Politikverdrossenheit

Wie Politikaversion die gesellschaftliche Mitte zerfrisst

Gesellschaftliche Kontroversen wirken immer selbstzerstörerischer – die Politik versucht, ihr Tun besser zu erklären. Schöner reden ist jedoch keine Lösung. Ein Kommentar.

Deutscher Alltag 1970
Deutscher Alltag 1970Serienlicht/imago

Was heute nach Baumarkt und Gartenarbeit klingt, tendierte einmal stark ins Politische. Die Do-it-yourself-Bewegung der 60er- und 70er-Jahre, heißt es auf Wikipedia, sei geprägt von einem Glauben an Selbstermächtigung, Selbstorganisation und Eigeninitiative und basiere oft auf einem Misstrauen gegenüber etablierter Autorität. Wer damals Hand anlegte beim Ausbau des Partykellers, war nicht nur auf Spareffekte aus, sondern auch auf einen Hauch von Rebellion. Mindestens aber auf die Steigerung des Selbstwertgefühls. In der „Erlebnisgesellschaft“, wie sie der Soziologe Gerhard Schulze beschrieben hat, richteten sich Modernisierung, Individualisierung und Demokratisierung gleichsam nach innen.

Inzwischen scheint sich die Lust auf Bürgerinitiative und Mitmachen vollends verflüchtigt zu haben. In einer regelmäßig durchgeführten repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach wird seit 1992 eine Frage gestellt, die einiges über das Verständnis von Demokratie und deren Wahrnehmung verrät. Die Frage lautet: „Hat man als Bürger Einfluss auf das, was hier am Ort geschieht, oder ist man da machtlos?“

Was aus dem Niedergang der Volksparteien folgt

Lange Zeit stieg die Zahl derjenigen, die sagten, man habe durchaus Einfluss auf die Vorgänge am Wohnort, beständig an. Waren 1992 rund 22 Prozent der Befragten dieser Ansicht, so wuchs der Wert bis 2021 kontinuierlich auf 47 Prozent an. Nun jedoch bricht die Kurve jäh ab. Zuletzt waren nur noch 29 Prozent der Auffassung, Einfluss auf das Geschehen vor Ort zu haben.

Es steht schlecht um das Bewusstsein für Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe. Dabei scheint diese Entwicklung nicht allein durch eine Staatsverachtung von rechts befeuert zu werden. Immer öfter wird die Ampelkoalition als eine mit sich selbst beschäftigte politische Klasse geschmäht und manchmal gar als Einheitspartei diffamiert. Der Niedergang kontrovers einander gegenüberstehender Volksparteien scheint auf dramatische Weise die Auseinandersetzung mit politischen Alternativen verändert zu haben. Aus dieser Perspektive wird selbst das Kabinett wie eine in die Regierung verlagerte Oppositionsbühne wahrgenommen. Die Annahme, der zufolge „die da oben“ machen, was sie wollen, hat sich laut Umfrage verfestigt. Noch negativer sind die Werte in Ostdeutschland. Dort meinten 63 Prozent, man sei als Bürger machtlos. Lediglich 14 Prozent hielten dagegen.

Es ging in der Umfrage nicht nur um Bürgerbeteiligung. Abgefragt wurden ein Demokratiegefühl, aber auch konkretes Wissen über die Staatsform, in der man lebt. Ob die Bundesrepublik Deutschland eine direkte oder repräsentative Demokratie sei, konnten gerade einmal 47 Prozent richtig beantworten. 13 Prozent gaben an: „direkte Demokratie“, 40 Prozent wussten es nicht oder waren unentschieden.

Wie damit umgehen? Wenn Politikerinnen und Politiker mit der oft desaströsen Wahrnehmung ihrer Arbeit konfrontiert werden, vermeiden sie konkrete Antworten. Stattdessen ist die stereotyp wiederholte Formulierung zu hören, es sei nicht alles schlecht, es müsse halt besser erklärt werden.

Aufgabe des Prinzips Partizipation

Schöner reden? In der Frühphase der Ampelkoalition hatte sich die Annahme durchgesetzt, Wirtschaftsminister Robert Habeck sei ein guter Erklärer unpopulärer, aber notwendiger Maßnahmen. Er schien den Zweifel am Politischen gleich mit zu verkörpern, letztlich aber ins Positive zu wenden. Sein retardierendes Sprechen, durch das er den Eindruck erweckte, man könne ihm beim Nachdenken zusehen, wird Habeck nach dem Desaster mit dem Gebäudeenergiegesetz inzwischen als inkompetentes Stammeln ausgelegt. Die Kehrseite des Hasses, den er auslöst, sind Mitleidseffekte. Dabei wäre es an der Zeit, die Politikaversion aus der Mitte als Teil einer verbreiteten Selbstaufgabe hinsichtlich partizipativer Prozesse zu beschreiben.

Die begrenzte Reichweite guter Erklärungen jedenfalls gehört zur Komplexität politischer Entscheidungen. Es kommt auf die Mischung an zwischen Pragmatismus und Gefühlspolitik. Oft scheint es den Regierten zu genügen, sich in den richtigen Händen zu wissen. Dabei verläuft zwischen dem gesunden Vertrauen ins handelnde Personal und dem Bedürfnis nach einer Autorität, die durchgreift, nur ein schmaler Grat. Was beide Haltungen miteinander verbindet, ist ein distanziertes Verhältnis zur Partizipation. Der Souverän, die Wählerinnen und Wähler, delegiert die Macht gern an andere, behält sich aber das Recht vor, sich affektiv und ungerecht über den Umgang mit dieser zu beklagen. Die politische Botschaft der Stunde ist: Die schlechte Laune nimmt zu, aber es ist fast unmöglich, sie zu erklären.