Kommentar

Letzte Generation: Wie wir im Streit ums Klima die Demokratie verraten

Entweder bist du dafür oder dagegen, ein Klimaheld oder ein Terrorist: Die gegenwärtige politische Situation kennt leider keinen Platz für den Zweifel. Ein Kommentar.

Ein Verkehrsteilnehmer (r.) zieht bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100 eine Aktivistin (l.) von der Straße.
Ein Verkehrsteilnehmer (r.) zieht bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100 eine Aktivistin (l.) von der Straße.Paul Zinken/dpa

Es gab in dieser Woche eine bemerkenswerte Sendung im RBB-Fernsehen. Sie hieß „Wir müssen reden“, aber geredet wurde nicht viel – es wurde vor allem geschrien. Das lag nicht zuletzt an der Umgebung. Die Livesendung wurde vom Richardplatz in Neukölln übertragen.

Die Diskussionsteilnehmer waren umringt von mehr oder weniger zufällig vorbeigekommenen Passanten. Das Thema war einmal mehr die umstrittenen Aktionen der Letzten Generation. Dass die Passanten davon nichts hielten, machten sie lautstark klar.

Die Politiker schnauzten sich eher an, als miteinander zu reden. Wahlweise gab es höhnisches Gelächter oder Applaus vom Publikum. Geklärt wurde an diesem Abend nichts, obwohl noch jede Menge Experten dabei waren, die alle erklärten, dass es fünf vor zwölf sei, wenn es um die Klimapolitik gehe.

Auch das Moderatoren-Duo mühte sich redlich, die Diskussion in sachliche Bahnen zu lenken. Vergeblich. Als sich schließlich ein Sprechchor bildete, der rief: „Den menschengemachten Klimawandel gibt es nicht!“, war klar, dass die Sendung für die Katz war.

Die Gräben werden tiefer, das merkt man nicht nur in den öffentlichen Diskussionen. Brave Bürger geben sich unversöhnlich, und auch das staatliche Handeln scheint auf Eskalation angelegt. Im Auftrag des Bayerischen Landeskriminalamts und der Generalstaatsanwaltschaft München wurden vor einigen Tagen Hausdurchsuchungen in Wohnungen und Büros von Klimaaktivisten der Letzten Generation durchgeführt. Insgesamt 170 Polizisten waren beteiligt, und nun diskutiert alle Welt mal wieder, ob wir es bei der Letzten Generation vielleicht sogar mit einer kriminellen Vereinigung zu tun haben. Wenn nicht gar mit einer terroristischen!

Eine kriminelle Vereinigung soll auch Lina E. gebildet haben, die am Mittwoch vom Oberlandesgericht Dresden zu gut fünf Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie zusammen mit anderen mehrere schwere Angriffe auf Rechtsextreme verübt habe. Ihre Delikte haben nichts mit denen der Letzten Generation zu tun. Doch beide Schauplätze zeigen, dass unsere Gesellschaft politisch weiter auseinanderdriftet.

Bei den Aktionen der Letzten Generation scheint es schon jetzt nur zwei Möglichkeiten zu geben: entweder eindeutig dafür oder knallhart dagegen. Helden oder Kriminelle, dazwischen gibt es nichts. Bei Lina E. sieht es ähnlich aus. Ihre Anhänger haben ihre Tweets in den sozialen Medien mit dem Hashtag #FreeLina gekennzeichnet. Die einen fordern Freispruch für Selbstjustiz, die anderen sehen eine neue RAF am Werk. Aber es geht auch andersherum: Der Regierende Bürgermeister von Berlin zögert, die Autofahrer zu kritisieren, die gegen die Blockierer teilweise gewalttätig vorgehen. Das ist aber auch Selbstjustiz!

Diese Zeit hat keinen Platz für Zweifler. Auf keiner Seite. Bist du für die, bist du gegen uns. Die einen nennen es zivilen Ungehorsam und sehen das Recht, wenn auch nicht das Gesetz, auf ihrer Seite. Die anderen sprechen von Straftätern und pochen aufs Gesetz, weil sie Fragen der Legitimität gar nicht erst erörtern wollen. Es wird geschrien, protestiert, skandiert, sich empört. Wir laufen lautstark im Kreis und merken nicht, wie lächerlich wir dabei sind. Wie wäre es mit einem Streitmoratorium? Eine Talkshow nur mit Menschen, die auch nicht so genau wissen, wie es weitergehen soll. Man könnte sich dazu in Neukölln treffen.