Die chinesische Regierung hat ein Positionspapier zu einer Friedenslösung für die Ukraine ausgearbeitet. Staatschef Xi Jinping ist für drei Tage nach Moskau gereist, um mit Wladimir Putin über einen Waffenstillstand zu diskutieren. Über die Chancen und Hintergründe der chinesischen Initiative sprachen wir mit dem China-Experten Frank Sieren in Peking.
Der chinesische Präsident Xi Jinping ist in Moskau, um über eine Friedenslösung für die Ukraine zu verhandeln. Er ist nicht der Erste, der es versucht hat. Israel und die Türkei sind mit dem Vorhaben bislang gescheitert. Warum ist China der erfolgversprechendere Akteur?
Vielleicht gerade aus den Gründen, die an China kritisiert werden. Die chinesische Regierung unterhält enge Beziehungen zu Russland. Die beiden Staaten haben eine 4200 Kilometer lange gemeinsame Grenze, und China hat nicht mit Russland gebrochen. Damit hat Xi die Möglichkeit, die bestehende Partnerschaft in die Waagschale zu werfen. Aus dieser Position heraus kann China Druck auf Russland ausüben.
Putin hat bei seinem gegenwärtigen Besuch von „meinem lieben Freund“ gesprochen. Er hat deutlich gemacht, dass man „das Vertrauensverhältnis verbessern“ müsse, und betont: „China und Russland verpflichten sich, das internationale System in den UN im Zentrum zu schützen.“ Kürzlich haben die UN den Angriffskrieg Putins verurteilt. Das sind klare Signale. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua meldet: Russland habe Chinas Positionspapier „sorgfältig studiert“, sei „offen für Friedensverhandlungen“ und begrüße „Chinas konstruktive Rolle dabei“. Das ist ein Anfang.
Welche Absichten stehen hinter der chinesischen Friedensinitiative? Peking wird nicht allein aus altruistischen Motiven handeln, oder?
Nein, niemand handelt aus altruistischen Motiven, sondern alle verfolgen Interessen und wollen diese auch durchsetzen. China hat weder ein Interesse daran, dass die Ukraine ein Nato-Mitglied wird, noch dass Russland die Ukraine kontrolliert. Peking will eigene Beziehungen zu einer unabhängigen souveränen Ukraine haben.
Traditionell sind die wirtschaftlichen Beziehungen zu beiden Ländern stark ausgeprägt: Die Ukraine hat etwa die Hälfte der chinesischen Getreideimporte geliefert. Der zweitgrößte Lieferant sind übrigens die USA. China hat sehr viele militärische Güter aus der Ukraine bezogen, darunter auch ihren ersten Flugzeugträger. Und der Ukraine-Krieg lenkt den Blick auf die Taiwanfrage, was Peking nicht gefällt. Ohne den Ukraine-Krieg wäre Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger heute wohl kaum nach Taiwan aufgebrochen.
Kaum war der chinesische Friedensplan für die Ukraine veröffentlicht, haben die USA China vorgeworfen, Peking wolle Waffen an Russland liefern. Halten Sie es für plausibel, dass China Russland militärisch unterstützt?
Ich weiß es nicht. Es gibt allerdings eine klare Aussage des amerikanischen Präsidenten Joe Biden, dass er keine Kenntnis von Waffenlieferungen hat. Bis auf das Statement von US-Außenminister Antony Blinken sind mir keine offiziellen Äußerungen bekannt. Es bleibt also erst mal nur ein Gerücht.
In den USA nimmt gerade eine Bankenkrise an Fahrt auf. Ist der Zeitpunkt der chinesischen Initiative gut gewählt, da die Vereinigten Staaten wirtschaftlich angeschlagen sind?
Die Finanzkrise zeigt natürlich, dass die Wirtschaft in den USA und in Europa stärker getroffen ist als in China. Obwohl die Volksrepublik ein schlechtes Jahr hinter sich hat, ist die Inflation niedrig geblieben, die Devisenreserven sind hoch, die Auslandsverschuldung ist gering. Was diese Finanzkrise unter Umständen bewirken kann, ist, dass in den USA die Sorge darüber wächst, dass die Kosten des Ukraine-Krieges zu hoch werden. Es rumort schon in der amerikanischen Bevölkerung.

Sollte der Westen nicht auf die chinesische Friedensinitiative eingehen, könnte Peking seine wirtschaftlichen Interessen in die Waagschale werfen. Halten Sie es für realistisch, dass China etwa mit einer Abschottung seines großen Marktes drohen wird?
Wichtiger sind gegenwärtig die engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland als ein Instrument, um Moskau zu Zugeständnissen zu bewegen. Wir reden aber immer nur über China. Tatsächlich arbeiten die großen aufsteigenden Schwellenländer Brasilien, Indien und Südafrika in dieser Frage Hand in Hand. Das hat man beim letzten G20-Gipfel klar gesehen.
Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass China isoliert handelt. Ein großer Unterschied zum Westen: Die BRICS-Staaten machen den Rückzug Russlands aus der Ukraine nicht zur Vorbedingung für Friedensverhandlungen. Sie fordern einen sofortigen Waffenstillstand, Verhandlungen ohne Vorbedingungen. Es wird sehr spannend zu sehen, welche der beiden Strategien sich am Ende durchsetzt.
Wie soll ein Frieden in der Ukraine aussehen, ohne dass die russische Armee das Land verlässt? Gehen Sie davon aus, dass es am Ende neutrale Gebiete in der Ukraine geben wird?
Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten. Zuerst müssen sich Kiew und Moskau auf einen Waffenstillstand verständigen, und auch die Amerikaner und die anderen Nato-Länder müssen diesen Waffenstillstand wollen, dann kann über Details verhandelt werden.
Gleichzeitig sollte der Westen den militärischen Druck aufrechterhalten, weil es sonst keinen Grund gibt, zu verhandeln. Das Vorgehen ist nicht neu. Auch beim Nato-Doppelbeschluss in den 80er-Jahren wurde nachgerüstet und gleichzeitig verhandelt. Damals gab es zwar keinen heißen, aber einen kalten Krieg mit großem Bedrohungspotenzial. Aber es war eine ähnliche Situation.
Von der Bundesregierung sind bislang keine Friedensinitiativen gestartet worden. Stattdessen verschärft sie gerade jetzt den Ton gegenüber Peking, indem sie durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Taiwan die Ein-China-Politik infrage stellt. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat angekündigt, nach Taiwan zu reisen. Halten Sie das angesichts der politischen Lage für ein weiteres Zündeln am Pulverfass?
Zunächst einmal möchte ich widersprechen. Ich würde nicht sagen, dass von der Bundesregierung keine Verhandlungsinitiativen ausgehen. Bundeskanzler Olaf Scholz ist in den letzten Monaten in China, in Brasilien und in Indien gewesen. Er war zu einem Kurzbesuch bei US-Präsident Joe Biden. Es ist eine ganze Menge in Bewegung, glaube ich. Wahrscheinlich ist es auch klug, nicht zu früh mit Positionen und Ergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern erst einmal auf stille Diplomatie zu setzen.
Was Taiwan betrifft, trägt das gegenwärtige Vorgehen der Bundesregierung sicherlich nicht dazu bei, dass sich der Friedensprozess in der Ukraine reibungsloser vollzieht. Der Zeitpunkt der Reise erscheint mir nicht günstig. Da hätte man auch noch warten können. Denn klar ist, die Reise hilft nicht, unser derzeit größtes Problem zu lösen: Wie schaffen wir es, nach dem von Putin angezettelten Krieg in der Ukraine wieder Frieden zu bekommen?






