Kolumne Ostbesuch (19)

Olaf Scholz im Osten: Die Leute merken hier schneller, wenn sie angelogen werden

Der Kanzler trifft sich mit den ostdeutschen Länderchefs in Chemnitz. Und über allem steht die Frage: Was tun mit der AfD? Es gibt verschiedene Theorien. Eine Kolumne.

Olaf Scholz in Chemnitz bei einer Wahlveranstaltung im Jahr 2019.
Olaf Scholz in Chemnitz bei einer Wahlveranstaltung im Jahr 2019.Hendrik Schmidt/dpa

Neulich wollte ich zwei belgische Waffeln bezahlen, mangels Cash mit Karte, bitte, und können Sie da das Trinkgeld draufrechnen? Geht nicht, sagte der Waffelmann. Hm, blöd, dann komme ich eben morgen noch mal vorbei und werfe was ins Trinkgeldschwein – wo ist es eigentlich, stand doch immer hier vorne am Tresen, oder? Geklaut, bestimmt einer von denen, sagte der Waffelmann und deutete mit dem Zeigefinger nach draußen, wo junge Migranten ihre Tage und Nächte mit Wenig-bis-nichts-Tun verbringen.

Ich dann kleinlaut: Gelegenheit, ähm, macht, na ja ... vielleicht war es doch eher, ähm ... – man könnte das Schwein doch mit einer Kette festmachen in Zukunft. Und der Waffelmann lauthals: Das wäre Tierquälerei, haha, dann bekomme ich Ärger mit den Grünen, haha!

An diesem Donnerstag kommt Olaf Scholz nach Chemnitz, der Bundeskanzler trifft sich mit den ostdeutschen Länderchefs und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin zum regelmäßigen Themenhopping, diesmal: Unternehmensförderung, Fachkräftemangel, Energiekrise, medizinische Versorgung, Flucht und Migration, artgerechte und sichere Trinkgeldschweinehaltung. Okay, der letzte Punkt steht nicht auf der offiziellen Liste. Genauso wenig wie die Frage, die zurzeit viele umtreibt, die vom Westen aus auf den Osten (herab)schauen: Wie umgehen mit der AfD, die einer Umfrage zufolge knapp ein Drittel der Ostdeutschen wählen würde? Auch der Waffelmann?

Von B nach C, Ostbesuch, 263 Kilometer
Von B nach C, Ostbesuch, 263 KilometerBerliner Zeitung/Pajović/Amini

Olaf-„die AfD ist eine Schlechte-Laune-Partei“-Scholz war zuletzt öfter im Osten. Beim Europatag in Falkensee, Brandenburg, wurde er mit Pfiffen begrüßt und als Kriegstreiber beschimpft. Er schimpfte von der Bühne aus zurück: „Wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet“ – dann würden sie nicht ihn, sondern Putin für den Krieg verantwortlich machen (und womöglich bessere Laune haben). Beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum im brandenburgischen Bad Saarow sagte Scholz dann, die Region könne „zu einem Motor des Wandels werden“, allerdings: „Mit einheimischen Arbeitskräften werden wir die Lücke nicht ausgleichen, die sich ganz besonders im Osten auftut.“ Hier kein Verweis auf Hirn oder Verstand.

Warum die AfD seit ein paar Wochen von Umfragehoch (17 Prozent im Mai) zu Umfragerekord (19,5 Prozent im Juni) klettert, weiß keiner so richtig, aber alle ein bisschen. Die Regierung sei schuld, findet die Opposition. Die Opposition sei schuld, findet die Regierung. Mal ist es das Gendern, mal Habecks „Heizhammer“, mal die löchrige Brandmauer, mal ein verbaler Vorschlaghammer von Söder

Am nächsten Tag brachte der Waffelmann mein nachgereichtes Trinkgeld in Sicherheit, dann stellte er seine eigenen Theorien vor. Über die AfD: Haben auch keine Lösungen, aber wenigstens den Arsch in der Hose, die Probleme zu benennen. Über den Osten: Die Leute merken hier schneller, wenn sie angelogen werden. Über die Migranten: Ohne Arbeit nur Quatsch im Kopf. Über Scholz: Noch schlimmer als Merkel. Über die Grünen: Die zwingen einen, die AfD zu wählen. Ihn selbst also auch? Danke für das Trinkgeld, sagte der Waffelmann und empfahl beim nächsten Mal heiße Kirschen dazu.

Drei Landtagswahlen finden im kommenden Jahr statt und in den jüngsten Umfragen liegt die AfD dreimal ganz vorn: in Brandenburg bei 24, in Thüringen bei 30 und in hier Sachsen bei 32,5 Prozent. Auf die Frage, woher sie wissen, was die Leute wollen, sagte ein AfD-Mann dem Spiegel: „Wir warten, was so aufploppt an Themen, und sagen dann das Gegenteil von dem, was die Grünen sagen, fertig ist die Kampagne.“ Ich warte jetzt auf eine Leinenzwangdebatte für Trinkgeldschweine.


In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!