Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat am Montag eine grundsatzpolitische Rede an der Universität Heidelberg gehalten. Darin warb der Regierungschef für ein Europa der Nationalstaaten, verglich den Ukraine-Krieg mit Vietnam und forderte Deutschland indirekt auf, Entschädigung für den Zweiten Weltkrieg zu leisten.
Morawiecki gliederte seine Rede in vier Teile. Alle Punkte waren mit dem Oberthema „Rolle der Nationalstaaten“ verknüpft. Der polnische Regierungschef ging zunächst auf die Beziehung Deutschlands und Polens ein und referierte auf das Erbe des Zweiten Weltkriegs. „Als sich Westdeutschland normal entwickeln konnte, verlor Polen durch den Zweiten Weltkrieg 50 Jahre seiner Geschichte“, so Morawiecki.
Morawiecki: Nationalstaaten waren Grundlage für Schutz der Gesundheit
Er warf Deutschland vor, keine Entschädigung für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs geleistet zu haben. Des Weiteren verwies Morawiecki in diesem ersten Teil seiner Rede auf „die polnische Solidarität, den Krieg in Afghanistan, Papst Johannes Paul II. und die harte Haltung der USA in der Ära Reagan“, was zum Sturz des Kommunismus geführt hätte. Im Wesentlichen sei der Kampf der „versklavten Nationen“ genau der Kampf um die nationale Souveränität gewesen. Morawiecki führte im Anschluss auch die Corona-Pandemie als Beispiel an. „Effiziente Nationalstaaten“ seien hier die Grundlage zum Schutz der Gesundheit gewesen. Morawiecki betonte, die „Garanten“ für die Freiheit und Sicherheit der Nationen seien die Nationalstaaten.
Nach den Lektionen, die man aus der Geschichte ziehen solle, folgten Aussagen über den Ukraine-Krieg. Auch hier wieder war die Rolle der Nationalstaaten zentrales Augenmerk Morawieckis. „Der Kampf der Ukrainer für das Recht auf Selbstbestimmung ihrer nationalen Existenz ist eine weitere heroische Manifestation der Verteidigung des Nationalstaats, der Verteidigung der Freiheit“, so der Ministerpräsident. Und weiter: „Die Niederlage der Ukraine wird die Niederlage des Westens sein. Es wird eine Katastrophe für die ganze freie Welt sein. Größer als Vietnam.“
Morawiecki: „Putin ist nicht verrückt“
Überdies sprach Morawiecki in diesem Teil seiner Rede von einem „Wendepunkt“ in der europäischen Geschichte. Er verwies im Zuge dessen darauf, dass viele Politiker in Europa bis zum 24. Februar nicht daran geglaubt haben, dass Russland die Ukraine angreifen würde.
„Putin ist nicht verrückt, wie viele von denen, die seit 20 Jahren mit ihm Geschäfte machen, uns glauben machen wollen“, sagte Morawiecki in Heidelberg. Der russische Präsident habe dennoch den Fehler begangen, nicht zu erkennen, dass die Ukraine eine Nation ist.
Morawiecki forderte Europa dazu auf, Lektionen aus dem Krieg in der Ukraine zu ziehen, und machte einzelnen Staaten einen weiteren Vorwurf: „Diejenigen, die über viele Jahre Russlands Kriegsvorbereitungen finanziert, Europa entwaffnet und Schwächeren die Partnerschaft mit Russland aufgezwungen haben, tragen politische Mitverantwortung für den Krieg.“ Putin habe sich wie ein „Dealer“ benommen, „der die erste Dosis umsonst gibt, weil er weiß, dass der Süchtige zurückkommt und später jedem Preis zustimmt“. Morawiecki nannte Deutschland explizit nicht.
Regierungschef von Polen warnt vor „Superstaat“
Den dritten Teil seiner Rede widmete Morawiecki der Frage: Was sind die europäischen Werte heute? Der polnische Ministerpräsident sagte: „Andere mit der Peitsche der ‚europäischen Werte‘ zu schlagen, ohne sich auf deren Definition zu einigen und ohne zu verstehen, welches Land welche Veränderungen braucht,“ sei selbstzerstörerisch für die Europäische Union.
Überdies warnte Morawiecki hier vor einem „Superstaat“, der von einer „kleinen Elite“ geführt werde. Der polnische Ministerpräsident äußerte zudem den Wunsch, eine ähnliche „Sensibilität“ bei den Beweggründen Warschaus an den Tag zu legen, wie Paris und Berlin dies miteinander täten.
Morawiecki formulierte hier erneut einen Vorwurf. Für die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge habe Polen nur „minimale Hilfe“ erhalten. „Und in diesem Zusammenhang sehen wir eine unterschiedliche Behandlung von Ländern in denselben Situationen, und das ist die Definition von Diskriminierung“, so Morawiecki.
Im vierten und letzten Teil seiner Rede sprach sich der polnische Ministerpräsident für eine EU-Erweiterung aus. Durch einen „seltsamen Zufall“ seien oft diejenigen Länder, die sich proeuropäisch präsentierten, gleichzeitig die „skeptischsten“ Staaten gegenüber einer EU-Erweiterungspolitik.





