Am 1. Dezember 2020 endete in Deutschland die Ära der Briefmarke. Niemand braucht seitdem noch eine Marke, um einen Brief zu versenden. Doch das wissen die allerwenigsten.
Es ist sowieso selten geworden, dass Menschen einander Briefe schreiben. Zu Weihnachten, zum Geburtstag, als Beileidsbekundung kommt es noch vor. Doch wenn man ausnahmsweise einen Brief versenden will, greifen fast alle wie vor 100 Jahren zur Briefmarke. Ob sie von der Postfiliale kommt, vom Kiosk, aus dem Markenautomat oder aus dem Drucker zu Hause: Die meisten Absender denken, in die obere rechte Ecke gehört etwas geklebt.
Doch das stimmt nicht. Wer einen Brief frankieren will, benötigt heute nur noch einen Internetzugang und einen Stift. Online kauft der Absender sich die sogenannte mobile Briefmarke. Mit dem Stift schreibt er einen Zahlencode auf den Umschlag. So kann der Brief in den Briefkasten.
Wie funktioniert die mobile Briefmarke eigentlich?
In der App der Deutschen Post ersteht der Kunde einen achtstelligen Zeichencode. Um den Brief final zu frankieren, muss der Absender nur noch mit einem Stift zuerst #PORTO und dahinter den Code auf den Brief schreiben. Also unkompliziert und wie der Name sagt, mobil.
Eingeführt wurde die mobile Briefmarke im Dezember 2020 von der Deutschen Post, also mitten in der Pandemie. „Wir wollten ein besseres Produkt für unsere Kunden zum Zwecke der ‚Ad-hoc-Frankierung‘ schaffen“, sagt Alexander Edenhofer, Pressesprecher bei der Deutschen Post DHL Group. Das Vorgänger-Produkt, Handyporto, sei nicht überzeugend genug gewesen. Seit 2008 konnte per SMS ein zwölfstelliger Code angefordert und per Mobilfunkrechnung bezahlt werden. Dabei fielen je nach Mobilfunkanbieter jedoch mehr Kosten als bei der klassischen Briefmarke an.
Laut der Deutschen Post soll die mobile Briefmarke die klassische Briefmarke aber überraschenderweise keinesfalls ablösen. Sie soll lediglich als Sonderoption der Frankierung dienen, sozusagen als Ausnahme, falls keine Papierbriefmarke vorhanden ist. „Herkömmliche Briefmarken sind sehr beliebt, sie sind Kulturgut und werden das auch bleiben“, sagt der Pressesprecher der Post. Das digitale Produkt sei zum sofortigen Gebrauch bzw. Schreibanlass gedacht und verliere nach einer 14-tägigen Frist seine Gültigkeit.

Seit Einführung habe die Deutsche Post circa 24 Millionen mobile Briefmarken verkauft. Für ein „Nischen-Produkt“ ist die Kundennutzung damit laut der Post vergleichsweise hoch. Die mobile Briefmarke werde zudem wesentlich häufiger genutzt als das Handyporto. Durch die einfache Nutzung in der App und den leichten Bezahlvorgang sei sie kundenfreundlicher. Laut der Deutschen Post ist die mobile Briefmarke bei den Kunden bekannt. Um sie noch bekannter zu machen, werde das Produkt regelmäßig über Social Media und eigene Newsletter promotet.
Fehlende Akzeptanz bei Briefmarkensammlern
Doch was sagen eigentlich Menschen dazu, die Briefmarken nicht zum Frankieren nutzen, sondern sammeln? Sehen auch sie mit der Einführung, das Ende der Marke gekommen und den Sinn ihrer Leidenschaft verloren? „Dass wir Philatelisten den technischen Fortschritt bei der Deutschen Post/DHL nicht aufhalten wollen und können, ist selbstverständlich“, sagt Franz-Josef Pütz, Vorsitzender des Briefmarkenvereins Berliner Bär und Mitglied in 16 weiteren Briefmarkensammler-Vereinen.
Dennoch seien die Umschläge mit dem handschriftlichen Portovermerk kein Äquivalent zu einer Postsendung, die mit einer Sonderbriefmarke frankiert wird – allein schon, weil es optisch viel ansprechender sei. Sonderbriefmarken sind Briefmarken mit limitierten Auflagen, die von der Post herausgegeben werden. Für Pütz ist der Begriff „mobile Briefmarke“ ein aus Marketinggründen gewähltes, jedoch falsches Etikett des Monopol-Unternehmens.
„Natürlich ist eine Briefmarke in erster Linie nur ein Gebührenzettel für die gewünschte Beförderungsleistung“, sagt Pütz. Sie sei aber auch ein Botschafter unseres Landes. Man könne daran erkennen, welchen Anlass das Herausgeberland würdigen möchte. Das Layout der Marke verrate, wie die Würdigung umgesetzt wird, und der Zeitpunkt der Herausgabe, ob es sich um einen nationalen Gedenktag oder den Geburtstag einer berühmten Persönlichkeit handelt. Die Gestaltung der Briefmarke obliegt dem Bundesminister der Finanzen. Er entscheidet aber nicht allein. Zwei Gremien, Programmbeirat und Kunstbeirat, unterstützen ihn bei der inhaltlichen und grafischen Auswahl neuer Briefmarken. Jede einzelne Marke ist laut Finanzministerium „ein kleines Kunstwerk“.
Werden uns diese Kunstwerke erhalten bleiben? Der Vizepräsident des Berliner Philatelisten-Klubs von 1888, Wolfgang Bauer, ist der Meinung, dass man in Kürze der digitalen Marke gar nicht mehr entkommen kann. Wobei es für den 84-Jährigen beim Sammeln schon immer um mehr ging. Die intensive Literaturrecherche nach guten Marken habe bereits in seiner Kindheit zu einem enormen, vor allem geografischen Wissen beigetragen und den Horizont erweitert. Bereits sein Urgroßvater hat Papiermarken gesammelt und seine Leidenschaft auf die jüngeren Familienmitglieder übertragen.
Koexistenz ist nicht ausgeschlossen
Und nicht nur die Briefmarke modernisiert sich – auch das Sammeln wird einfacher. Egal, ob in Australien, Amerika oder Europa: Online kann an jeder Auktion teilgenommen, Briefmarken können problemlos bestellt werden. Warum sich dann nicht auf die moderne Briefmarke einlassen? Weiterhin ist ja beides möglich, mobile und klassische Marke. Die mobile Marke macht nur vieles einfacher. Einen Brief noch am selben Abend abschicken und das, ohne ewig Schlange bei einer der wenigen Postfilialen zu stehen oder einen Tabakladen zu finden, der noch Briefmarken verkauft. Das kann letztlich auch dazu führen, dass wieder mehr Briefe geschrieben werden.
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