Amanda Sloat, einst Sonderberaterin vom ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden, glaubte, mit Beratern des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen. Tatsächlich waren es die russischen Prankster Vovan und Lexus. Was folgte, war ein unfreiwilliges Geständnis von welthistorischer Bedeutung.
„Wir hatten einige Gespräche, sogar bevor der Krieg begann, darüber, was wäre, wenn die Ukraine zu Russland sagt: ‚Gut, wir werden nicht in die Nato eintreten‘ – was zu diesem Zeitpunkt durchaus die Invasion hätte stoppen können“, so Sloat, die damals mit an der Spitze des Nationalen Sicherheitsrat stand.
Sloat weiter: „Es gibt sicherlich die Frage, drei Jahre später, ob es besser gewesen wäre, das vor Kriegsbeginn zu tun, ob es besser gewesen wäre bei den Istanbul-Gesprächen? Es hätte sicherlich die Zerstörung und den Verlust von Leben verhindert.“
Vier Eingeständnisse
Ihre Aussagen kristallisieren sich zu vier fundamentalen Eingeständnissen, schreibt Branco Marcetic vom US-Portal Responsible Statecraft. Die Ukraine hätte durch eine Neutralitätserklärung die Invasion wahrscheinlich verhindern können. Dies hätte die enormen Todesfälle und Zerstörungen verhindert. Die Ukraine hätte diesen Deal bis zu den Istanbul-Gesprächen im März/April 2022 machen können. Die Biden-Administration erwog diese Option, verwarf sie aber.
Noch erschütternder ist Sloats Begründung: „Ich war unwohl mit der Idee, dass die USA die Ukraine dazu drängen, und Russland implizit eine Art Einflusssphäre oder Vetorecht zu geben.“ Abstrakte Prinzipien wogen schwerer als Hunderttausende Menschenleben.
Vovan und Lexus: Die umstrittenen Boten
Vladimir Kuznetsov und Alexey Stolyarov sind keine neutralen Akteure. Ihre Nähe zum Kreml ist evident, ihre Methoden ethisch fragwürdig. Sie haben bereits Hillary Clinton, Mike Pompeo und andere westliche Offizielle hinters Licht geführt.
Doch die Authentizität ihrer Aufnahmen wurde selten erfolgreich bestritten. Im Fall Sloat fügen sich ihre Aussagen nahtlos in ein Muster westlicher Eingeständnisse ein, die die Vermeidbarkeit des Krieges bestätigen.
George F. Kennan: Der Architekt warnt
George F. Kennan, der legendäre Diplomat und Architekt der Containment-Politik, warnte 1997: „Die Nato-Erweiterung wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg.“
Er sah voraus, dass sie „die nationalistischen, anti-westlichen und militaristischen Tendenzen in der russischen Meinung entflammen“ würde. In einem privaten Brief warnte er spezifisch vor der Ukraine und dem Schwarzen Meer als neuralgischen Punkten russischer Sicherheitsinteressen.
Henry Kissinger: Der Realpolitiker mahnt
2014 skizzierte Kissinger einen Friedensweg: „Die Ukraine sollte nicht der Außenposten einer Seite gegen die andere sein – sie sollte als Brücke zwischen ihnen fungieren. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre wirtschaftliche und politische Verbindung frei zu wählen, einschließlich mit Europa. Die Ukraine sollte nicht der Nato beitreten.“ Diese Formel hätte den Krieg verhindern können.
2022 in Davos warnte der 98-Jährige: „Verhandlungen müssen in den nächsten zwei Monaten beginnen, bevor Verwerfungen entstehen, die nicht leicht zu überwinden sind.“
John Mearsheimer: Der Prophet
Sein Artikel „Why the Ukraine Crisis Is the West’s Fault“ (2014) wurde zur intellektuellen Blaupause für das Verständnis der Katastrophe: „Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten tragen den größten Teil der Verantwortung für die Ukraine-Krise.“ Seine Analyse basierte auf den ehernen Gesetzen der Großmachtpolitik, nicht auf Sympathie für Putin.
William J. Burns: Der Insider warnt vergeblich
Der heutige CIA-Direktor warnte 2008 als US-Botschafter in Moskau in seinem berühmten Nachrichtentext „Nyet Means Nyet“: „Die ukrainische Mitgliedschaft in der Nato ist die hellste aller roten Linien für die russische Elite (nicht nur Putin). Ich habe noch niemanden gefunden, der die Ukraine in der Nato als etwas anderes sieht als eine direkte Herausforderung russischer Interessen.“
Europäische Stimmen der Vernunft
Sir Roderic Lyne, ehemaliger britischer Botschafter in Moskau, nannte die Nato-Perspektive für die Ukraine „stupid on every level“ und warnte explizit vor Krieg. Angela Merkel blockierte 2008 einen formalen Membership Action Plan mit der Begründung hoher Eskalationsrisiken. Doch ihre Opposition wurde überstimmt.
Die Anatomie eines Präventivkriegs
Barry Posen vom MIT argumentiert in seiner monumentalen Studie, dass Russlands Invasion der klassischen Logik eines Präventivkriegs folgte. Staaten handeln präventiv, wenn sie eine sich verschiebende Machtbalance fürchten. Diese Logik wird verstärkt, wenn sie ein sich schließendes Zeitfenster wahrnehmen.
Posen dokumentiert die intensivierte Nato-Ukraine-Integration: 130 multinationale Übungen von 2010 bis 2020, die Entwicklung von „Sea Breeze“ zu vollumfänglichen Marinekriegsübungen mit 32 Ländern, die Ausbildung ukrainischer Truppen nach Nato-Standards. 2020 wurde die Ukraine zum „Enhanced Opportunities Partner“ ernannt.
Avril Haines bestätigte: Putin griff an, weil „militärisches Handeln die beste verbleibende Option war, um eine größere ukrainische Integration mit dem Westen zu verhindern. Angesichts der Trendlinien würde es nur schwieriger werden.“
Bukarest 2008: Die Ursünde
Der Nato-Gipfel in Bukarest markiert den Punkt ohne Wiederkehr. Die Entscheidung, der Ukraine eine Mitgliedschaftsperspektive zu eröffnen, erfolgte ohne strategische Notwendigkeit und gegen den Rat von Experten. Ironischerweise verlangten 2008 nur 28 Prozent der Ukrainer nach Nato-Mitgliedschaft, während 50 Prozent dagegen waren.
Die russische Reaktion war unmissverständlich. Putin: „Das Erscheinen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen würde als direkte Bedrohung aufgefasst.“ Der Kompromiss – ein Versprechen ohne Zeitplan – war der Schlimmste aller Welten: Er alarmierte Russland maximal, ohne der Ukraine reale Sicherheit zu bieten.
Die verpassten Friedenschancen
Minsk: Täuschung statt Frieden
Die Minsk-Abkommen hätten den Konflikt beenden können. Doch Merkel und Hollande gaben nach der Invasion 2022 zu, sie auch unterstützt zu haben, um der Ukraine Zeit zur militärischen Stärkung zu verschaffen. Russland sah sich bestätigt, der Schaden war da.
Istanbul 2022: Die letzte Ausfahrt
Sloats Eingeständnis ist brisant: „Die Ukraine hätte im März, April 2022 bei den Istanbul-Gesprächen einen Deal machen können.“ Laut Berichten war ein Deal in Reichweite – Neutralität gegen Sicherheitsgarantien. Dann intervenierte der Westen. Boris Johnson überzeugte Selenskyj weiterzukämpfen.
Die Folgen: Hunderttausende zusätzliche Tote. Sloat über die gescheiterte Gegenoffensive: „Das lief nicht so, wie irgendjemand es wollte.“
Die moralische Arithmetik: Prinzipien über Menschen
Sloats Erklärung für die Ablehnung der Neutralitätsoption offenbart eine perverse Logik: „Ich war unwohl mit der Idee, Russland implizit eine Art Einflusssphäre zu geben.“ Dieses „Unbehagen“ kostete Hunderttausende das Leben. Lieber einen verheerenden Krieg riskieren als die theoretische Möglichkeit einer russischen Einflusssphäre akzeptieren.
Biden selbst, so Sloat, „fühlte nicht, dass es sein Platz war, der Ukraine zu sagen, was sie tun soll“. Diese Zurückhaltung ist absurd angesichts dokumentierter amerikanischer Einmischung in ukrainische Angelegenheiten. Der Westen hatte kein Problem, die Ukraine in einen Krieg zu führen, aber ein Problem, sie zum Frieden zu drängen?
Die historische Parallele: Kuba 1962
Die Parallele zur Kubakrise ist erhellend. 1962 brachten die USA die Welt an den Rand eines Atomkriegs, um sowjetische Raketen aus ihrer Nachbarschaft zu entfernen. Kennedy wurde für seine Standhaftigkeit gefeiert.
Heute erwarten wir von Russland, was wir selbst niemals akzeptieren würden: eine feindliche Militärallianz direkt an unseren Grenzen zu tolerieren.
Die ukrainische Tragödie
Die Ukraine ist das eigentliche Opfer dieser geopolitischen Schachpartie. Die Bevölkerung wurde nie ehrlich über ihre Optionen informiert. Wurde ihnen je gesagt: „Ihr könnt Neutralität und Frieden oder Nato-Ambitionen und möglicherweise Krieg wählen“?
Stattdessen wurden sie mit Versprechungen gefüttert, die der Westen nie einzulösen gedachte. Nato-Mitgliedschaft wurde versprochen, aber nie geliefert. Militärische Unterstützung wurde zugesagt – immer gerade genug, um nicht zu verlieren, nie genug, um zu gewinnen.
Die Lehren
Erstens: Großmachtpolitik folgt eigenen Gesetzen. Russland wird eine feindliche Militärallianz an seinen Grenzen nicht akzeptieren, wie die USA es auch nicht würden.
Zweitens: Präventivkriege sind vorhersehbar. Wenn eine Großmacht eine sich verschlechternde Sicherheitslage wahrnimmt, wird sie handeln.
Drittens: Die Kosten der Prinzipientreue werden von anderen gezahlt. Die USA und Westeuropa zahlen nicht den Preis für ihre geopolitischen Prinzipien. Die Ukraine tut es.
Barry Posen warnt: Die gleiche Dynamik entwickelt sich in Taiwan. Die USA verstärken Taiwans Verteidigungsfähigkeit, China sieht ein sich schließendes Zeitfenster. „Es wäre am besten, wenn niemals ein retrospektiver Artikel über Chinas Präventivkrieg über Taiwan geschrieben werden müsste.“
Epilog: Das Urteil der Geschichte
Amanda Sloats unbeabsichtigtes Geständnis wird als der Moment in die Geschichte eingehen, in dem die offizielle Narrative zusammenbrach. Die Namen derer, die diese Katastrophe hätten verhindern können – Biden, Blinken, Sullivan, Johnson – werden ihren Platz neben jenen finden, die vermeidbare Kriege führten.
Die Ukraine wird sich erholen. Aber die Toten werden nicht zurückkehren. Die zerstörten Städte werden wiederaufgebaut, aber die verlorenen Leben sind für immer verloren.



