrument. Trotz der Aufbietung solider Argumente gegen den Rigorismus der Fridays-for-Future-Bewegung scheint die emotionale Wucht des „How dare you“ von Greta Thunberg einen wunden Punkt getroffen zu haben.

Die Schuld des Einzelnen, die der politische Aktivismus nicht müde wird zu adressieren, kommt seit geraumer Zeit im Modus der Messbarkeit daher. Der ökologische Fußabdruck sagt dir, wer du bist. Das dazugehörige Konzept als paradigmatischer Indikator für Nachhaltigkeit wurde Mitte der 90er-Jahre von den Ökologen Mathis Wackernagel und William Rees entwickelt. Wirksam durchgesetzt wurde es jedoch erst durch eine Kampagne des britischen Erdölkonzerns BP, der zu Beginn der Nullerjahre eine Korrektur des eigenen Images vornahm, in der nicht zuletzt das Firmenlogo mit den Buchstaben BP in eine grüne Sonne umgewandelt wurde. Für BP bestand das zentrale Bestreben darin, die Aufmerksamkeit auf den individuellen Verbrauch zu lenken. Die Botschaft sollte sein: Wir sind es nicht gewesen. Die Erderwärmung und Umweltverschmutzung ist eure Schuld. Die aus der Schuldabwehr des Konzerns hervorgegangene Adressierung der Verantwortung an jeden Einzelnen erfreut sich heute allgemeiner Akzeptanz. Man muss doch etwas tun. Selbst der klare Fall von Greenwashing ist kaum mehr bewusst.

Spätestens mit der Rebellion aus den Heizungskellern, die das Gebäudeenergiegesetz in einen Schrumpfkopf grüner Ordnungspolitik verwandelt hat, scheint die Strategie einer Klimapolitik auf der Basis individualisierter Schuld jedoch an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Im Fall der Letzten Generation führt sie sichtbar in die Verzweiflung, bei den Veränderungswilligen in die Resignation.

Einer, der früh erkannt hat, dass der starre Blick auf eine auf fünf vor zwölf stehen gebliebenen Uhr nicht weiterführt, ist der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen. In seinem 2020 erschienenem Essay „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ geht er davon aus, dass die Klimakatastrophe nicht mehr aufzuhalten sei. Anstelle einer resignativen Selbstblockade plädiert Franzen für eine Ethik des Trotzdem. Es komme nun darauf an, sich auf die Folgen von Bränden, Überschwemmungen und Flüchtlingsströmen vorzubereiten. Wenn man Franzen nicht einfach als reaktionären Spinner abtun will, wird man eine weitere Gefahr hinzufügen müssen: die Selbstzerstörung von Demokratie und staatlichen Strukturen. Die affektive Abwehr, die Robert Habeck und die Grünen mit den Versuchen zur Umsetzung ihrer im Kern nachvollziehbaren ökologischen Grundannahmen ausgelöst haben, hat eine destruktive Energie freigesetzt, die mehr zu torpedieren droht als ein auf holprige Weise zustande gekommenes Gesetz.

Wenn die Formel „Politik besser erklären“ zur Phrase wird

Viel wird nun davon abhängen, wie es gelingen kann, die Legitimationsprobleme einer auf Regulierung und Strafe fixierten Politik zu beheben. Gerade jetzt erweist sich die zuletzt häufig benutzte Formel, man müsse die Politik nur besser erklären, als hohle Phrase. Zur reflexartigen Schuldabwehr hat sich inzwischen auch die gereizte Zurückweisung guter Erklärungen gesellt. Das Misstrauen gegen staatlich angeleitete Problemlösungen ist längst umgeschlagen in eine affektive Institutionenfeindlicheit, die nicht allein auf das resignierte Kopfschütteln über den Niedergang der Deutschen Bahn beschränkt bleibt.

Nichts scheint derzeit schwieriger als die Mobilisierung der partizipativen Anteile der Demokratie und eines experimentierfreudigen, animierenden und zu Korrektur und Anpassung bereiten Staates.