Berliner Pannenwahl

Nachwahl-Wirrwarr in Berlin: Karlsruhe, übernehmen Sie!

Für Berlin soll komplett wiedergewählt werden, für die Bundestagswahl nur in einem Siebtel der Wahllokale? Bizarr! Das Bundesverfassungsgericht muss eingreifen.

Wahlen in Berlin
Wahlen in Berlinimago/Emmanuele Contini

Noch mal zum Nachdenken, ja, vielleicht zum Verstehen: Die Pannen bei den Berlin-Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vor einem Jahr waren so gravierend, dass die Wahlen komplett wiederholt werden müssen. Sagt der Berliner Verfassungsgerichtshof. Schon die Fehler bei der Planung seien so massiv und verwerflich gewesen, dass alles wiederholt werden müsse. Große Worte.

Dass rund 1,8 Millionen Menschen ihre Stimmen abgeben konnten und möglicherweise 10.000 nicht, ändere nichts daran: „Nur eine vollständige Wiederholung der Wahl kann einen verfassungskonformen Zustand herbeiführen“, sagt die Gerichtspräsidentin. Erst- und Zweitstimmen sowie die Wahlen zu den Bezirksparlamenten – überall in der Stadt.

Nun ist das sicher eine strenge Auslegung der Wirklichkeit und klingt sehr nach einer Strafmaßnahme für eine schlampige Stadtverwaltung, aber okay! Das Gericht hat bisher nur „eine vorläufige Einschätzung“ abgegeben. Aber gesagt ist gesagt. Eine Entscheidung soll voraussichtlich im Dezember fallen, im März könnte es zur Wahlwiederholung kommen.

Dabei hätte zuvorderst die Berliner SPD eine Menge – wenn nicht alles – zu verlieren. Ihr hängt nach, dass sie vor einem Jahr via Senatsinnenverwaltung die Rechtsaufsicht über die Wahlen hatte. In aktuellen Umfragen stehen die Sozialdemokraten derzeit nur auf Platz drei. Dennoch will die SPD, wie alle in der Berliner Politik, die Entscheidung akzeptieren und sich in ihr Schicksal fügen. Politisch-juristisches Geschacher welcher Art auch immer ließe sich auch kaum mehr verkaufen.

Doch was passiert mit der Bundestagswahl? Bekanntlich konnten am selben Wahltag zur selben Zeit – bis auf einige Ausnahmen – dieselben Wahlberechtigten in denselben 2250 Berliner Wahllokalen auch zwei Stimmen für den Bundestag abgeben. Auch dabei es gab es ein Potpourri aus Pleiten, Pech und Pannen. Die Konsequenzen sollen aber nun ganz andere sein. Das liegt auch an der Verfassung.

Im Bund entscheidet grundsätzlich der Bundestag darüber, ob eine Wahl akzeptabel vonstattengegangen ist. Und immer wenn Politiker debattieren, gehen die Stimmen naturgemäß weit auseinander. Der Bundeswahlleiter ärgerte sich wie so viele über die Berliner Unart der organisierten Verantwortungslosigkeit und plädierte – ziemlich freihändig und ohne ausreichende Belege – für eine Nachwahl in der Hälfte der Wahlkreise. Das wären in Berlin sechs von zwölf. Also in etwa 1100 Wahllokalen.

Soll die Bundestagswahl in Berlin auch komplett wiederholt werden?

Die Ampelkoalition mit der SPD an der Spitze sieht für diese Aussagen keine Belege. Erst gab sie ein Plädoyer für eine Nachwahl in gut 400 Wahllokalen ab, am Dienstag war nur noch von 300 die Rede. Nicht auszudenken, was bei dieser Politposse als Nächstes kommt.

Und es bleibt ein böser Gedanke – nämlich der, dass die SPD und die bei Umfragen ebenfalls schwächelnde FDP lieber nicht so viel nachwählen möchten.

So oder so gibt es nur eine Instanz, die das Wirrwarr beenden kann: das Bundesverfassungsgericht. Die Karlsruher Richter müssen laut Gesetz entscheiden, wie mit der Bundestagswahl zu verfahren ist. Und sie sollten auch die Berliner Entscheidung prüfen, wenn das Berliner Gericht diese vorlegt. Erst dann wäre ein nachvollziehbarer, akzeptabler, ja „verfassungskonformer Zustand“ herbeigeführt.