Kai Wegners Start in Berlin

Zerreißt Kai Wegner doch nicht so: Gebt ihm einfach 100 Tage!

In 80 Phrasen um die Welt: Kai Wegner wurde bei seiner Regierungserklärung ausgelacht. Viel gefährlicher für ihn ist aber eine Spende. Ein Kommentar.

Am 12. Februar im Wahllokal, jetzt im Roten Rathaus: Kai Wegner, neuer Regierender Bürgermeister von Berlin.
Am 12. Februar im Wahllokal, jetzt im Roten Rathaus: Kai Wegner, neuer Regierender Bürgermeister von Berlin.Emmanuele Contini/imago

In 80 Phrasen um die Welt. Das Bonmot stammt vom Berliner Grünen-Politiker Werner Graf und trifft die erste Regierungserklärung von Kai Wegner ganz gut. Viele Allgemeinplätze, Selbstverständlichkeiten, auch Plattitüden – viel mehr war vorerst nicht. 

Nun wissen es also alle: Kai Wegner ist kein großartiger Rhetoriker. Selbst da, wo er mitreißen will und die Chancen für die Stadt beschwört, bleibt er bei sich: Er präsentiert sich als ganz normaler Bewohner dieser Stadt. Einer, der sich ehrlich über Erfolge freuen möchte – und sich ehrlich ärgert, wenn es schiefgeht. Er leidet, wenn das Image Berlins mal wieder besonders miserabel ist. Wenn alle schimpfen über den Dreck in den Kiezen. Über den Dauerstreit auf den Straßen. Über das Auseinanderdriften von Innenstadt und Außenbezirken. Dass das manchmal banal und oft auch ein bisschen bieder klingt, wird ihn nicht wirklich stören.

Doch niemand sollte Wegner deswegen unterschätzen. Der Mann ist ein Steher, und er kann einstecken. Das hat er über viele Jahren in unzähligen internen Kämpfen seiner CDU oft genug bewiesen. Er hat einen bemerkenswerten Weg vom rechten Rand bis tief in die Mitte hingelegt. Jetzt ist er an einem Punkt angelangt, an dem es für ihn nicht höher geht. Das weiß er selbst.

Na und? Es muss Wegner auch gar nicht stören. Er ist der Nutznießer eines Zusammenbruchs des rot-grün-roten Vorgängersenats. Sein haushoher Wahlsieg ist die  Konsequenz dessen blamablen Scheiterns. 

Deswegen wird es der neue Regierende Bürgermeister auch problemlos aushalten, dass er bei seiner ersten großen Parlamentsrede von Grünen und Linken selbst dann höhnisch ausgelacht wurde, als er sie zur Mitarbeit bei der Mammutaufgabe Verwaltungsreform einlud. Geschenkt!

Tatsächlich wäre es wohl auch ihm angenehmer gewesen, wenn alle applaudiert hätten. Doch sicher ist: Dieses Thema, das Funktionieren der Stadt, ist wichtiger als jede parlamentarische Spiegelfechterei. Berlin braucht dringend eine besser arbeitende Verwaltung. Auch für dieses Versprechen wurde Wegner gewählt. Wie übrigens zuvor auch Rot-Grün-Rot, eine Koalition, die an der Aufgabe zerbrochen ist. Beweis und Auslöser zugleich war das Versagen, eine verfassungskonforme Wahl zu gewährleisten.

Ist die CDU die Partei der Immobilienlobby?

Jeder neuen Regierung stehen 100 erste Tage zu. 100 Tage, in denen die Leitlinien und wichtigsten Projekte der nächsten dreieinhalb Jahre aufgezeigt werden. 100 Tage, in denen Schwarz-Rot sich sortieren kann. In denen, zum Beispiel, die SPD-geführte Innenverwaltung und die CDU-geführte Justizverwaltung eine gemeinsame Sprache für den Umgang mit den Klimaklebern finden müssen. Eine Sprache, die sich nicht von Populismus à la „kriminelle Vereinigung“ leiten lässt, sondern Gräben überwindet. Und nach diesen 100 Tagen sind auch die selbstgerechtesten Kritiker eingeladen, die Wegner-Koalition zu bewerten.

Viel länger als diese 100 Tage wird es für Wegner und seine CDU jedoch dauern, einen Geruch loszuwerden, der bei zu großer Nähe zur Immobilienlobby entsteht. Der Unternehmer Christoph Gröner überwies der damals oppositionellen Berliner CDU 820.000 Euro. Eine nie dagewesene, obszön hohe Summe. Zur freien Verfügung, wie es für eine Parteienspende unabdingbar wäre? Nein, wenn man Gröner selbst glaubt. Der schwadronierte zuerst von vermeintlichen Bedingungen, sei es in der Baupolitik, sei es beim Engagement für benachteiligte Kinder. Inzwischen ist er davon abgerückt.

Was stimmt also? Nun mag ein Immobilien-Multimillionär viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Diejenigen, die Gröner als Verhandlungspartner kennen, wissen, dass er gerne mit „der Politik“  Verabredungen trifft und seinen Part dabei stets einhält. Das Gleiche erwartet er von der anderen Seite.

Jetzt wird die Rechtmäßigkeit der Monster-Spende geprüft, am Ende dürften Gerichte entscheiden. Dabei ist die juristische Bewertung fast egal, wichtiger ist die politische Bewertung: Ist die CDU die Partei der Immobilienlobby? Was ist das Bekenntnis wert, Mieterpartei zu sein? Kehrt unter Schwarz-Rot der Berliner Baufilz zurück? Die Antworten können weder Kai Wegner noch seinen Partnern egal sein.