Im Weißen Haus ist es am Freitag zu einem Eklat gekommen, wie ihn laut der New York Times das Weiße Haus noch nie gesehen hat. Vor laufenden Kameras kanzelte US-Präsident Donald Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wie einen Schuljungen ab. Er warf ihm Undankbarkeit vor und fiel Selenskyj barsch ins Wort, als dieser erklären wollte, dass auch der Westen bald die Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin fühlen werde. Trump sagte zum Ukrainer, dass dieser niemandem „diktieren werde, was er fühle“. Amerika sei stark, die Ukraine befinde sich auf der Verliererstraße und habe schlechte Karten. Selenskyj blaffte zurück, er spiele nicht Karten. Vizepräsident JD Vance warf Selenskyj vor, dass er nach Pennsylvania gereist sei, um für Kamala Harris Wahlwerbung zu machen – und legte damit vermutlich den Grund offen, warum Trump Selenskyj mit purer Verachtung begegnete. Trump sagte, wenn Selenskyj nicht kooperieren wolle, dann sei er eben auf sich allein gestellt (ganzes Video am Ende des Artikels, Eskalation ab etwa Minute 41:00).
Unmittelbar nach dem Wortgefecht verließ Selenskyj das Weiße Haus, die mit Pomp angekündigte Unterzeichnung eines „Deals“ über Seltene Erden fand nicht statt.

Selenskyjs Aussichten auf eine politische Zukunft mit US-Unterstützung sind nach dem Eklat gering. Einer seiner größten Fans, der republikanische Hardliner Lindsey Graham ging auf Distanz zu Selenskyj: Senator Graham sagte Fox News, Präsident Selenskyj solle sein geplantes Interview mit Moderator Bret Baier dazu nutzen, sich zu entschuldigen und der Welt mitzuteilen, dass er „großen Mist gebaut“ habe. Graham war einer von mehreren Senatoren, die Selenskyj vor seinem Treffen mit dem Präsidenten getroffen hatten. „Ich habe ihm heute Morgen gesagt, er solle nicht auf den Köder hereinfallen und sich nicht von den Medien oder sonst jemandem in einen Streit mit Präsident Trump verwickeln lassen“, sagte er und fügte hinzu: „Selenskyj wird sich grundlegend ändern oder gehen müssen.“ Einen Auftritt im Hudson-Institut nach dem Eklat sagte Selenskyj kurzfristig ab.
Später räumte Selenskyj bei Fox News ein, dass er das Geschehene „bedauere“, sagte aber, dass er nicht glaube, etwas falsch gemacht zu haben. „Ich bin nicht sicher, ob wir etwas Schlechtes getan haben“, sagte er zu Baier und fügte hinzu: „Ich respektiere Präsident Trump und das amerikanische Volk, aber wir müssen sehr ehrlich und direkt sein, um einander zu verstehen.“ (Interview am Ende des Artikels)
Graham war der erste amerikanische Politiker gewesen, der die Ausbeutung der ukrainischen Rohstoffe als strategisches Interesse der Vereinigten Staaten bezeichnet hatte.
Trump legte später auf Truth Social nach. Er schrieb: „Wir hatten heute ein sehr bedeutungsvolles Treffen im Weißen Haus. Vieles wurde gelernt, das ohne ein Gespräch unter solchem Druck und Feuer niemals verstanden werden könnte. Es ist erstaunlich, was durch Emotionen ans Licht kommt, und ich habe festgestellt, dass Präsident Selenskyj nicht bereit für Frieden ist, wenn Amerika involviert ist, weil er glaubt, dass unsere Beteiligung ihm einen großen Vorteil in den Verhandlungen verschafft. Ich will keinen Vorteil, ich will FRIEDEN. Er hat die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrem geschätzten Oval Office nicht respektiert. Er kann zurückkommen, wenn er bereit für Frieden ist.“
Die New York Times titelte, die Auseinandersetzung signalisiere einen „Bruch der Allianz“.
Sprecher Mike Johnson, der vergangenes Jahr seinen eigenen Job aufs Spiel setzte, als er ein zusätzliches Hilfspaket vorlegte, das der Ukraine mehr als 60 Milliarden Dollar an Hilfe zukommen lassen sollte, lobte Trump laut New York Times: „Dank Präsident Trump sind die Tage, in denen Amerika ausgenutzt und missachtet wurde, VORBEI“, schrieb er und fügte hinzu. „Was wir heute im Oval Office erlebt haben, war ein amerikanischer Präsident, der Amerika an die erste Stelle setzte.“
Schon zuvor hatte es Anzeichen für einen Bruch gegeben: Das US-Außenministerium hat diese Woche eine Initiative von USAID beendet, die Hunderte Millionen Dollar in den Wiederaufbau des ukrainischen Energienetzes investiert hat, berichtete NBC. USAID hat seine Präsenz in der Ukraine reduziert. Von 64 amerikanischen Mitarbeitern blieben nur acht in der Ukraine.
Mir der offenbar gezielt geplanten und minutiös choreografierten Demütigung Selenskyjs wollte Trump vermutlich vor allem eine Botschaft an zwei Gruppen schicken. Da sind zum einen die Europäer, die sich unter Leitung des britischen Premiers Keir Starmer am Sonntag treffen wollen, um die Übernahme der Kosten es Kriegs von den USA zu beraten. Starmer hatte Trump in dieser Woche ebenfalls besucht und keine Zusage erhalten, dass das US-Militär allfälligen EU-Bodentruppen Rückendeckung geben werde. Douglas Alexander, der britische Handelsminister, bezeichnete Wolodymyr Selenskyj nach dem Eklat in der BBC als „wahrscheinlich mutigsten politischen Führer Europas seit Winston Churchill“.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sandte nach dem Eklat gemeinsam mit Ratspräsident António Costa eine Solidaritätsadresse an Selenskyj: Auf X schrieb sie: „Sie sind nie allein. Seien Sie stark, seien Sie mutig, seien Sie furchtlos.“ Und weiter: „Wir werden weiterhin mit Ihnen für einen gerechten und dauerhaften Frieden arbeiten.“ Costa hatte mit dem Ukrainer nach dessen Begegnung mit Trump gesprochen.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte auf X: „Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht. Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen. Die Ukraine ist Europa! Wir stehen an der Seite der Ukraine. Wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine verstärken, damit sie den Aggressor weiter bekämpfen kann.“
Der französische Präsident Emmanuel Macron, der Trump diese Woche ebenfalls besuchte und sich sehr unterwürfig zeigte, aber auch keine Zusagen von Trump erhielt, sagte nach dem Eklat zu Reportern in Portugal, dass es „einen Aggressor, Russland, und ein angegriffenes Volk, die Ukraine“ gebe und dass „wir all jenen danken müssen, die geholfen haben, und wir müssen jene respektieren, die von Anfang an gekämpft haben, denn sie kämpfen für ihre Würde, ihre Unabhängigkeit, für ihre Kinder und für die Sicherheit Europas.“
Olaf Scholz und Friedrich Merz wiederholten im wesentlichen die Aussagen von Macron und konnten mit keinen eigenen Perspektiven oder Gedanken aufwarten.
Deutlich mehr Kreativität legte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an den Tag. Sie forderte die unverzügliche Einberufung eines Gipfel zwischen den USA und der EU. werde Rom dies in den nächsten Stunden allen Partnern vorschlagen: „Jede Spaltung des Westens schwächt uns alle und begünstigt diejenigen, die den Untergang unserer Zivilisation sähen“, sagte Meloni. „Es ist ein sofortiges Gipfeltreffen zwischen den Vereinigten Staaten, den europäischen Staaten und ihren Verbündeten erforderlich, um offen darüber zu sprechen, wie wir die großen Herausforderungen von heute angehen wollen, angefangen mit der Ukraine, die wir in den letzten Jahren gemeinsam verteidigt haben, und den Herausforderungen, denen wir uns in Zukunft stellen müssen.“
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, ein langjähriger Verbündeter Trumps, sagte in einem Posting auf X: „Starke Männer machen Frieden, schwache Männer führen Krieg. Heute hat sich Präsident Trump tapfer für den Frieden eingesetzt. Auch wenn es für viele schwer zu verdauen war. Danke, Herr Präsident!“
Die zweite Gruppe, die Trump erreichen wollte, sind jene Vertreter im US-Geheimdienst-Establishment, die der Auffassung sind, dass der Krieg gegen Russland nur mit einem Sieg der Ukraine beendet werden könne. Viele von ihnen lehnen den Kurs Trumps ab und versuchen, hinter den Kulissen gegenzusteuern. Es geht außerdem um enorme Finanzmittel, deren Verbleib unklar ist. Trump sagte in der Vergangenheit mehrfach, dass die USA der Ukraine 350 Milliarden US-Dollar gegeben hätten. Selenskyj wiederum hatte in einem AP-Interview gesagt, die Ukraine habe lediglich 70 Milliarden US-Dollar an Unterstützung erhalten. Die Weltbank spricht mittlerweile offen von einem erheblichen Korruptionsproblem in der Ukraine.
Die New York Times berichtet von einer ersten Reaktion aus Russland und schreibt, Dmitri Medwedew, ehemaliger russischer Präsident und derzeit stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats, habe die im Fernsehen übertragene Auseinandersetzung zwischen Präsident Trump und Präsident Selenskyj als „eine Standpauke im Oval Office“. bezeichnet Auf seinem Telegram-Kanal lobte Medwedew, der erste hochrangige russische Beamte, der sich zum Treffen zwischen Trump und Selenskyj äußerte, den US-Präsidenten dafür, dass er Selenskyj „die Wahrheit“ ins Gesicht gesagt habe, und forderte ihn auf, die Militärhilfe für die Ukraine einzustellen.
Ob eine Einstellung der Zahlungen jedoch wirklich das Ergebnis des Konflikts sein muss ist unklar. Trump hasst Selenskyj zwar wegen seiner Unterstützung für Kamala Harris und seine Nähe zu den US-Demokraten. Doch Trump hatte in seiner ersten Amtszeit die Ukraine viel entschiedener unterstützt als zuvor Präsident Barack Obama. Er war auch stets ein militanter Gegner von Nord Stream 2 und hat die Aufrüstung der Nato nach Aussagen des früheren Generalsekretärs Jens Stoltenberg gefördert wie kaum ein anderer Präsident der jüngsten Geschichte. Der Deal über die Seltenen Erden, der für viel Aufsehen gesorgt hat, war, wie die Amerikaner sagen würden, ein „Nothingburger“, ein Papier ohne jegliche Bindewirkung. Trump selbst sagte in seiner Pressekonferenz mit Keir Starmer, man werde zunächst einmal viel graben müssen, um zu sehen, welche Rohstoffe überhaupt zu finden seien.
Beide Präsidenten waren in ihren früheren Berufen einmal Schauspieler, weshalb man in Moskau die vermeintliche Eskalation zwar mit einer zusätzlichen Tüte Popcorn - Trump sagte, das sei mal ein TV-Auftritt nach dem Geschmack des Publikums - , aber auch mit einer gehörigen Portion Skepsis über die Tiefe des Zerwürfnisses verfolgen dürfte.
Eskalation ab etwa Minute 41:00:

