„Vertrauen sie der Wissenschaft!“ – diesen Spruch kann man immer wieder hören. Ob es nun um die Corona-Pandemie, den Klimawandel oder die Energiekrise geht. Doch was bedeutet der Begriff Vertrauen? Unter welchen Bedingungen gilt er? Und muss man ihn nicht auch kritisch sehen?
Zunächst einmal: Wissenschaft kann sich irren. Ja, sie muss sich irren. Denn nur über diesen Weg kommt sie zu neuen Erkenntnissen. „Nur wer nicht sucht, ist vor Irrtum sicher“, sagte Albert Einstein einmal. Und in der Corona-Pandemie konnte man mitverfolgen, wie sich Aussagen veränderten: etwa zur Infektionssterblichkeit, zur Hintergrundimmunität, zur Wirkung von Masken, zur Ausbreitung des Virus.
Erst im Laufe der Pandemie wurden viele wichtige Erkenntnisse gewonnen, zum Beispiel zu Long Covid nach der Corona-Erkrankung oder zum Post-Vac-Syndrom als mögliche Impffolge. Woran machte es sich also fest, dass man „der Wissenschaft“ vertrauen soll, wenn sie doch selbst im Fluss ist und offenbar viele Gefahren gar nicht vorhersagen kann? Und sollte die Politik überhaupt an Menschen appellieren, bestimmten wissenschaftlichen Aussagen zu vertrauen?
Politik sieht sich als Vollstreckerin einer wissenschaftlichen Wahrheit
Von einer „Epistemisierung des Politischen“ spricht der deutsche Soziologe Alexander Bogner in einem 2021 erschienenen Buch. „Episteme“ (griechisch) bedeutet Erkenntnis, Wissen, Wissenschaft. Gemeint ist, dass sich Politik immer mehr als Vollstreckerin einer wissenschaftlichen Wahrheit verstehe, ob in der Pandemie, im Klimawandel oder anderen Bereichen.
Und so etwas berge Gefahren für die Demokratie, heißt es in dem Buch. Denn es verleite manchen dazu, Kritiker politischer Maßnahmen als „wissenschaftsfeindlich“ oder Vertreter „alternativer Fakten“ darzustellen, auch wenn die Maßnahmen oft gar nichts mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun haben.
Gewiss gab es in der Corona-Pandemie auch viele Leute, die die Existenz eines pandemischen Virus und eine weltweite Bedrohung generell leugneten. Das widersprach dem Konsens jener Experten, die sich weltweit mit Viren und ihrer Ausbreitung befassen. Man musste mit Argumenten gegenhalten, soweit dies überhaupt ging. Aber nicht jeder Gegner von Maßnahmen oder Impfkritiker war „wissenschaftsfeindlich“ oder gar ein „Schwurbler“. Misstrauen und Zweifel an politischen Entscheidungen gehören zur Demokratie.
Ein zu kleiner Kreis von Vertrauten verengte die Diskussion
Denn auch viele Maßnahmen in der Pandemie beruhten nicht auf belastbaren wissenschaftlichen Daten, was schon früh kritisiert wurde. Viele Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen wurden auch nicht von der Politik gehört, obwohl immer wieder gefordert wurde, dass der Beraterkreis wesentlich größer und vielfältiger sein müsse. Denn die Pandemie sei ein gesamtgesellschaftliches Geschehen.
Stattdessen sei Kanzlerin Merkel „fast blind dem Rat weniger Wissenschaftler und Experten“ gefolgt, „die kurz darauf auch als Helden der Öffentlichkeit die Medien dominierten“, heißt es in einem Artikel auf dem Wissenschaftsportal Spektrum.de. Es war offenbar der Kreis, dem sie selbst vertraute, weil er aus den wichtigsten Bereichen kam, die direkt mit dem Virus zu tun hatten: dem Robert Koch-Institut (RKI), der Virologie, der Epidemiologie, der System-Immunologie und anderen. Wem sollte sie in der Anfangsphase auch sonst am meisten vertrauen? Im Laufe der Pandemie aber hätte man den Kreis öffnen müssen.
„Vertrauen ist eine wichtige Größe im Krisenmanagement und wenn das Vertrauen nicht mehr existiert, wird es schwierig, die Maßnahmen umzusetzen“, begründete bereits 2020 die Psychologin und Autorin Pia Lamberty in einem Interview. In diesem Zusammenhang verweisen Kritiker heute darauf, dass das Vertrauen in der Pandemie gezielt gefördert wurde. Und zwar unter anderem mit psychologischen Mitteln.
Psychologische Mittel, um das Vertrauen in der Pandemie zu fördern
Verwiesen wird etwa auf ein Tool (Instrumente) „zur schnellen, flexiblen und kostengünstigen Überwachung des öffentlichen Wissens, der Risikowahrnehmung, des Verhaltens und des Vertrauens“, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Ländern der europäischen Region zur Bewältigung der Corona-Pandemie bereitgestellt hatte. Die Erklärung der WHO dazu ist im Internet zu finden.
Auch ein Konzeptpapier, das der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (PDP) zusammen mit anderen Fachverbänden im Juni 2020 verabschiedete, wird herangezogen. In diesem Papier wurden Psychologen aufgefordert, ihr Wissen über die menschliche Psyche zu nutzen, um „Vertrauen in Institutionen“ zu fördern und die Akzeptanz für Lockdowns und andere Maßnahmen zu steigern.
Psychologen hätten sich auch gezielt damit befasst, wie man das Vertrauen in die Impfbereitschaft fördern könne, heißt es in einem Artikel des Online-Magazins Multipolar. Als Grundlage dafür wird zum Beispiel die Studie „Nutzung von Verhaltenserkenntnissen zur Steigerung der Wirksamkeit der Impfpolitik“ genannt, die eine Forschergruppe um die Psychologin Cornelia Betsch von der Universität Erfurt bereits 2015 veröffentlichte. Die Studie befasste sich damit, wie man mit Impfskeptikern umgehen sollte.
In Krisenzeiten braucht es durchaus ein gewisses Vertrauen in Experten
2021 folgte eine weitere Publikation aus der Uni Erfurt. In der Studie „Reaktanz der Impfpolitik“ ging es um die Förderung einer breiten Akzeptanz der Impfungen. Reaktanz bedeutet Widerstand. Das Vertrauen in die Impfstoffe sollte durch eine „Kommunikation der Sicherheit und des Nutzens“ gefördert werden. Neben Informationskampagnen und finanziellen Anreizen waren auch „Nudges“ im Gespräch. Solche kleinen „Anstupser“ waren zum Beispiel die Gratis-Bratwürste, Fußballtickets und Geldprämien, die man in manchen Regionen zur Impfung bekam. Die Erfurter Psychologieprofessorin Cornelia Betsch gehörte zum Beraterkreis von Angela Merkel.
Von „Vertrauens-Propaganda“ sprechen Kritiker im Zusammenhang mit der politischen Kommunikation in der Corona-Zeit. Aber braucht es nicht auch ein gewisses Vertrauen in Krisenzeiten? Ist der einzelne Bürger nicht überfordert, wenn er selbst einschätzen soll, was richtig ist und was nicht? Man ist ja selbst kein Experte und sollte sich auf Aussagen von Experten verlassen können.
Dass viele Menschen Wissenschaft und Forschung durchaus vertrauen, zeigt das regelmäßig veröffentlichte „Wissenschaftsbarometer“ der Organisation Wissenschaft im Dialog, die im Jahre 2000 von den führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen gegründet worden war, um die Wissenschaftskommunikation zu fördern. So hieß es zum Beispiel im „Wissenschaftsbarometer 2022“, dass 62 Prozent der Befragten Wissenschaft und Forschung „eher“ oder „voll und ganz“ vertrauen.
Es gibt auch viele Gründe, Wissenschaftlern zu misstrauen
Je jünger die Befragten sind und je höher ihr Bildungsabschluss ist, desto höher das Vertrauen. Als Gründe wurden genannt: weil Wissenschaftler „Experten auf ihrem Forschungsfeld sind“ (67 Prozent der Befragten stimmten dem zu), „weil sie nach Regeln und Standards arbeiten“ (60 Prozent), „weil sie im Interesse der Öffentlichkeit forschen“ (49 Prozent).
Die Umfrage zeigte aber auch, dass immerhin acht Prozent der Befragten der Wissenschaft und Forschung „nicht“ oder „eher nicht“ vertrauten – und 29 Prozent „unentschieden“ sind. Viele davon sind gewiss keine „Schwurbler“. Denn es gibt genügend sachliche Gründe, Wissenschaftlern auch zu misstrauen. Das „Wissenschaftsbarometer 2022“ führte zum Beispiel auf: „weil Wissenschaftler stark abhängig von ihren Geldgebern sind“, „weil Wissenschaftler oft Ergebnisse ihren eigenen Erwartungen anpassen“, „weil Wissenschaftler häufig Fehler machen“.
Man denke an Studien der Corona-Pandemie, die auf der Grundlage eines bestimmten Drucks entstanden, unbedingt Ergebnisse zu erzielen – und möglichst in eine bestimmte Richtung. Man denke auch an die Plagiats-Fälle der letzten Jahre. Man denke an Meldungen über Laborversuche, bei denen Forscher ethische Grenzen überschreiten, etwa in gentechnischen Experimenten an menschlichen Keimbahnen und an pandemischen Viren (Gain-of-Function-Forschung), unter anderem in den USA und China.
Berliner Bürgerdialog fragte: „(Warum) vertrauen Sie der Wissenschaft?“
Es sollte also darum gehen, kein „blindes“ Vertrauen zu fördern, Bürger nicht zu entmündigen, indem man ihnen vorsetzt, was „richtig“ und was „falsch“ ist, sondern einen kritischen Umgang mit Wissenschaft zu fördern. Doch wie ist so etwas zu erreichen?
Um diese Frage ging es unter anderem im Juni bei einem Berliner Bürgerdialog, zu dem die Organisation Wissenschaft im Dialog eingeladen hatte. Die Veranstaltung unter dem Titel „(Warum) vertrauen Sie der Wissenschaft?“ fand in Berlin-Kreuzberg statt, als Teil eines großen Forschungsprojekts namens Poiesis.
In sieben europäischen Ländern wollen Forscher herausfinden, was genau für Menschen Vertrauen in die Wissenschaft bedeutet. Bürgerdialoge finden dazu in Athen, Aarhus, Lissabon, Berlin, London, Paris und Valencia statt. Am Ende soll der EU-Kommission ein Bericht vorgelegt werden – mit Empfehlungen an Politik und Wissenschaft zum Thema Vertrauen.
Im Mittelpunkt kann nur ein „informiertes Vertrauen“ stehen
Man kann nur hoffen, dass dabei auch Schlüsse einer demokratischen Auseinandersetzung mit Wissenschaft gezogen werden. Denn wie der Bürgerdialog und auch Umfragen zeigen, sind viele Menschen interessiert an einer offenen Wissenschaftsdebatte, in der Forschung auch kritisch betrachtet wird.
Die Teilnehmer des Dialogs diskutierten in kleinen Gruppen anhand von Beispielen, was das Vertrauen fördern kann und was eher Mistrauen auslöst. Dabei zeigte sich, dass sehr viel von der Kommunikation und dem Verhalten der Wissenschaftler selbst abhängt, aber auch davon, wie gründlich und kritisch über Wissenschaft berichtet wird. Ebenso davon, ob Bürger selbst an Forschung beteiligt werden, zum Beispiel im Rahmen von Citizen-Science-Projekten.
Nicht ein durch politische Appelle eingefordertes Vertrauen und Verhalten sollten im Mittelpunkt stehen, sondern „informiertes Vertrauen“, wie er etwa beim Berliner Bürgerdialog zur Sprache kam. Geprägt hat diesen Begriff Rainer Bromme, Seniorprofessor für Pädagogische Psychologie an Universität Münster, der viel zum Thema Vertrauen in Wissenschaft forschte.
Nicht einfach allem glauben, auf dem „Wissenschaft“ steht
Beim „informierten Vertrauen“ geht es etwa darum, dass man nicht einfach allen Aussagen, auf denen das Label „Wissenschaft“ steht, vertraut – ob sie nun von Politikern, sozialen Medien und Instituten selbst verbreitet werden. Nur, wer sich bemüht, den Prozess von Wissenschaft zu verstehen, kann ein wirklich mit Wissen unterfüttertes Vertrauen gewinnen, statt den Informationen aus zweiter Hand zu glauben.
Man muss schauen: Wer ist wirklich Experte auf einem bestimmten Feld – und wer nicht? Welche Studien stecken konkret hinter bestimmten Aussagen? Wo wurden sie veröffentlicht? Wurden sie von Fachleuten begutachtet, die nicht beteiligt waren (Peer-Revier-Verfahren)? Sind die Ergebnisse wirklich belastbar? Gibt es kritische Kommentare dazu? Werden die genutzten Methoden ausführlich dargestellt? Sind Datensätze im Rahmen von Open Science öffentlich zugänglich?
Da aber nicht jeder Bürger selbst Zeit und Kenntnisse hat, Informationen dazu einzuholen, braucht es die Wissenschaftskommunikation. Viele Sendungen, Artikel und auch so mancher Podcast haben in der Corona-Pandemie den Prozess der Wissenschaft sichtbar gemacht. Zum Beispiel konnte man im NDR-Podcast „Coronavirus-Update“ – unter anderem mit dem Berliner Virologen Christian Drosten – in gut 140 Folgen nachvollziehen, wie sich Wissenschaftler in der Welt immer wieder irrten, korrigierten, neue Erkenntnisse gewannen, neue Empfehlungen aussprachen.
Politik und Wissenschaft müssen voneinander getrennte Sphären sein
Es ging darum, was an Empfehlungen „evidenzbasiert“ war und was nicht, wie der Prozess der Qualitätssicherung funktionierte und wo es Unsicherheiten und Zweifel gab. Das „Vertrauen in die Wissenschaft“ bezieht sich am Ende vor allem auf eine Sache: nämlich, dass Wissenschaft als Prozess funktioniert, wenn man bestimmte Regeln einhält, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Beispiel in ihren „Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ festgeschrieben hat.
Bei allem müsse darauf geachtet werden, „dass Politik und Wissenschaft voneinander getrennte Sphären sind“, schreibt der Soziologe Alexander Bogner in seinem bereits erwähnten Buch „Epistemisierung des Politischen“. „So wenig sich wissenschaftliche Wahrheit nach der Mehrheitsmeinung richtet, so wenig ist die Aufgabe von Politik, die Wahrheit zu vollstrecken.“










