Geopolitik

Merkel besucht Putin: Abschied im Permafrost

Am Freitag reist Bundeskanzlerin Merkel nach Moskau. Das deutsch-russische Verhältnis bleibt kühl.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wladimir Putin, Präsident von Russland, im Januar 2020 in Moskau.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wladimir Putin, Präsident von Russland, im Januar 2020 in Moskau.dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unternimmt eine ihrer letzten Reisen nach Russland: Am Freitag wird Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammentreffen. Im Anschluss reist Merkel nach Kiew, wo sie den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky treffen wird.

Die Wahl der Besuchstermine sei mit Bedacht gewählt, sagte der Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Roderich Kiesewetter (CDU) der Berliner Zeitung: „Ich sehe es als bewusstes Signal, dass die Bundeskanzlerin ihre letzte Amtsreise nach Russland mit einem Aufenthalt in Kiew verbindet.“ Die deutschen Erwartungen an Russland hätten sich nicht geändert: „Putin weiß, dass wir nicht aufhören werden, einzufordern, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Unterstützung der separatistischen Kräfte in der Ostukraine zu beenden.“

In diesem Zusammenhang wird nach Einschätzung von diplomatischen Beobachtern auch die Pipeline Nord Stream 2 eine Rolle spielen. Der russische Außenminister Lawrow hatte unmittelbar vor dem Merkel-Besuch die EU-Kommission attackiert und Brüssel vorgeworfen, Nord Stream 2 über die rückwirkende Anwendung des Dritten Energiepakets in die Unwirtschaftlichkeit treiben zu wollen.

Nachdem US-Präsident Joe Biden seinen Widerstand gegen die Fertigstellung des Baus der Pipeline aufgegeben hat, verlangt die Ukraine Zusicherungen, dass ihr aus der Pipeline keine sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Nachteile erwachsen. Nachdem Merkel und Putin in dieser Frage dieselben Ziele verfolgen, ist zu erwarten, dass in Moskau auch über Garantien für die Ukraine gesprochen wird.

Im Zentrum des Besuchs dürfte die aktuelle Entwicklung in Afghanistan stehen. Außenminister Lawrow sagte am Donnerstag laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, dass die Kämpfe in Afghanistan offenkundig noch nicht beendet seien. Moskau habe Berichte über Kampfhandlungen in einigen Regionen. Daher wiederholte Lawrow seinen Aufruf zu einem „nationalen Dialog“, um eine Lösung für das Land herbeizuführen, an der alle politischen Kräfte beteiligt werden sollten.

Die Taliban sind in Russland verboten und werden seit 2003 als terroristische Organisation geführt. Russland hatte zuvor signalisiert, dass man auch mit den Taliban das Gespräch suchen werde. Anders als viele westliche Staaten hat Russland seine Botschaft in Kabul nicht geschlossen und hält den konsularischen Dienst weiterhin aufrecht.

Neue Positionierungen gegenüber den Taliban

Roderich Kiesewetter zur Rolle Russlands am Hindukusch: „Auch die russische Regierung wird die neuen Entwicklungen genau beobachten und ihre Schlüsse daraus ziehen.“ Russland habe „in den vergangenen Jahrzehnten eigene Erfahrungen mit dem islamistischen Terrorismus gesammelt und kein Interesse daran, dass Afghanistan wieder zum Rückzugsort und Hort von Instabilität wird“. Zudem habe Russland „enge Verbindungen zu den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken wie Usbekistan und Tadschikistan, die wir als unmittelbare Nachbarn zur Krisenbewältigung brauchen werden“.

Kiesewetter beobachtet allerdings auch eine neue Positionierung der eurasischen Staaten gegenüber den Taliban. Man beobachte, dass „Russland und auch China schon länger enge Kontakte zu den Taliban pflegen und nun alles daran setzen, das Narrativ des untergehenden Westens zu füttern“. Kiesewetter: „Aus ihrer Sicht sollten die Taliban für Stabilität sorgen, aber nicht so erfolgreich sein, dass sie zum Vorbild für Islamisten mit russischer Staatsbürgerschaft werden.“ Die Interessenslage sei „widersprüchlich“: „Umso mehr müssen wir uns um engen Austausch bemühen, um Schlimmeres zu verhindern.“

Der Besuch findet am ersten Jahrestag des mutmaßlichen Giftanschlags auf den russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny statt. Der „ungelöste Fall“ belaste das deutsch-russische Verhältnis schwer, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Die Forderungen der Bundesregierung nach Aufklärung der Hintergründe und Bestrafung der Verantwortlich stünden „weiter im Raum“.

Roderich Kiesewetter: „Der Termin ihres Moskaubesuchs am Jahrestag der Vergiftung Nawalnys ist sicherlich nicht zufällig gewählt.“ Der Fall habe „die Beziehungen zu Russland erschüttert“. Merkel habe „damals ungewöhnlich deutliche Worte gefunden, in denen sie den Vorfall als Verbrechen verurteilte“. Die Reise am Jahrestag der Vergiftung Nawalnys bekräftige „deshalb die Forderung der Bundesregierung nach umgehender Freilassung aus der unrechtmäßigen Internierung und umfassender Aufklärung der Tathintergründe“.