SPD stimmt für Schwarz-Rot in Berlin

Kommentar: Die Berliner SPD beugt sich der Macht des Faktischen

Mit ihrer Entscheidung für eine große Koalition hat die SPD den Weg freigemacht für einen neuen Senat. Doch es bleiben Risiken, vor allem für Franziska Giffey.

Auszählung der Stimmen bei der SPD-Mitgliederbefragung über die geplante Koalition mit der CDU
Auszählung der Stimmen bei der SPD-Mitgliederbefragung über die geplante Koalition mit der CDUMarkus Waechter/Berliner Zeitung

54,3 Prozent. Das Ergebnis der SPD-Mitglieder für eine Koalition mit der CDU war deutlich, doch es bleibt gefährlich. Die Berliner SPD ist eine gespaltene Partei.

Die Entscheidung fiel so knapp aus, weil keine der drei Optionen automatisch eine Erholung für die zuletzt so schwer gebeutelte SPD versprochen hätte. Auch die Juniorpartnerschaft mit der CDU inklusive Preisgabe des Roten Rathauses, für die es jetzt grünes Licht gibt, bleibt hochriskant. Natürlich besteht die Hoffnung, Wähler zurückzugewinnen, die keine Lust mehr auf den Dauerstreit bei Rot-Grün-Rot hatten. Die sich abgestoßen fühlten von einem polarisierenden Klimaschutz-, Stadtumbau- und Anti-Autofahrer-Wahlkampf der Grünen, dem die SPD wenig bis nichts entgegenzusetzen hatte. Die dann entweder gar nicht wählen gegangen sind oder – mehr noch – zur CDU gewechselt sind und der bürgerlichen Opposition ein Traumergebnis beschert haben.

Doch kann das wirklich funktionieren mit der CDU? Wird die SPD die Kraft haben, ihr soziales Profil zu schärfen? Und wird die CDU das überhaupt zulassen, da sie selbst sich doch gerade erst von der Unternehmer- zur Mieterpartei gewandelt sehen möchte? CDU-Mann Kai Wegner weist immer wieder auf seine soziale Herkunft hin: Mutter Verkäuferin, Vater Eisenflechter auf dem Bau. Er verstehe sich, aber auch seine Partei als Anwälte derjenigen, die sich vor Veränderungen fürchten müssten, sagt Wegner.

Ein automatisch steigender Mindestlohn. Die Zusage für den Erhalt des Polizeibeauftragten und des Antidiskriminierungsgesetzes, das viele Konservative als Ausdruck eines latenten Misstrauens gegen die Polizei lesen. Sogar die hochumstrittene und von der Wirtschaft bekämpfte Ausbildungsplatzumlage – all das hat die CDU im schwarz-roten Koalitionsvertrag durchgewunken. Wo bleibt da die SPD? Wie wird sie sichtbar? Nur auf das 29-Euro-Ticket zu setzen wird nicht ausreichen. Wie gesagt, das Risiko ist und bleibt gewaltig.

Option 2 der SPD, das Weitermachen mit Rot-Grün-Rot, war für die Mitglieder aber noch fragwürdiger. Da ist das Wahlergebnis, nach dem alle drei Regierungsparteien verloren haben. Und ausgerechnet die sollten zusammen weitermachen? Reicht eine Mini-Mehrheit als Legitimation? Gewonnen hat allein die CDU – und das haushoch. Das ist die Macht des Faktischen. Dieses Ergebnis zu ignorieren und die Wahlsieger außen vor zu lassen, wäre vor allem für die SPD gefährlich. Nicht ausgeschlossen, dass sie bei der nächsten Wahl, die bekanntlich bereits in dreieinhalb Jahren wieder ansteht, noch mehr verlieren würde.

Franziska Giffey (3.v.r., SPD), Regierende Bürgermeisterin, und Raed Saleh (4.v.l., SPD), Fraktionsvorsitzender, und weitere Vorstandsmitglieder lassen sich nach einer Pressekonferenz fotografieren.
Franziska Giffey (3.v.r., SPD), Regierende Bürgermeisterin, und Raed Saleh (4.v.l., SPD), Fraktionsvorsitzender, und weitere Vorstandsmitglieder lassen sich nach einer Pressekonferenz fotografieren.dpa

Diese Befürchtung wurde dadurch genährt, dass vor allem die Zusammenarbeit mit dem langjährigen Wunschpartner, den Grünen, seit Jahren mehr schlecht als recht funktioniert. Viele Sozialdemokraten werfen den Grünen vor, das Verpassen der eigenen Wahlziele – Bettina Jarasch wollte zweimal Regierende Bürgermeisterin werden und ist jeweils gescheitert! – nie verwunden zu haben. Inzwischen sind viele SPDler genervt von dem grünen Weltverbesserer-Furor. Die Aussicht, jetzt auch rechnerisch auf Augenhöhe mit den Grünen weiterzumachen, womöglich mit einem komplizierten Wechselspiel im Roten Rathaus, war vielen unangenehm. Die Grünen, so fürchteten sie, würden die SPD weiter immer dann als beratungsresistenten Bremsklotz vorführen, wenn der klimapolitische Fortschritt mal wieder irgendwo ins Stocken gerät.

Hinzu käme, dass die SPD für Rot-Grün-Rot neues Personal gebraucht hätte. Franziska Giffey wäre dafür ungeeignet. Sie hätte nicht nur das Rote Rathaus verlassen, sondern auch als Landesvorsitzende gehen müssen. Auch ihr Kompagnon Raed Saleh müsste den Vorsitz aufgeben, könnte aber womöglich als Fraktionschef weitermachen. Die Folgen wären dennoch unabsehbar – und in jedem Fall hochriskant. Wie das Ergebnis zeigt: zu riskant.

Doch was war eigentlich mit Option 3, dem Verzicht auf jede Regierungsbeteiligung? Dem Nein zu einer Zwangsehe mit Pest oder Cholera? Kurz nach dem Wahldesaster vom 12. Februar gab es eine Tendenz zur Opposition – verbunden mit der Hoffnung, sich dort zu erneuern, auch neu aufzustellen. Selbst Raed Saleh hat Sympathien dafür erkennen lassen. Das ist vorbei. Die Vorstellung, die SPD würde ihren Anspruch als jederzeit und mit wem auch immer regierungsfähige Volkspartei aufgeben, war vielen dann doch zu riskant.

Jetzt muss es darum gehen, innerhalb des Senats eine klare sozialdemokratische Handschrift zu garantieren und gleichzeitig die Lager in der eigenen Partei zusammenzuführen. Das ist ein Auftrag insbesondere für Franziska Giffey. Das wird schwierig. Die Arbeit hat gerade erst begonnen.