Als am vergangenen Sonntag 810 Drohnen auf die Ukraine niedergingen, war dies nicht nur der massivste Luftangriff seit Beginn der Vollinvasion 2022, er markierte auch einen Einschnitt, weil erstmals ein Regierungsgebäude im Zentrum Kiews getroffen wurde. Die Frage, ob es sich um einen gezielten Schlag gegen das politische Herz der Ukraine handelte, um ein Versehen oder gar um ein ungewolltes Resultat ukrainischer Abwehrmaßnahmen, ist nicht nur militärisch von Bedeutung, sondern hat auch politische Sprengkraft.

Zwischen gezieltem Angriff und technischer Fehlfunktion

Nach Einschätzung des Militärexperten Oberst des Generalstabes Markus Reisner, Leiter der Forschungsabteilung an der Militärakademie zur Wiener Neustadt, deutet der Einschlag eher auf eine kleinere Drohne vom Typ Geran-2 hin – eine russische Kopie der iranischen Shahed-Drohnen – nicht auf eine Rakete mit hoher Sprengkraft. Möglich sei, dass eine durch ukrainische elektronische Störung abgelenkte Drohne unkontrolliert abstürzte, so Reisner. Offiziell verweist Kiew auf einen russischen Angriff auf das Regierungsviertel. Moskau schweigt. Fakt bleibt: Selbst das besonders stark gesicherte Zentrum der ukrainischen Hauptstadt ist nicht unangreifbar. Damit wird eine zentrale Schwäche der ukrainischen Luftabwehr offengelegt. Patriot-Systeme und andere westliche Luftabwehr haben zwar bislang verhindert, dass großflächige Zerstörung Kiew erreicht. Doch die Masse an Drohnen entfaltet einen „Sättigungseffekt“: Selbst wenn 90 Prozent abgefangen werden, reicht ein Durchbruch weniger Flugkörper, um empfindliche Schäden anzurichten – politisch wie psychologisch. Die Ukraine verfügt über ein mehrschichtiges Abwehrsystem, das Reisner als „Zwiebelschalen-Modell“ beschreibt: visuelle und akustische Meldungen an der Peripherie, Radarerfassung näher an den Ballungszentren, schließlich Störsender und Abschuss. Das Problem: Abgefangene Drohnen stürzen unkontrolliert ab. Dass sie dabei zivile Gebäude treffen, ist kaum zu vermeiden. Das macht die Abwehr nicht minder notwendig, erhöht aber das Risiko von „Friendly Fire“-ähnlichen Effekten. Um Kosten und Ressourcen zu schonen, setzt Kiew zunehmend auf günstigere Systeme: den deutschen Flakpanzer Gepard, alte Propellermaschinen, improvisierte Abfangdrohnen. Doch auch hier gilt das Prinzip des Wettrüstens: Russland rüstet seine Geran-2 mit Navigationsmodulen wie Kometa-M aus, die Störungen unterlaufen, und mit Sensorik, die gegnerische Abfangdrohnen erkennen kann.

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