Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine AKP-Partei haben bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die Mehrheit gewonnen. Beim Stand von 99 Prozent der ausgezählten Wahlurnen im Inland und rund 84 Prozent im Ausland liegt Erdogan laut dem Chef der Wahlbehörde bei 49,40 Prozent der Stimmen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kommt demnach auf 44,96 Prozent. Am 28. Mai wird es eine Stichwahl zwischen den beiden geben.
Im türkischen Parlament hat laut Hochrechnungen Erdogans AKP eine Mehrheit erreicht. Zwar gab es am Montagnachmittag noch keine endgültigen Ergebnisse. Es zeichnete sich jedoch ab, dass Erdogans Regierungsallianz ihre Mehrheit verteidigen konnte. Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse, das Parlament mit seinen 600 Abgeordneten ist dagegen geschwächt. Allgemein wird erwartet, dass Erdogan als Favorit in die Stichwahl geht und sich daher eine weitere Amtsperiode sichern dürfte.
Die prokurdische Oppositionspartei HDP hat sich ernüchtert über den vorläufigen Ausgang der Parlaments- und Präsidentenwahl in der Türkei gezeigt. Die endgültigen Ergebnisse stünden noch nicht fest, „dennoch ist vollkommen klar, dass wir hinter unseren Zielen zurückliegen“, sagte Co-Parteichef Mithat Sancar am Montag in Istanbul.
Bei den Parlamentswahlen war die HDP wegen eines Verbotsverfahrens unter dem Banner der Grünen Linkspartei angetreten. Bei den Präsidentenwahlen hatte sie zur Unterstützung von Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu aufgerufen.
Bei den etwa 1,5 Millionen wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern in Deutschland erreichte Erdogan ein deutlich klareres Ergebnis: Im Bundesschnitt entfielen auf ihn beim Stand von knapp 79 Prozent der ausgezählten Wahlurnen aus Deutschland knapp zwei Drittel der Stimmen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montag hervorging. Erdogan kommt also in Deutschland auf 65 Prozent der Stimmen. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu erreichte dagegen nur knapp 33 Prozent. Etwa 800.000 Menschen hatten in Deutschland an der Wahl teilgenommen. Laut CNN Turk gab es flächendeckend große Zustimmung für Erdogan. Lediglich das Ergebnis in Berlin unterschied sich signifikant vom Ergebnis in anderen Städten: In der Hauptstadt lagen Erdogan und Kilicdaroglu bei einem Zwischenstand am Montagnachmittag gleichauf mit jeweils 49 Prozent.
In einigen anderen europäischen Ländern schnitt Erdogan sogar noch besser ab: So erreichte der Präsident in Österreich und Belgien Werte von über 70 Prozent. In Russland dagegen stimmte die Mehrheit der Türkei für den Herausforderer: Laut Zwischenstand am Montagnachmittag bei CNN Turk kam Kilicdaroglu auf 55 Prozent, Erdogan dagegen nur auf 38 Prozent. Auch in Belarus und in der Ukraine lag Kilicdaroglu vorn. Auch in Serbien lag Kilicdaroglu in Führung, während in Aserbaidschan die Mehrheit der türkischen Staatsbürger für Erdogan stimmte. In den USA gab es mit nur 16 Prozent ebenso wie in Großbritannien (18 Prozent) laut CNN Turk nur sehr geringe Zustimmung zu Erdogan.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte dem Bayerischen Rundfunk, selbst wenn Kilicdaroglu in der Stichwahl gegen Erdogan gewinnen sollte, werde „er ein zutiefst gespaltenes Land vorfinden“. Die Parlamentswahl habe die Nationalversammlung so konservativ gemacht wie noch nie.
Dies sei „für Frauenrechte, für LGBT-Rechte, für Menschenrechte, Minderheitenrechte sicherlich keine gute Nachricht“, sagte Özdemir, dessen Eltern in den 1960er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen. Bei der Präsidentschaftswahl sah er den Drittplatzierten, den nationalistischen Kandidaten Sinan Ogan, nun als Königsmacher. „Auch das zeigt, wie sehr die Türkei nach rechts gerückt ist“, sagte Özdemir. Ogan erreichte laut vorläufiger Zählung etwa 5,3 Prozent der Stimmen. Es wird erwartet, dass er Forderungen aufstellt, deren Erfüllung Erdogan im Gegenzug für eine Wahlempfehlung zusagen könnte.
Von Wahlmanipulationen hat Özdemir keine Kenntnis. Er betonte aber, dass es im Vorfeld der Wahl keine fairen Bedingungen für die Opposition gab: „Fairness heißt auch, dass man Zugang hat zu den Medien. Davon konnte keine Rede sein.“ Ein Teil der Oppositionspolitiker und Journalisten sei im Gefängnis oder im Exil. „Aber das Wahlergebnis selber dürfte schon die Stimmung wiedergeben. Da darf man sich nichts vormachen.“
Dass viele Türken in Deutschland wohl Erdogan gewählt haben, liegt nach Meinung Özdemirs auch an Versäumnissen in der Integrationspolitik. „Hätte man früher den Menschen aus der Türkei signalisiert, hier spielt die Musik, bringt euch hier ein, hätte es geholfen“, sagte er. Er appellierte an alle demokratischen Parteien in Deutschland, „dass man das Spiel nicht mehr mitmacht, dass man einerseits den Demokraten gibt und dann andererseits ultranationalistische, fundamentalistische Positionen unterstützt“.
„Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei kennzeichnen einen weiteren Rechtsruck im Land. Sowohl Rechtsextreme wie auch Islamisten haben massiv an Bedeutung gewonnen und entscheiden stärker als zuvor über die künftige Ausrichtung der Politik“, erklärt Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für Internationale Politik und Abrüstung. Dagdelen weiter: „Die mit 65 Prozent anhaltend hohe Zustimmung für Recep Tayyip Erdogan bei den Wählern in Deutschland muss ein Mahnzeichen sein, für die dringend notwendige 180-Grad-Wende in der deutschen Türkeipolitik. Es rächt sich, dass die Bundesregierung wie ihre Vorgänger über Jahre das Erdogan-Netzwerk in Deutschland agieren ließ und in Teilen sogar mit öffentlichen Geldern förderte. Die Bundesregierung darf jetzt den Beschluss des Bundestages zum Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland nicht länger aufgrund zynischer geopolitischer Erwägungen aussitzen. Das von Erdogan aufgebaute islamistisch-nationalistische Netzwerk in Deutschland muss endlich zerschlagen werden.
Ankara darf von der Bundesregierung keine Carte Blanche mehr für Völkerrechtsbruch erhalten. Angriffe des NATO-Mitglieds Türkei auf die territoriale Integrität und Souveränität der Nachbarsstaaten Syrien und Irak sowie Bedrohungen der EU-Mitglieder Griechenland und Zypern mit Krieg dürfen nicht länger folgenlos bleiben.“


