Krieg in der Ukraine

Viktor Orbán in Kiew: Wird der Ungar zum Vermittler im Ukraine-Krieg?

Erster Besuch seit Kriegsbeginn. Ambitiöse Pläne für Ungarns EU-Ratspräsidentschaft: „Sofortige Kurskorrektur“ und Abbau „ideologisch motivierter“ Vorschriften.

Der ungarische Premierminister Viktor Orbán.
Der ungarische Premierminister Viktor Orbán.Kenzo Tribouillard/AFP

Am zweiten Tag der ungarischen Präsidentschaft im Europäischen Rat ist Ministerpräsident Viktor Orbán in Kiew eingetroffen. Es ist sein erster Besuch seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine. In der Vergangenheit hatte der Ungar mehrfach Sanktionen gegen Russland und Finanzhilfen der EU für Kiew hinausgezögert; auch einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine steht er kritisch gegenüber.

Das Treffen zwischen Orbán und Selenskyj, die sich bereits bei der Amtseinführung des argentinischen Präsidenten Javier Milei im Dezember und erneut in der vergangenen Woche beim EU-Gipfel in Brüssel begegnet waren, wurde angeblich seit Monaten vorbereitet. Laut einer Budapester Quelle, auf die der britische Guardian sich beruft, hatte das mit Meinungsverschiedenheiten über die Rechte der ungarischsprachigen Minderheit in der Ukraine zu tun. Die Reisepläne hätten sich erst nach langwierigen Verhandlungen realisiert.

In Transkarpatien im äußersten Westen der Ukraine leben rund 100.000 ethnische Ungarn, deren Autonomierechte umstritten sind. So kritisiert die Regierung Orbán ein ukrainisches Bildungsgesetz aus dem Jahr 2017, das den kompletten Unterricht in einer Minderheitensprache (in dem Fall Ungarisch) nur noch bis zur vierten Klasse zulässt - danach wird überwiegend auf Ukrainisch unterrichtet. Zuvor konnten die ungarischstämmigen Schüler in Transkarpatien ihre gesamte Schullaufbahn auf Ungarisch bestreiten.

Guten Morgen, Berlin Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

„Es war eine Vorbedingung für das Treffen, dass die Frage der Nationalitätenrechte geklärt wurde. In den letzten Wochen ist eine Einigung erzielt worden. Sie werden dies als Erfolg verkünden können“, zitiert der Guardian seine Quelle. Kritiker haben der Regierung in Budapest allerdings vorgworfen, das Minderheitenthema zu instrumentalisieren, um die europäische Unterstützung der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den russischen Angreifer zu schwächen.

Anders als die meisten europäischen Staaten hinterfragt Ungarn die Notwendigkeit und das Ausmaß der militärischen Unterstützung der Ukraine durch die Europäer. Orbán hat in der Vergangenheit wiederholt zu Verhandlungen über einen Waffenstillstand aufgerufen. Zugleich unterhält Ungarn als einziger EU- und Nato-Staat enge Beziehungen zur Moskauer Regierung. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó war seit Beginn des Ukraine-Kriegs mindestens fünfmal in Russland, zuletzt im vergangenen Monat beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg.

In einem Gastbeitrag des ungarischen Premiers, den die britische Financial Times (FT) am Montag veröffentlichte, erinnert Orbán an eine Aussage des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl: „Wir alle brauchen Europa, um auf den Weltmärkten wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Kohls Worte seien noch nie so aktuell gewesen wie heute.

Auf X, ehemals Twitter, hatte Orbán zuvor gepostet: „Ein arbeitsreicher erster Tag im Büro. Seit heute hat Ungarn den EU-Vorsitz inne. Time to make Europe great again!“ (Zeit, Europa wieder groß zu machen!)

Die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Europäer, so schreibt er in der FT, sei vor allem auf fehlgeleitete Brüsseler Entscheidungen zurückzuführen. Die liefen den Realitäten der Weltwirtschaft zuwider. Das beste Beispiel, so Orbán, sei die grüne Wende, die er als „ideologisch motiviertes Ziel“ bezeichnet. Angesichts von Energiepreisen, die heute drei- bis fünfmal höher seien als in den USA, verlören europäische Unternehmen ihren Wettbewerbsvorteil.

Es liege auf der Hand, dass Europa eine Führungsrolle in der grünen Industrie anstreben müsse. Die den Bürger belastenden Vorschriften seien jedoch nicht länger tragbar. Die Unternehmen sähen sich mit immer höheren Steuerbelastungen konfrontiert. Während das Wirtschaftswachstum in den wichtigsten EU-Ländern in diesem Jahr kaum ein Prozent erreichen werde, wüchsen die USA um fast drei Prozent, China um fast fünf Prozent und Indien um fast sieben Prozent. Eine sofortige Kurskorrektur sei notwendig.